02.01.2018

Faszinierend komplex und außerordentlich anspruchsvoll

Explosive Energiefreisetzungen durch Turbulenzen in astrophysikalischen Plasmen.

Plasmen machen schätzungsweise 99 Prozent der sichtbaren Materie im Universum aus, einschließlich der Sonne, der Sterne und des gasförmigen Mediums, das den Zwischen­raum durchdringt. Die meisten dieser Plasmen, einschließlich des Sonnen­windes, der ständig von der Sonne ausgeht und durch unser Sonnen­system fegt, existieren in einem turbulenten Zustand. Wie diese Turbu­lenzen funktionieren, bleibt ein Rätsel; es ist eines der dyna­mischsten Forschungs­gebiete der Plasmaphysik. Jetzt haben zwei Forscher ein neues Modell vorge­schlagen, um diese dynamischen turbu­lenten Prozesse zu erklären.

Abb.: Magnetische Rekonnexion in Aktion: Turbulenzen in Plasmen führen zu explosiven Energiefreisetzungen. (Bild: NASA)

Die Ergebnisse von Nuno Loureiro, einem außer­ordentlichen Professor für Nuklear­wissenschaft und -technik und Physik am Massachusetts Institute of Technology, und Stanislav Boldyrev, Professor für Physik an der University of Wisconsin in Madison, wurden Ende letzten Jahres im Astrophysical Journal veröffentlicht. Der Artikel ist der dritte einer in 2017 zu diesem Thema erschienenen Folge, in der die wichtigsten Aspekte des Verhaltens dieser turbulenten Ansamm­lungen geladener Teilchen erläutert werden.

„Natürlich vorkommende Plasmen im Weltraum werden von Magnet­feldern durchzogen und existieren in einem turbulenten Zustand", sagt Loureiro. Das heißt, ihre Struktur ist auf allen Skalen sehr ungeordnet: Wenn man sich die Strähnen und Wirbel, aus denen sich diese Materialien zusammensetzen, immer genauer ansieht, sieht man ähnliche Anzeichen ungeordneter Struktur auf allen Größen­ebenen. Und während Turbulenzen allgemein ein weit verbreitetes und oft untersuchtes Phänomen sind, das in allen Arten von Flüssigkeiten auftritt, ist die Turbulenz, die in Plasmen auftritt, aufgrund der zusätz­lichen Faktoren elektrischer Ströme und magne­tischer Felder schwieriger vorher­zusagen. „Die magnetisierte Plasma­turbulenz ist faszinierend komplex und außerordentlich anspruchsvoll“, so Loureiro.

Seit mehr als einem Jahrzehnt untersucht Loureiro nun schon das komplizierte Phäno­men der magnetischen Rekon­nexion. Um den Vorgang zu erklären, nennt er ein bekann­tes Beispiel: „Wenn man sich ein Video einer Sonnen­eruption anschaut, während sie sich nach außen wölbt und dann wieder auf die Sonnen­oberfläche zurückfällt, dann ist das magne­tische Rekon­nexion in Aktion.“ Nicht nur auf der Sonnen­oberfläche führt sie zu explosiven Energie­frei­set­zungen. Loureiros Verständnis dieses Prozesses der magnetischen Rekon­nexion hat die Grund­lage für eine neue Analyse geliefert, die nun einige Aspekte von Turbu­lenzen in Plasmen erklären kann.

So fanden Loureiro und Boldyrev heraus, dass die magnetische Rekon­nexion eine entschei­dende Rolle in der Dynamik der Plasma­turbulenz spielen muss, eine Einsicht, die das Verständnis der Dynamik und der Eigen­schaften von Raum und astro­physikalischen Plasmen grund­legend verändert und „tatsächlich eine konzep­tionelle Veränderung in der Art und Weise ist, wie man über Turbulenzen denkt“, sagt Loureiro.

Bestehende Hypothesen über die Dynamik der Plasma­turbulenz „können einige Aspekte dessen, was beobachtet wird, richtig vorher­sagen“ sagt er, aber sie „führen zu Inkon­sistenzen“. Daher schlugen Loureiro und Boldyrev einen anderen Weg ein: „Wir führen die existierenden theoretischen Beschrei­bungen von Turbu­lenz und magnetischer Rekon­nexion im Wesentlichen zusammen", erklärt Loureiro. So wird das Bild der Turbu­lenzen konzep­tionell modifiziert und führt zu Ergeb­nissen, die den Beobach­tungen von Satelliten, die den Sonnen­wind überwachen, und vielen nume­rischen Simu­lationen näher kommen.

Abb.: Die Simulation des MIT-Studenten Daniel Groselj zeigt die Stromdichten Jz in einem dem Magnetfeld B0 ausgesetzten Plasma.  (Bild: MIT)

Loureiro beeilt sich hinzuzufügen, dass diese Ergebnisse nicht beweisen, dass das Modell korrekt ist, sondern zeigen, dass es mit den vorhandenen Daten konsistent ist. Weitere Forschung sei definitiv notwendig: „Die Theorie macht spezifische, prüfbare Vorher­sagen, zudem ist sie ziemlich universell, was die Möglich­keiten für direkte Tests vergrößert.“ So besteht zum Beispiel die Hoffnung, dass eine neue NASA-Mission, die Parker Solar Probe, die für den Start im nächsten Jahr geplant ist und die Korona der Sonne beob­achten wird, die not­wendigen Beweise liefern könnte. Diese Sonde, so Loureiro, wird der Sonne näher kommen als alle bisherigen Raum­schiffe, und sie sollte die genauesten Daten über Turbu­lenzen in der Korona liefern.

Das Sammeln dieser Infor­mationen sei die Mühe wert, sagt Loureiro. Turbulenz spiele eine entscheidende Rolle bei einer Viel­zahl von astro­physi­kali­schen Phäno­menen – unter anderem bei Materie­flüssen im Kern von Planeten und Sternen, die über einen Dynamo­effekt Magnet­felder erzeugen, beim Trans­port von Material in Akkretions­scheiben um massive Zentral­objekte wie Schwarze Löcher, bei der Erwärmung von Stern­koronen und -winden sowie bei der Erzeugung von Strukturen im inter­stellaren Medium. „Ein solides Verständnis der Funktions­weise von Turbu­lenzen in einem Plasma ist der Schlüssel zur Lösung dieser langjährigen Probleme", sagt er.

„Diese wichtige Studie stellt einen bedeutenden Schritt in Richtung eines tieferen physikalischen Verständ­nisses der magne­tisierten Plasma­turbulenz dar", sagt Dmitri Uzdensky, außer­ordentlicher Professor für Physik an der University of Colorado, der an dieser Arbeit nicht beteiligt war. Durch die Aufklärung tiefer Zusammen­hänge und Wechsel­wirkungen zwischen zwei ubiquitären und fundamentalen Plasma­prozessen – magneto­hydro­dynamische Turbu­lenz und magnetische Rekon­nexion – verändert diese Analyse unser theore­tisches Bild davon, wie die Energie turbulenter Plasma­bewegungen von großen bis zu kleinen Maß­stäben kaskadiert.

Uzdensky fügt hinzu: „Diese Arbeit baut auf einer früheren bahn­brechen­den Studie auf, die von diesen Autoren Anfang 2017 veröffentlicht wurde, und erweitert sie in einen breiteren Bereich kollisions­freier Plasmen. Dies macht die daraus resultierende Theorie direkt anwendbar auf realistischere Plasma­umgebungen in der Natur. Gleichzeitig wirft diese Veröffent­lichung neue Fragen über Plasma­turbulenz und Rekon­nexion auf und eröffnet damit neue Perspektiven in der Weltraum- und Plasma-Astrophysik.

MIT / LK

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