03.03.2016

Extreme Ereignisse im Gehirn

Komplexe Netzwerke können ihr Verhalten spontan ändern – mög­liche Er­klärung für Epi­lepsie und Migräne.

Über den Computer-Bildschirm ziehen unregelmäßige feuerrote Ringe. Sie vergrößern sich, verschmelzen miteinander, lösen sich auf, bilden Nach­kommen – ein stetiger Kreislauf aus Entstehen und Vergehen. Doch plötzlich wird der Schirm dunkel. Die Ringe sind verschwunden. Ein paar Sekunden lang tut sich nichts. Dann beginnt die dunkle Fläche zu pulsieren. Sie ändert rhythmisch ihre Farbe, kaum wahrnehmbar zunächst, doch dann immer deutlicher. Kurz darauf ein zweiter Wechsel: Die gesamte Fläche blitzt plötzlich rot auf. Schließlich erscheinen die Ringe wieder – das Extrem­ereignis ist vorbei.

Abb.: Chaotischer Sattel, der das Verhalten des in Bonn und Olden­burg ent­wickelten Modells beschreibt. Man kann sich ihn ver­ein­facht als ge­bogenen Pferde­sattel vor­stellen, auf dem eine Kugel ent­lang­rollt. (Bild: U. Bonn)

Forscher der Uni Bonn und der Uni Oldenburg haben ein Modell entwickelt, dessen Verhalten – obwohl es auf strengen Regeln basiert – sich scheinbar spontan ändern kann. Auch in der Natur kommt es häufig zu derartigen Wechseln, etwa bei der Entstehung von Migräne-Attacken oder epileptischen Anfällen: Plötzlich geraten Milliarden von Neuronen zur selben Zeit in einen Ausnahmezustand. Die Regeln, denen sie normalerweise gehorchen, scheinen mit einem Mal außer Kraft gesetzt. Der von den Wissenschaftlern erstmalig beschriebene Mechanismus könnte dazu beitragen, Extrem­ereignisse wie diese besser zu verstehen.

Das Modell ist ein Geflecht von vielen tausend Einzelelementen, den Knoten. Diese sind miteinander vernetzt – sie können also miteinander kommu­ni­zieren und einander beeinflussen. Sie sprechen dabei nicht nur mit ihren Nachbarn, sondern auch mit einigen weit abgelegenen Knoten. Wissen­schaftler sprechen von einem „Small-World“-Netzwerk. Ganz ähnlich kom­mu­ni­zieren auch die Nervenzellen im Gehirn miteinander.

Obwohl die Kommunikationsregeln genau festgelegt sind, zeigen derartige Netzwerke ein sehr komplexes Verhalten. Das liegt einerseits an der Vielzahl der Knoten, andererseits aber auch an der Verdrahtung dieser Knoten unter­ein­ander. „Wir konnten nun zeigen, dass sich das Verhalten derartiger Netz­werke spontan ändern kann“, erklärt Gerrit Ansmann, Erstautor der Arbeit und Doktorand in der Arbeitsgruppe Neurophysik. „Diese Wechsel erfolgen aber nur unter bestimmten Rahmenbedingungen“, erläutert Klaus Lehnertz, Leiter der Arbeitsgruppe. „Wir hoffen, mit unserem Modell besser verstehen zu können, unter welchen Bedingungen es im Gehirn zu Extremereignissen kommt.“

Der Wechsel zwischen den einzelnen Aktivitätsmustern einschließlich der Entstehung und des Verschwindens von Extremereignissen basiert auf einem grundlegenden Mechanismus, der in ähnlicher Form auch für andere Systeme, wie zum Beispiel bei Erregungsmustern im Herz anwendbar ist. Diese Allgemeingültigkeit ermöglicht vielfältige Anwendungen dieser Ergeb­nisse auch in anderen Wissenschaftsgebieten.

RFWU / RK

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