03.02.2004

Fermionisches Kondensat

Ein neuartiger Materiezustand aus ultrakalten Kaliumatomen könnte Licht auf das Rätsel der Hochtemperatursupraleitung werfen.



Einen neuartigen Materiezustand aus ultrakalten Kaliumatomen haben Forscher von der University of Colorado in Boulder hergestellt. Er könnte Licht auf das Rätsel der Hochtemperatursupraleitung werfen.

Bei tiefen Temperaturen zeigen die Atome ihr wahres Wesen. Sie sind entweder gesellige Bosonen oder einzelgängerische Fermionen. Während bosonische Atome aus einer geraden Zahl von Materiebausteinen (Protonen, Neutronen und Elektronen) bestehen und einen ganzzahligen Spin (0, 1,...) haben, enthalten fermionische Atome eine ungerade Zahl von Bausteinen und ihr Spin ist halbzahlig (1/2, 3/2,...). Kühlt man ein dünnes Gas aus identischen bosonischen Atomen auf einige Milliardstel Kelvin ab, dann sammelt sich ein großer Teil der geselligen Atome im selben Quantenzustand und bildet ein Bose-Einstein-Kondensat. Für die Herstellung solcher Kondensate hatten Eric Cornell, Wolfgang Ketterle und Carl Wieman im Jahr 2001 den Physiknobelpreis erhalten.

Die ungeselligen fermionischen Atome hingegen gehen auch bei starker Abkühlung nicht von sich aus in einen Kondensatzustand über. Wenn es den Atomen aber gelingt, sich paarweise zusammenzuschließen, dann entstehen Bosonen – und diese bosonischen Atompaare können sehr wohl kondensieren. Die fermionischen Atome können sich auf unterschiedliche Weise paaren. Sie können sich chemisch binden und zweiatomige Moleküle bilden, oder aber sie gehen nur eine lockere Bindung ein, indem sie paarweise ihre Bewegungen aufeinander abstimmen. Während die Moleküle ein Bose-Einstein-Kondensat bilden, das einer Supraflüssigkeit ähnelt, hat das Kondensat der locker gebundenen Atome mehr mit einem Supraleiter gemein. Deborah Jin und ihre Mitarbeiter von der University of Colorado in Boulder haben diese verschiedenen Kondensate hergestellt.

Neuer Materiezustand: Mit dem richtigen Magnetfeld entsteht ein fermionisches Kondensat.
(Quelle: Markus Greiner, University of Colorado, Boulder)

Das Ausgangsmaterial für die Kondensate waren ein halbe Million fermionische Kalium-40-Atome (mit 19 Protonen, 19 Elektronen und 21 Neutronen). Die Atome wurden in einer magneto-optischen Falle festgehalten und auf eine Temperatur von weniger als 50 Milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt. Dabei besetzten die Atome die zur Verfügung stehenden Quantenzustände der Reihe nach mit aufsteigender Energie, so dass sich keine zwei Atome im selben quantenmechanischen Zustand befanden. Im vergangenen Jahr haben die Forscher um Deborah Jin (sowie zwei weitere Gruppen) aus den fermionischen Atomen zunächst molekulare Bose-Einstein-Kondensate hergestellt.

Da die extrem kalten Kaliumatome nicht genug Energie für eine chemische Reaktion hatten, mussten die Forscher ein wenig nachhelfen. Sie setzen die Atome einem Magnetfeld aus, dessen Stärke sich langsam veränderte und dabei eine so genannte Feshbach-Resonanz verursachte. Bei einer Feldstärke oberhalb der Resonanz zogen sich die Atome an, unterhalb stießen sie sich ab. Genau an der Resonanz hatten die Moleküle eine verschwindende Bindungsenergie. Wurden Atome langsam durch die Resonanz geführt, so konnten sie trotz ihrer geringen Energie ein wenn auch nur schwach gebundenes Molekül bilden. Am Ende hatten sich fast 90 % der Atome zu Molekülen verbunden, die sich nach einer Weile in einem Bose-Einstein-Kondensat sammelten.

In ihrem neuen Experiment haben Deborah Jin und ihre Mitarbeiter die Kaliumatome zu Paaren verknüpft, die den elektronischen Cooper-Paaren in Supraleitern ähnelten. In einem Supraleiter können sich die (fermionischen) Elektronen trotz ihrer elektrischen Abstoßung paarweise anziehen, indem sie ihre Bewegung im Kristallgitter aufeinander abstimmen. Dann bilden sie bosonische Paare, die bei tiefen Temperaturen kondensieren und dadurch zur Supraleitung führen. Um eine schwache Anziehungskraft zwischen den Kaliumatomen zu erhalten, stellten die Forscher die Stärke des Magnetfeldes, dem die Atome ausgesetzt waren, auf einen Wert oberhalb der Feshbach-Resonanz ein. Die Atome zogen sich daraufhin schwach an, konnten aber keine Moleküle bilden. Es entstanden locker gebundene, bosonische Atompaare, denen die Forscher ausreichend Zeit gaben zu kondensieren.

Direkt nachweisen konnten sie das neuartige „fermionische“ Kondensat zwar nicht, aber sie fanden einen indirekten Weg. Sie verringerten das Magnetfeld sehr schnell, so dass sich die Atome plötzlich auf der andere Seite der Feshbach-Resonanz wiederfanden. Die zunächst locker gepaarten Atome schlossen sich dabei sogleich paarweise zu Molekülen zusammen. Dann schalteten die Forscher die magneto-optische Falle ab und ließen die Molekülwolke auseinander fliegen, um das Bose-Einstein-Kondensat sichtbar zu machen. Es zeigte sich, dass das molekulare Bose-Einstein-Kondensat gleichzeitig mit dem Auftreten der Moleküle vorgelegen hatte. Es war offenbar unmittelbar aus einem fermionischen Kondensat der Atome entstanden.

Die große Ähnlichkeit des fermionischen Atomkondensats mit einem Supraleiter könnte auch Licht auf die noch immer rätselhafte Hochtemperatursupraleitung werfen. Die Temperatur, unterhalb der es zur Supraleitung kommt, ist umso höher, je stärker sich die Elektronen eines Cooper-Paares anziehen. Deshalb sucht man unter anderem nach Substanzen, bei denen diese Anziehungskräfte möglichst stark sind. Fermionische Kondensate aus Atomen eröffnen hier die Möglichkeit, die Anziehungskräfte mit Hilfe von Feshbach-Resonanzen in weiten Grenzen zu verändern. Vielleicht lassen sich auf diesem Wege Supraleiter entwickeln, die ihre ungewöhnlichen Eigenschaften auch bei Zimmertemperatur behalten.

Rainer Scharf

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