Faszinierend komplex und außerordentlich anspruchsvoll
Explosive Energiefreisetzungen durch Turbulenzen in astrophysikalischen Plasmen.
Plasmen machen schätzungsweise 99 Prozent der sichtbaren Materie im Universum aus, einschließlich der Sonne, der Sterne und des gasförmigen Mediums, das den Zwischenraum durchdringt. Die meisten dieser Plasmen, einschließlich des Sonnenwindes, der ständig von der Sonne ausgeht und durch unser Sonnensystem fegt, existieren in einem turbulenten Zustand. Wie diese Turbulenzen funktionieren, bleibt ein Rätsel; es ist eines der dynamischsten Forschungsgebiete der Plasmaphysik. Jetzt haben zwei Forscher ein neues Modell vorgeschlagen, um diese dynamischen turbulenten Prozesse zu erklären.
Abb.: Magnetische Rekonnexion in Aktion: Turbulenzen in Plasmen führen zu explosiven Energiefreisetzungen. (Bild: NASA)
Die Ergebnisse von Nuno Loureiro, einem außerordentlichen Professor für Nuklearwissenschaft und -technik und Physik am Massachusetts Institute of Technology, und Stanislav Boldyrev, Professor für Physik an der University of Wisconsin in Madison, wurden Ende letzten Jahres im Astrophysical Journal veröffentlicht. Der Artikel ist der dritte einer in 2017 zu diesem Thema erschienenen Folge, in der die wichtigsten Aspekte des Verhaltens dieser turbulenten Ansammlungen geladener Teilchen erläutert werden.
„Natürlich vorkommende Plasmen im Weltraum werden von Magnetfeldern durchzogen und existieren in einem turbulenten Zustand", sagt Loureiro. Das heißt, ihre Struktur ist auf allen Skalen sehr ungeordnet: Wenn man sich die Strähnen und Wirbel, aus denen sich diese Materialien zusammensetzen, immer genauer ansieht, sieht man ähnliche Anzeichen ungeordneter Struktur auf allen Größenebenen. Und während Turbulenzen allgemein ein weit verbreitetes und oft untersuchtes Phänomen sind, das in allen Arten von Flüssigkeiten auftritt, ist die Turbulenz, die in Plasmen auftritt, aufgrund der zusätzlichen Faktoren elektrischer Ströme und magnetischer Felder schwieriger vorherzusagen. „Die magnetisierte Plasmaturbulenz ist faszinierend komplex und außerordentlich anspruchsvoll“, so Loureiro.
Seit mehr als einem Jahrzehnt untersucht Loureiro nun schon das komplizierte Phänomen der magnetischen Rekonnexion. Um den Vorgang zu erklären, nennt er ein bekanntes Beispiel: „Wenn man sich ein Video einer Sonneneruption anschaut, während sie sich nach außen wölbt und dann wieder auf die Sonnenoberfläche zurückfällt, dann ist das magnetische Rekonnexion in Aktion.“ Nicht nur auf der Sonnenoberfläche führt sie zu explosiven Energiefreisetzungen. Loureiros Verständnis dieses Prozesses der magnetischen Rekonnexion hat die Grundlage für eine neue Analyse geliefert, die nun einige Aspekte von Turbulenzen in Plasmen erklären kann.
So fanden Loureiro und Boldyrev heraus, dass die magnetische Rekonnexion eine entscheidende Rolle in der Dynamik der Plasmaturbulenz spielen muss, eine Einsicht, die das Verständnis der Dynamik und der Eigenschaften von Raum und astrophysikalischen Plasmen grundlegend verändert und „tatsächlich eine konzeptionelle Veränderung in der Art und Weise ist, wie man über Turbulenzen denkt“, sagt Loureiro.
Bestehende Hypothesen über die Dynamik der Plasmaturbulenz „können einige Aspekte dessen, was beobachtet wird, richtig vorhersagen“ sagt er, aber sie „führen zu Inkonsistenzen“. Daher schlugen Loureiro und Boldyrev einen anderen Weg ein: „Wir führen die existierenden theoretischen Beschreibungen von Turbulenz und magnetischer Rekonnexion im Wesentlichen zusammen", erklärt Loureiro. So wird das Bild der Turbulenzen konzeptionell modifiziert und führt zu Ergebnissen, die den Beobachtungen von Satelliten, die den Sonnenwind überwachen, und vielen numerischen Simulationen näher kommen.
Abb.: Die Simulation des MIT-Studenten Daniel Groselj zeigt die Stromdichten Jz in einem dem Magnetfeld B0 ausgesetzten Plasma. (Bild: MIT)
Loureiro beeilt sich hinzuzufügen, dass diese Ergebnisse nicht beweisen, dass das Modell korrekt ist, sondern zeigen, dass es mit den vorhandenen Daten konsistent ist. Weitere Forschung sei definitiv notwendig: „Die Theorie macht spezifische, prüfbare Vorhersagen, zudem ist sie ziemlich universell, was die Möglichkeiten für direkte Tests vergrößert.“ So besteht zum Beispiel die Hoffnung, dass eine neue NASA-Mission, die Parker Solar Probe, die für den Start im nächsten Jahr geplant ist und die Korona der Sonne beobachten wird, die notwendigen Beweise liefern könnte. Diese Sonde, so Loureiro, wird der Sonne näher kommen als alle bisherigen Raumschiffe, und sie sollte die genauesten Daten über Turbulenzen in der Korona liefern.
Das Sammeln dieser Informationen sei die Mühe wert, sagt Loureiro. Turbulenz spiele eine entscheidende Rolle bei einer Vielzahl von astrophysikalischen Phänomenen – unter anderem bei Materieflüssen im Kern von Planeten und Sternen, die über einen Dynamoeffekt Magnetfelder erzeugen, beim Transport von Material in Akkretionsscheiben um massive Zentralobjekte wie Schwarze Löcher, bei der Erwärmung von Sternkoronen und -winden sowie bei der Erzeugung von Strukturen im interstellaren Medium. „Ein solides Verständnis der Funktionsweise von Turbulenzen in einem Plasma ist der Schlüssel zur Lösung dieser langjährigen Probleme", sagt er.
„Diese wichtige Studie stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung eines tieferen physikalischen Verständnisses der magnetisierten Plasmaturbulenz dar", sagt Dmitri Uzdensky, außerordentlicher Professor für Physik an der University of Colorado, der an dieser Arbeit nicht beteiligt war. Durch die Aufklärung tiefer Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen zwei ubiquitären und fundamentalen Plasmaprozessen – magnetohydrodynamische Turbulenz und magnetische Rekonnexion – verändert diese Analyse unser theoretisches Bild davon, wie die Energie turbulenter Plasmabewegungen von großen bis zu kleinen Maßstäben kaskadiert.
Uzdensky fügt hinzu: „Diese Arbeit baut auf einer früheren bahnbrechenden Studie auf, die von diesen Autoren Anfang 2017 veröffentlicht wurde, und erweitert sie in einen breiteren Bereich kollisionsfreier Plasmen. Dies macht die daraus resultierende Theorie direkt anwendbar auf realistischere Plasmaumgebungen in der Natur. Gleichzeitig wirft diese Veröffentlichung neue Fragen über Plasmaturbulenz und Rekonnexion auf und eröffnet damit neue Perspektiven in der Weltraum- und Plasma-Astrophysik.
MIT / LK