Forscher bilden erstmals Ladungsverteilung innerhalb eines Moleküls ab
IBM-Wissenschaftler schaffen Erweiterung der wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten von Rastersondenmikroskopen.
Fabian Mohn, Leo Gross, Nikolaj Moll und Gerhard Meyer von IBM-Research Zürich berichten, dass sie mithilfe der Kelvin-Rasterkraftmikroskopie bei tiefen Temperaturen und Ultrahochvakuum erstmals die Ladungsverteilung innerhalb eines einzelnen Moleküls – im vorliegenden Fall Naphthalocyanin – direkt abbilden konnten. Die IBM-Forscher um Gerhard Meyer haben in den letzten Jahren bereits wichtige Fortschritte auf dem Gebiet der Oberflächenmikroskopie erzielt. So konnten sie erstmals die Elektronenorbitale einzelner Moleküle mit dem Rastertunnelmikroskop (STM) abbilden und sogar die chemische Struktur einzelner Moleküle mit dem Rasterkraftmikroskop (AFM) auflösen. Nun haben sie erstmals gezeigt, dass direkte Einblicke auch in die Ladungsverteilung einzelner Moleküle möglich sind.
Abb.: 3 D-Abbildung eines einzelnen Naphtalocyanin-Moleküls durch ein Kelvin-Rasterkraftmikroskop mit CO-funktionalisierter Spitze. (Bild: IBM Research – Zürich)
Neben den bisherigen STM- und AFM-Messungen liefert die neue Technik komplementäre Informationen über die physikalischen und elektronischen Eigenschaften von Molekülen. Das ist vergleichbar mit Bildgebungsverfahren in der Medizin. Dort liefern Röntgen-, Magnetresonanztomographie- oder etwa Ultraschallaufnahmen unterschiedliche, sich ergänzende Informationen über den Zustand eines Patienten.
„Unsere Technik bietet einen zusätzlichen Informationskanal, der hilft, das Wissen über die Physik auf der atomaren und molekularen Skala zu erweitern und die Entwicklung neuer funktionaler und massgeschneiderter Nano-Bauelemente voranzubringen“, erklärt Fabian Mohn aus der IBM-Forschungsgruppe „Physics of Nanoscale Systems“.
Die Technik könnte zum Beispiel verwendet werden, um die Ladungstrennung und den Ladungstransport in Ladungs-Transfer-Komplexen zu untersuchen. Diese bestehen aus zwei oder mehreren Molekülen und sind Gegenstand intensiver Forschungstätigkeit, weil ihnen grosses Potenzial für Anwendungen wie Energiespeicherung oder Photovoltaik zugeschrieben wird.
Wird die Spitze eines Rastersondenmikroskops sehr nahe über eine leitende Probe gebracht, so entsteht ein elektrisches Feld aufgrund der unterschiedlichen elektrischen Potenziale von Spitze und Probe. Durch Anlegen einer Spannung an die Spitze, die exakt dieses elektrische Feld kompensiert, kann die Potenzialdifferenz gemessen und dadurch die Ladungsverteilung bestimmt werden.
Den Forschern gelang es nun, die Potenzialdifferenz für tausende einzelner Messpunkte über einem Molekül zu bestimmen und dadurch erstmals ein präzises Bild der Ladungsverteilung innerhalb des Moleküls zu erlangen. Bei diesem Kelvin-Rasterkraftmikroskopie genannten Verfahren wird dabei nicht direkt die elektrische Ladung gemessen, sondern das elektrische Feld, das von dieser Ladung erzeugt wird. Dieses variiert lokal mit der Ladungsverteilung. Die hellen und dunklen bzw. roten und blauen Bereiche in den Abbildungen entsprechen dabei den Regionen negativer und positiver Ladung im Molekül.
Um die erstmalige submolekulare Auflösung der Ladungsverteilung zu erreichen, waren eine sehr hohe thermische und mechanische Stabilität sowie atomare Präzision über den gesamten Zeitraum des Experiments von mehreren Tagen notwendig. Dichtefunktionaltheorie-Berechnungen, die in Zusammenarbeit mit Nikolaj Moll von der Forschungsgruppe „Computational Sciences“ durchgeführt wurden, untermauerten die experimentellen Resultate.
„Diese Arbeit demonstriert eine bedeutende neue Fähigkeit“, sagt Michael Crommie von der University of California in Berkeley. „Die Ladungsverteilung ist entscheidend, um zu verstehen, wie sich Moleküle in unterschiedlichen Umgebungen verhalten. Ich erwarte, dass diese Technik künftig grosse Bedeutung in Gebieten haben wird, in denen Physik, Chemie und Biologie zusammentreffen.“
IBM Research Zürich / PH