Fraktale im Knochen
Elektronenmikroskopie offenbart dreidimensionale Nanostruktur mit zwölf Hierarchiestufen.
Knochen halten dank ihres komplexen Aufbaus teils sehr großen Belastungen stand. Durch die Kombination von weichen und starren Substanzen zeigen sie eine hohe Festigkeit bei gleichzeitiger Elastizität. Außen bestehen sie aus kompaktem Knochengewebe, im Innern findet sich ein schwammartiges Gerüst. Mit mehreren mikroskopischen Verfahren entschlüsselten nun deutsche und britische Wissenschaftler die innere Knochenstruktur erstmals bis auf die Nanoebene. Dabei zeigte der hierarchische, dreidimensionale Aufbau aus harten Mineralen und flexiblen Proteinen einen fraktalartigen Aufbau über zwölf Stufen.
Abb.: STEM-Aufnahmen offenbaren die filigranen, faserförmigen Nanostrukturen aus weichem Kollagen und harten Apatit-Kristallen in menschlichen Oberschenkelknochen. (Bild: N. Reznikov et al., Science 2018)
Trotz intensiver Forschung war der exakte Knochenaufbau bisher noch nicht in allen Details bekannt und Gegenstand teils kontroverser Diskussionen. Mit ihrer Analyse liefern nun Physiker Roland Kröger von der University of York und seine Kollegen vom Imperial College London eine wichtige Datenbasis, um die hohe Stabilität von Knochen exakter erklären zu können. Sie kombinierten mit der Transmissionselektronenmikroskopie und ausgeklügelten Tomographiemethoden mehrere bildgebende Verfahren, um die Knochenstruktur mit einer Auflösung von wenigen Nanometern zu entschlüsseln.
Für ihre Arbeit nutzten die Wissenschaftler Proben von Oberschenkelknochen, die unter Beachtung strenger ethischer Standards bei Operationen von zwei Frauen im Alter von 48 und 50 Jahren mit deren Einverständnis gewonnen wurden. Kröger und Kollegen benötigten für ihre Analysen teils nur etwa 100 Nanometer dünne Knochenschnitte. Mit einem Transmissionselektronenmikroskop (TEM) gewannen sie einen zweidimensionalen Überblick über die innere Knochenstruktur. Einen dreidimensionalen Einblick erhielten sie über mehrere Aufnahmen mit einem Rastertransmissionselektronenmikroskop (STEM), die unter verschiedenen Winkeln aufgenommen wurden.
Im Wesentlichen bilden Knochen ein Kompositmaterial aus zwei Substanzen: das flexible Strukturprotein Kollagen und die harten Kristalle des Minerals Apatit. Diese beiden Substanzen verknüpfen sich in einem hierarchischen Aufbau miteinander. Knochen erreichen dadurch mechanische Eigenschaften, die besser sind als die von jeder Substanz allein. Genau diesen hierarchischen Aufbau vom Molekül bis zum Knochen als Ganzes machten die Wissenschaftler über die Kombination der mikroskopischen Verfahren mit zuvor unerreichter Genauigkeit sichtbar. Ihr Ergebnis: Weiches Kollagen und hartes Apatit setzt sich über insgesamt zwölf Stufen zu sich selbst ähnlichen, fraktalartigen Strukturen zusammen.
Abb.: Auf dieser TEM-Aufnahme sind zuvor unbekannte, nur etwa fünf Nanometer kleine propellerähnliche Strukturen aus Apatit-Kristallen sichtbar. (Bild: N. Reznikov et al., Science 2018)
Unterhalb von 100 Nanometern lagern sich Kollagen-Moleküle zu zunehmend komplexeren, in sich gewundenen Mikrofasern zusammen. Im gleichen Größenbereich formen die harten Apatit-Kristalle zuerst kleine Nanoplättchen, die sich darauf zu winzigen Stapeln zusammenlagern. Auch ineinander verdrehte Stapel vergleichbar mit winzigen Propellern sind dabei möglich. Erst in der folgenden Stufe verknüpfen sich die weichen Kollagen-Fasern mit den harten, kristallinen Apatit-Stapeln zu wenige Mikrometer großen Fasern. Diese Fasern ordnen sich in teils geordneten, teils ungeordneten Strukturen zusammen, um sich dann zu größeren Faserbündeln zu verdrillen. Mehrere Faserbündel bilden geschichtete Lamellenstrukturen, die schließlich als Bausteine für wenige Millimeter große Lamellen-Pakete in der Knochenstruktur dienen.
Dieser verblüffende Einblick in den Aufbau von menschlichen Knochen liefert nicht nur eine Datenbasis, um die mechanischen Eigenschaften des im Körper stets nachwachsenden Gewebes besser zu verstehen. Die Aufnahmen von Kröger und Kollegen könnten nun zu konkreten Anwendungen im medizinischen Bereich bei der Optimierung des Knochenaufbaus von Patienten führen. Zudem könnte diese Detailanalyse auch neue Impulse bei der Entwicklung hochfester und zugleich flexibler bionischer Werkstoffe geben.
Jan Oliver Löfken
Weitere Infos
Weitere Beiträge
JOL