15.04.2011

Fahrrad zeigt überraschende Laufstabilität

Wenn fahrerlose Zweiräder bei der Fahrt nicht umfallen, hat das andere Gründe als bisher gedacht.

Wenn fahrerlose Zweiräder bei der Fahrt nicht umfallen, hat das andere Gründe als bisher gedacht.

Schiebt man ein Fahrrad kräftig an und lässt es auf ebener Fläche allein weiterrollen, so setzt es seine Fahrt über eine große Strecke fort ohne umzufallen. Es stabilisiert seine Bewegungen und richtet sich von selbst auf, wenn es zu kippen beginnt. Dieses erstaunliche Verhalten hatte man bisher auf den Drehimpuls und den Nachlauf des Vorderrads zurückgeführt. Doch jetzt haben Forscher aus den Niederlanden und den USA ein Fahrrad ohne Drehimpuls und Nachlauf gebaut, das sich bei der Fahrt trotzdem selbst stabilisiert.

Abb.: Und es fährt doch: Das experimentelle Zweirad widerlegt die bisherige Theorie über die Laufstabilität von Fahrrädern. (Bild: Sam Rentmeester/FMAX)

Wenn sich ein fahrerloses Zweirad bei der Fahrt zur Seite neigt, bewegt sich sein Vorderrad in dieselbe Richtung. Das Fahrrad wird dadurch umgelenkt, fährt eine Kurve und richtet sich dabei wieder auf, sodass es seine Fahrt fortsetzen kann. Diese Selbststabilisierung klappt allerdings nur, solange das Fahrrad schnell genug fährt. Es darf aber auch nicht zu schnell werden, wie man von Motorrädern weiß, die ihre Fahrstabilität bei zu hoher Geschwindigkeit verlieren.

Dass sich das Vorderrad stets in die richtige Richtung bewegt, wenn das Fahrrad kippt, dafür hatte man zwei plausible Erklärungen. Der Kreiseleffekt: Sobald an dem rotierenden Vorderrad ein Drehmoment angreift, das es nach rechts bzw. links kippen lässt, schlägt das Vorderrad aufgrund seines Drehimpulses nach rechts oder links ein. Der Nachlaufeffekt: Man kennt ihn von den Einkaufswagen im Supermarkt, deren Vorderräder um eine senkrechte Achse drehbar gelagert sind und sich von selbst ausrichten. In welche Richtung man solch einen Wagen auch schiebt oder zieht, stets läuft die Rotationsachse der Vorderräder hinter der senkrechten Achse her. Beim Fahrrad ist die Vorderradgabel meist nach vorne gebogen, sodass die Radachse vor der Lenkungsachse liegt. Der Auflagepunkt des Vorderrades, auf den es ankommt, liegt indes immer hinter der Achse, sodass das Rad einen positiven Nachlauf hat und sich stets richtig ausrichtet.

Doch jetzt haben Forscher um Andy Ruina an der Cornell University und Arend Schwab von der TU Delft ein experimentelles Zweirad konstruiert, das die bisherigen Erklärungen für die Laufstabilität in Frage stellt. Das Gefährt konnte stabil fahren obwohl sein Vorderrad (und das Hinterrad ebenfalls) keinen Drehimpuls besaß und es einen negativen Nachlauf, also einen „Vorlauf“, aufwies. Das Vorderrad befand sich vor der Lenkungsachse und es bestand aus zwei baugleichen Rädern, die entgegengesetzt rotierten.

Die Forscher haben für ihr Zweirad ein Computermodell entwickelt und damit die Laufstabilität untersucht. Demnach stabilisierte sich das Gefährt selbst, wenn es sich mit einer Geschwindigkeit von über 2,3 m/s bewegte, was durch Experimente bestätigt wurde. Die Berechnungen zeigten auch, dass Fahrräder sich instabil verhalten können, obwohl sie nach der bisherigen Theorie sich selbst stabilisieren sollten. Da unterschiedliche und oft miteinander konkurrierende Faktoren das dynamische Verhalten eines Zweirades bestimmen, gibt es vermutlich keine einfache Bedingung für die Laufstabilität.

Nach Meinung der Forscher spricht ihr Ergebnis dafür, ungewöhnliche Fahrradkonstruktionen mit überraschenden Stabilitätseigenschaften auszuprobieren. So behält ihr experimentelles Zweirad auch für beliebig große Geschwindigkeiten seine Laufstabilität.

Rainer Scharf

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