Fraktale Unordnung im Hochtemperatursupraleiter
In Lanthankuprat bilden überschüssige Sauerstoffatome ein Fraktal und fördern damit die Supraleitung.
In Lanthankuprat bilden überschüssige Sauerstoffatome ein Fraktal und fördern damit die Supraleitung.
Die Hochtemperatursupraleitung der Kuprate wirft auch fast 25 Jahre nach ihrer Entdeckung noch viele Fragen auf. Sie beruht auf der reibungsfreien Bewegung von Elektronenpaaren in den CuO2-Ebenen der Kupratkristalle. Allerdings muss man die ursprünglich nichtleitenden Kuprate mit Sauerstoffatomen dotieren, damit sie metallisch und schließlich bei Abkühlung supraleitend werden. Die Sauerstoffatome bringen die benötigten zusätzlichen Elektronen in die CuO2-Ebenen, während sich die Atome selbst in den Schichten zwischen den CuO2-Ebenen einnisten und lokal ein Streifenmuster bilden. Darüber hinaus hat die Anordnung der Sauerstoffatome fraktale Eigenschaften, die der Supraleitung förderlich zu sein scheinen, wie jetzt Untersuchungen an Lanthankuprat gezeigt haben.
Forscher um Antonio Bianconi von der Universität Rom haben die Anordnung der überzähligen Sauerstoffatome in sauerstoffdotiertem La2CuO4+y (y≈ 0,1) durch mikroskopisch aufgelöste Röntgenstrahlbeugung unter die Lupe genommen. Dazu haben sie an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble einen Elektronenstrahl durch einen Undulator geschickt und die entstehende Röntgenstrahlung von ca. 12 keV auf eine kristalline Probe aus Lanthankuprat gelenkt.
Der Röntgenstrahl beleuchtete einen 1 µm2 großen Fleck der Kristalloberfläche, die parallel zu den CuO2-Ebenen ausgerichtet war. Die reflektierte Strahlung wurde von einem CCD-Detektor aufgefangen, der das lokale Beugungsmuster registrierte. Indem die Forscher die etwa 0,2 mm2 große Probe mit dem Röntgenstrahl abtasteten, konnten sie anhand der aufgenommenen Beugungsmuster rekonstruieren, wie sich die lokale, streifenförmige Anordnung der auf Zwischengitterplätzen sitzenden überzähligen Sauerstoffatome über den Kristall hinweg änderte.
Abb.: Die fraktale Verteilung der streifenförmig angeordneten Sauerstoffatome in einer supraleitenden Probe mit (a) hoher und (b) niedrigerer Sprungtemperatur. (Bild: Michela Fratini et al., Nature)
Das Ergebnis war überraschend: Die lokale, von 1 µm2 großen Bereichen des Streifenmusters hervorgerufene Beugungsintensität hatte fraktale Eigenschaften. Die Intensität war nicht konstant sondern zeigte über der Probenoberfläche starke Schwankungen. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Intensität folgte einem Potenzgesetz: P(x) = xa exp(-x/x0), mit dem Exponenten a=2,6 und einem exponentiellen Cut-off x0, der von der Präparation der Probe abhing. Dabei zeigte es sich, dass der Cut-off einer Probe umso größer war, je höher ihre Sprungtemperatur lag, bei der die Probe supraleitend wurde.
Das Potenzgesetz für die Intensität des Streifenmusters ist ein Indiz dafür, dass die überzähligen Sauerstoffatome ein fraktales Muster bildeten, bei dem keine Längenskala ausgezeichnet war. Die Forscher überprüften dies, indem sie die räumlichen Korrelationen der Intensität des Streifenmusters berechneten. Wie stark bedingte das Vorhandensein des Streifenmusters an einem Ort sein Auftreten an einem anderen Ort in einer bestimmten Entfernung r? Auch die räumliche Korrelationsfunktion folgte einem Potenzgesetz mit exponentiellem Cut-off: G(r) = rb exp(-r/r0). Der Exponent hatte für alle untersuchten Proben nahezu denselben Wert b=0,3, während der Cut-off r0 umso größer war, je höher Tc lag.
Da der Cut-off r0 angibt, bis zu welchen Distanzen die Verteilung der Sauerstoffatome einem Fraktal folgt, ergibt sich eine bemerkenswerte Schlussfolgerung: Die Sprungtemperatur des Lanthankuprats war umso höher, je größer die von den Sauerstoffatomen gebildeten fraktalen Bereiche waren. Andererseits liegen die ermittelten Werte für den Cut-off bei einigen Zehntelmillimetern! Das ist wesentlich größer als die Längenskalen, die normalerweise für die Hochtemperatursupraleiter von Bedeutung sind, wie etwa die Kohärenzlänge der Elektronendichte im Supraleiter oder die Eindringtiefe eines Magnetfeldes, die im Bereich von Nano- bzw. Mikrometern liegen.
Es ist unklar, ob die fraktale Anordnung der Sauerstoffatome für die verbesserte Supraleitung verantwortlich ist oder ob sich die Atome deshalb so anordnen, weil sie von Elektronen dazu veranlasst werden, deren räumliche Quantenfluktuationen als fraktale Struktur „eingefroren“ sind. Die Hochtemperatursupraleitung bleibt voller Überraschungen.
RAINER SCHARF
Weitere Infos
- Gruppe von Antonio Bianconi an der Universität Rom:
http://www.roma1.infn.it/stripes/
Weitere Literatur
- Paul G. Evans and Eric D. Isaacs: Magnetic x-ray microdiffraction. J. Phys. D: Appl. Phys. 39, R245 (2006)
http://dx.doi.org/10.1088/0022-3727/39/15/R01
KP