10.02.2016

Fließphänomene an festen Oberflächen

Spezielle Beschichtung verringert Scherkräfte und erhöht die Fließ­ge­schwin­dig­keit.

Wie Flüssigkeiten auf festen Oberflächen ähnlich wie ein Schlitten gleiten können, haben jetzt Forscher der Saar-Universität gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich gezeigt: Möglich ist das durch Beschichtungen, die an der Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Oberfläche ein Rutschen der Flüs­sig­keit provozieren. In der Folge vergrößern sich auch die mittlere Fließ­ge­schwin­dig­keit und der Durchsatz. Die Wissenschaftler konnten das am Verhalten von Tropfen auf verschieden beschichteten Oberflächen beim Übergang in den Gleichgewichtszustand zeigen. Die Ergebnisse könnten für die Optimierung industrieller Prozesse nutzbar sein, beispielsweise zur Verarbeitung von Kunststoffen.

Abb.: Polystyrol-Tropfen nehmen auf zwei unter­schied­lichen Sub­straten lang­sam den­selben Gleich­gewichts­kontakt­winkel ein, jedoch über unter­schied­liche Geschwin­dig­keits- und Bewegungs­profile der Mole­küle. (Bild: T. Braun, Heidel­berg)

Strömen Flüssigkeiten über feste Oberflächen, so ist ihre Fließ­ge­schwin­dig­keit unmittelbar an der Grenzfläche gleich null. „Durch eine spezielle Be­schich­tung der Ober­fläche lässt sich die Grenz­flächen­geschwin­dig­keit der Flüssig­keit erhöhen. Damit ver­kleinern sich gleich­zeitig die Scher­kräfte inner­halb der Flüssig­keit, und ihre mittlere Fließ­geschwin­dig­keit wird größer – maximal so viel, dass sich die Flüssig­keit nahezu wie ein Fest­körper verhält, ohne jedoch ihre Vis­ko­sität zu ändern“, sagt Karin Jacobs von der Saar-Uni. Wie sich unter­schied­liche Ober­flächen genau auf die Grenz­flächen­geschwin­dig­keiten und das Gleit­ver­halten von Flüssig­keits­filmen aus­wirken, hat ihre Arbeits­gruppe anhand von Experi­menten mit Poly­styrol-Tropfen unter­sucht. „Poly­styrol ist ein wichtiger Kunst­stoff, aus dem beispiels­weise CD-Hüllen herge­stellt werden“, erläutert Joshua McGraw. Der ehe­malige Postdoc-Mitar­beiter in der Forschungs­gruppe von Jacobs hat die Studie geleitet und dabei mit Wissen­schaftlern am ESPCI ParisTech in Paris zusammen­gear­beitet.

McGraw brachte einzelne Polystyrol-Tropfen auf dünne Unterlagen aus Glimmer auf, wo sie eine recht flache Form einnahmen. In diesem Zustand wurden sie eingefroren und auf zwei neue, weniger polystyrolfreundliche Substrate aufgebracht, die sich an der Oberfläche nicht in ihrer chemischen Zusammensetzung, sondern nur in der Anordnung ihrer Atome voneinander unterschieden. Auf beiden zogen sich die Tropfen zu einer nahezu halb­kugeligen Form zusammen. „Tropfen haben immer die Tendenz, eine Gleichgewichtsform anzunehmen, bei der sie einen bestimmten Kontakt­winkel zur Ober­fläche bilden. Dieser Gleichgewichtszustand wird von den Grenzflächenbedingungen bestimmt“, erklärt Jacobs. Auf beiden Substraten nahmen die Polystyrol-Tropfen den gleichen Gleich­gewichts­kontakt­winkel ein, allerdings zeigten Tropfenprofil-Messungen mit dem Rasterkraftmikroskop deutliche Unterschiede in der Art und Weise, wie sich die Tropfen beim Übergang vom kleineren zum größeren Kontakt­winkel in ihre neue Form zusammenziehen. Das konnte nur bedeuten, dass sich die Moleküle in den Tropfen auf den zwei verschiedenen Unterlagen auf unterschiedlichen Wegen bewegen, also das Geschwindigkeitsprofil in beiden Tropfen unterschiedlich sein musste. Experimentell ist das in der benötigten Auflösung allerdings nicht zugänglich. Daher war das Team auf Unterstützung durch die theoretisch arbeitenden Kollegen in Paris angewiesen.

Die Saarbrücker Wissenschaftler vermuteten nämlich, dass die Geschwin­dig­keit der Flüssigkeit an der festen Oberfläche ein entscheidender Faktor für das Fließverhalten von Flüssigkeiten ist. Diese in ein Modell einzupflegen, gelang den Kollegen am ESPCI in Paris. Aus der theoretischen Beschreibung konnte das Team in Saarbrücken anschließend Simulationen erstellen, die das Geschwindigkeitsfeld der Moleküle innerhalb eines Tropfens offenbaren. „Damit konnten wir zeigen, dass bereits atomar kleine Modifikationen einer festen Oberfläche zu unterschiedlichen Geschwin­dig­keiten der Moleküle in einem flüssigen System führen können, welches die Dicke der Ober­flächen­beschich­tung um viele Größenordnungen übertrifft“, fasst Jacobs die Ergebnisse der Experimente zusammen.

Die Forschungsergebnisse können dazu beitragen, industrielle Prozesse zu optimieren, beispielsweise „beim Strangpressen von Polymeren“, so Jacobs. Dabei werden Kunststoffe durch Düsen gepresst, dabei wirken hohe Scher­kräfte. „Nachdem das Material die Presse passiert hat, weitet sich der Strang aufgrund der nun geringeren Fließgeschwindigkeit auf“, so Jacobs. „Diese Strangaufweitung ist in der Industrie meist unerwünscht und könnte mit einer geeigneten Düsenbeschichtung unterdrückt werden.“

UdS / RK

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