02.06.2015

Experimente im Reich des Unmöglichen

Forscher simulieren Elementarteilchen, die gar nicht existieren können.

März 1938: Der italienische Teilchenphysiker Ettore Majorana besteigt in Neapel ein Postschiff nach Palermo. Doch dort kommt er entweder nicht an oder verlässt die Stadt sofort wieder – seit jenem Tag fehlt von dem Forscher jede Spur und bis heute ist sein rätselhaftes Verschwinden nicht aufgeklärt. Majorana, Schüler des Physik-Nobelpreisträgers Enrico Fermi, ist zwar weitgehend in Vergessenheit geraten. Doch eine von ihm entwickelte Theorie über Kernkräfte und ein ganz besonderes Elementarteilchen ist der Fachwelt geblieben.

Abb.: In zwei Wellenleitern werden zwei Lösungen der Dirac-Gleichung mit entgegengesetzten Massen simuliert. (Bild: R. Keil et al.)

„Dieses nach Majorana benannte Teilchen, das Majoranon, besitzt ganz erstaunliche Eigenschaften“, sagt Alexander Szameit von der Uni Jena. „Eigenschaften, die es in unserer Welt gar nicht geben kann.“ Majorana-Teilchen sind ihre eigenen Antiteilchen: Sie vereinen in sich völlig entgegengesetzte Eigenschaften wie gegensätzliche Ladungen und Eigendrehimpulse und würden sich selbst - wären sie tatsächlich existent - sofort auslöschen. „Sie sind deshalb rein theoretischer Natur und lassen sich nicht in Experimenten messen.“

Szameit und seinem internationalen Team ist es jetzt dennoch gelungen, das Unmögliche möglich zu machen: Die Forscher haben sie eine Versuchsanordnung entwickelt, mit der sich geladene Majorana-Teilchen simulieren und damit physikalischen Experimenten zugänglich machen lassen. Dafür nutzen die Wissenschaftler ein System aus optischen Wellenleitern, die in einen Glas-Chip graviert sind. „Wir schicken zeitgleich zwei Lichtstrahlen durch parallel verlaufende Wellenleiter, die die gegensätzlichen Eigenschaften separat aufweisen“, erläutert Team-Mitglied Robert Keil. An einem von den Experimentatoren festgelegten Punkt überlagern sich die beiden Wellen und vereinen sich für einen kurzen Moment zu einem optischen Majoranon, das als Lichtverteilung gemessen werden kann. Auf diese Weise erstellen die Forscher eine Momentaufnahme des Majoranons zu einem definierten Zeitpunkt. „Durch die Abfolge vieler solcher Einzelaufnahmen, lassen sich Teilchen wie in einem Film beobachten und ihr Verhalten untersuchen“, so Keil.

Das Modell erlaubt den Wissenschaftlern, ein völlig neues Forschungsgebiet zu betreten. „Uns ist es jetzt möglich, Zugriff auf Phänomene zu erhalten, die bisher nur in exotischen Theorien beschrieben werden konnten“, so Szameit. Beispielsweise lassen sich mit diesem System Experimente simulieren, in denen die Ladungserhaltung – ein Grundpfeiler der modernen Physik – außer Kraft gesetzt werden kann. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass man nicht-physikalische Vorgänge im Labor simulieren und so die exotischen Eigenschaften von theoretisch möglichen Teilchen auch praktisch nutzen kann.“ Ein mögliches Anwendungsgebiet dieser simulierten Majoranons sieht Szameit in einer neuen Generation von Quantencomputern.

FSU / RK

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