Flug durch die Teilchenwolke
Erstmals Bewegung eines Ions durch ein Bose-Einstein-Kondensat beobachtet.
Transportprozesse in Materie geben immer noch viele Rätsel auf. Ein Forschungsteam um Florian Meinert von der Uni Stuttgart hat jetzt eine neue Methode entwickelt, die es erstmals erlaubt, ein einzelnes geladenes Teilchen auf seinem Weg durch eine dichte Wolke aus Quantenteilchen zu beobachten. Das Team nutzt dafür ein Bose-Einstein-Kondensat, kurz BEC. In diesem exotischen Quantenzustand befinden sich die Atome in einer dichten und ultrakalten Wolke. Mit ausgeklügelter Lasertechnik präparierten sie im BEC ein einzelnes Rydbergatom. In diesem Riesenatom befindet sich das äußere Elektron tausendmal weiter weg vom Kern als im Grundzustand und ist nur noch schwach an den Kern gebunden.
Mit einer speziellen Sequenz von elektrischen Feldpulsen entreißen die Forscher dem Atom dieses Elektron. Das vormals neutrale Atom verwandelt sich in ein positiv geladenes Ion, das bei diesem Kraftakt trotzdem ultrakalt bleibt. Im Anschluss wird das Ion mit Hilfe elektrischer Felder kontrolliert durch die dichte Atomwolke des BECs gezogen. Das Ion nimmt in dem elektrischen Feld an Fahrt auf und stößt auf seinem Weg mit anderen Atomen zusammen, wird abgebremst und durch das elektrische Feld wieder beschleunigt. Den Forschern gelang es, über dieses Wechselspiel aus Beschleunigung und Abbremsen das Ion in einer konstanten Bewegung gezielt durch das BEC zu bewegen.
„Wir können mit dieser neuen Methode erstmals die Mobilität eines einzelnen Ions in einem Bose-Einstein-Kondensat messen“, freut sich Team-Mitglied Thomas Dieterle. Im nächsten Schritt möchten die Forscher die Kollisionen zwischen dem Ion und den Atomen bei noch niedrigeren Temperaturen beobachten, bei denen die Gesetze der klassischen Mechanik keine Rolle mehr spielen und die Quantenmechanik die Prozesse bestimmt.
„Mit dem Transport eines einzelnen Ions haben wir ein Modellsystem geschaffen, das es uns erlaubt, künftig auch komplexere Transportprozesse in Vielteilchensystemen besser zu verstehen“, ist sich Meinert sicher. „Das könnte zum Beispiel in bestimmten Festkörpern oder für die Supraleitung relevant sein.“ Die Messungen sind dabei auch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erforschung von Polaronen, exotischer Quasiteilchen, die durch Wechselwirkung von Atomen und Ionen entstehen können.
Die Wissenschaftler arbeiten bereits an einem Ionenmikroskop, mit dem sich Kollisionen zwischen Atomen und einzelnen Ionen direkt beobachten lassen. Während ein Elektronenmikroskop mit negativ geladenen Teilchen ein Bild erzeugt, geschieht das im Ionenmikroskop mit positiv geladenen Ionen. Die Ionen werden dabei mit elektrostatischen Linsen abgelenkt ähnlich wie Lichtstrahlen in einem klassischen optischen Mikroskop.
U. Stuttgart / RK
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- Originalveröffentlichung
T. Dieterle et al.: Transport of a single cold ion immersed in a Bose-Einstein condensate, Phys. Rev. Lett. 126, 033401 (2021); DOI: 10.1103/PhysRevLett.126.033401 - 5. Physikalisches Institut, Universität Stuttgart