Fließphänomene an festen Oberflächen
Spezielle Beschichtung verringert Scherkräfte und erhöht die Fließgeschwindigkeit.
Wie Flüssigkeiten auf festen Oberflächen ähnlich wie ein Schlitten gleiten können, haben jetzt Forscher der Saar-Universität gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich gezeigt: Möglich ist das durch Beschichtungen, die an der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Oberfläche ein Rutschen der Flüssigkeit provozieren. In der Folge vergrößern sich auch die mittlere Fließgeschwindigkeit und der Durchsatz. Die Wissenschaftler konnten das am Verhalten von Tropfen auf verschieden beschichteten Oberflächen beim Übergang in den Gleichgewichtszustand zeigen. Die Ergebnisse könnten für die Optimierung industrieller Prozesse nutzbar sein, beispielsweise zur Verarbeitung von Kunststoffen.
Abb.: Polystyrol-Tropfen nehmen auf zwei unterschiedlichen Substraten langsam denselben Gleichgewichtskontaktwinkel ein, jedoch über unterschiedliche Geschwindigkeits- und Bewegungsprofile der Moleküle. (Bild: T. Braun, Heidelberg)
Strömen Flüssigkeiten über feste Oberflächen, so ist ihre Fließgeschwindigkeit unmittelbar an der Grenzfläche gleich null. „Durch eine spezielle Beschichtung der Oberfläche lässt sich die Grenzflächengeschwindigkeit der Flüssigkeit erhöhen. Damit verkleinern sich gleichzeitig die Scherkräfte innerhalb der Flüssigkeit, und ihre mittlere Fließgeschwindigkeit wird größer – maximal so viel, dass sich die Flüssigkeit nahezu wie ein Festkörper verhält, ohne jedoch ihre Viskosität zu ändern“, sagt Karin Jacobs von der Saar-Uni. Wie sich unterschiedliche Oberflächen genau auf die Grenzflächengeschwindigkeiten und das Gleitverhalten von Flüssigkeitsfilmen auswirken, hat ihre Arbeitsgruppe anhand von Experimenten mit Polystyrol-Tropfen untersucht. „Polystyrol ist ein wichtiger Kunststoff, aus dem beispielsweise CD-Hüllen hergestellt werden“, erläutert Joshua McGraw. Der ehemalige Postdoc-Mitarbeiter in der Forschungsgruppe von Jacobs hat die Studie geleitet und dabei mit Wissenschaftlern am ESPCI ParisTech in Paris zusammengearbeitet.
McGraw brachte einzelne Polystyrol-Tropfen auf dünne Unterlagen aus Glimmer auf, wo sie eine recht flache Form einnahmen. In diesem Zustand wurden sie eingefroren und auf zwei neue, weniger polystyrolfreundliche Substrate aufgebracht, die sich an der Oberfläche nicht in ihrer chemischen Zusammensetzung, sondern nur in der Anordnung ihrer Atome voneinander unterschieden. Auf beiden zogen sich die Tropfen zu einer nahezu halbkugeligen Form zusammen. „Tropfen haben immer die Tendenz, eine Gleichgewichtsform anzunehmen, bei der sie einen bestimmten Kontaktwinkel zur Oberfläche bilden. Dieser Gleichgewichtszustand wird von den Grenzflächenbedingungen bestimmt“, erklärt Jacobs. Auf beiden Substraten nahmen die Polystyrol-Tropfen den gleichen Gleichgewichtskontaktwinkel ein, allerdings zeigten Tropfenprofil-Messungen mit dem Rasterkraftmikroskop deutliche Unterschiede in der Art und Weise, wie sich die Tropfen beim Übergang vom kleineren zum größeren Kontaktwinkel in ihre neue Form zusammenziehen. Das konnte nur bedeuten, dass sich die Moleküle in den Tropfen auf den zwei verschiedenen Unterlagen auf unterschiedlichen Wegen bewegen, also das Geschwindigkeitsprofil in beiden Tropfen unterschiedlich sein musste. Experimentell ist das in der benötigten Auflösung allerdings nicht zugänglich. Daher war das Team auf Unterstützung durch die theoretisch arbeitenden Kollegen in Paris angewiesen.
Die Saarbrücker Wissenschaftler vermuteten nämlich, dass die Geschwindigkeit der Flüssigkeit an der festen Oberfläche ein entscheidender Faktor für das Fließverhalten von Flüssigkeiten ist. Diese in ein Modell einzupflegen, gelang den Kollegen am ESPCI in Paris. Aus der theoretischen Beschreibung konnte das Team in Saarbrücken anschließend Simulationen erstellen, die das Geschwindigkeitsfeld der Moleküle innerhalb eines Tropfens offenbaren. „Damit konnten wir zeigen, dass bereits atomar kleine Modifikationen einer festen Oberfläche zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Moleküle in einem flüssigen System führen können, welches die Dicke der Oberflächenbeschichtung um viele Größenordnungen übertrifft“, fasst Jacobs die Ergebnisse der Experimente zusammen.
Die Forschungsergebnisse können dazu beitragen, industrielle Prozesse zu optimieren, beispielsweise „beim Strangpressen von Polymeren“, so Jacobs. Dabei werden Kunststoffe durch Düsen gepresst, dabei wirken hohe Scherkräfte. „Nachdem das Material die Presse passiert hat, weitet sich der Strang aufgrund der nun geringeren Fließgeschwindigkeit auf“, so Jacobs. „Diese Strangaufweitung ist in der Industrie meist unerwünscht und könnte mit einer geeigneten Düsenbeschichtung unterdrückt werden.“
UdS / RK