09.01.2018

Frequenzschwankungen im Stromnetz nicht gaussverteilt

Fluktuationen hängen sowohl von erneuerbaren Energie­quellen als auch vom Strom­handel ab.

Unser Alltag hängt mehr denn je von einer sicheren und zuver­lässigen Ver­sorgung mit elek­trischer Energie ab. Die voran­schrei­tende Energie­wende stellt dabei Strom­erzeuger und Strom­netz­betreiber vor neue Heraus­forde­rungen. Um zusätz­liche erneuer­bare Energie­erzeuger in das Strom­netz zu inte­grieren wird oft­mals vorge­schlagen, das Netz in kleine autonome Zellen aufzu­teilen. Damit könnte beispiels­weise eine Gemeinde mit einem Block­heiz­kraft­werk und ihrer eigenen Wind- und Photo­voltaik-Erzeugung weitest­gehend energie­autonom operieren. Aber wie wirken sich die Auf­tei­lung in kleine Zellen und zusätz­liche erneuer­bare Erzeuger auf das Strom­netz aus? Um diese Frage zu beant­worten haben Benjamin Schäfer und Marc Timme vom MPI für Dynamik und Selbst­organi­sation und der TU Dresden zusammen mit Kollegen anderer Institute die Schwan­kungen der Netz­frequenz in Strom­netzen in ver­schie­denen Regionen der Welt analy­siert und mit Hilfe mathe­ma­tischer Modelle Vor­her­sagen über mögliche Anfällig­keiten und Ursachen erstellt.

Abb.: Frequenzmessungen in Deutschland aus dem Jahr 2015. Die Strom­netz­frequenz zeigt große Sprünge insbe­son­dere bei den Handels-Inter­vallen von 15 Minuten. Meist bleibt die Netz­frequenz inner­halb des gelben Bereichs, doch Aus­reißer nach oben und unten (grau) sind vor allem alle 15 Minuten sehr wahr­schein­lich. (Bild: MPIDS)

Das Stromnetz in Deutschland und in ganz Europa funktioniert mit einer Netz­frequenz von fünfzig Hertz. Diese Frequenz wird meist mittels Turbinen erzeugt, die mit fünfzig Umdre­hungen pro Sekunde rotieren. Ent­zieht ein Ver­braucher dem Strom­netz mehr elek­trische Energie, beispiels­weise weil ein Aluminium­werk den Betrieb auf­nimmt, so sinkt die Netz­frequenz leicht ab, bevor eine gestei­gerte Energie­ein­speisung die vor­herige Frequenz wieder­her­stellt. Die Abwei­chungen von dem Soll­wert dürfen nicht zu groß werden, da sonst empfind­liche elek­trische Geräte beschädigt werden können.

Auch erneuerbare Energieerzeuger verursachen Schwankungen der Netz­frequenz, da der Wind nicht immer mit der gleichen Stärke weht oder Wolken für eine ständig schwan­kende Ein­spei­sung durch Photo­voltaik­anlagen sorgen. Die Frage, der das inter­natio­nale Forscher­team nach­ge­gangen ist: Beein­flussen die erneuer­baren Energien die Netz­frequenz und damit die Ver­sorgungs­sicher­heit so drama­tisch wie oft­mals behauptet wird? Und wie wahr­schein­lich sind gefähr­liche Abwei­chungen von der Soll­frequenz?

Um eine Antwort zu finden, haben die Forscher zunächst Messungen aus Deutsch­land, Frank­reich, Groß­britan­nien, Finn­land, Mallorca, Japan und den USA zusammen­ge­tragen. Dabei ist zu beachten, dass Deutsch­land nicht iso­liert Strom erzeugt und ver­braucht, sondern über das europä­ische Verbund­system Strom mit den meisten Ländern Kontinental­europas und darüber hinaus aus­tauscht. Ebenso ist Finn­land Teil des nordischen Verbunds, während die USA in mehrere Regionen auf­ge­teilt sind und Messungen der „Eastern Inter­connec­tion“ ver­wendet wurden, dem größten Ver­bund, der auch Teile Kanadas umfasst.

Eine systematische Analyse der Daten zeigte zwei Über­raschungen. Erstens zeigt das europä­ische Netz alle 15 Minuten besonders starke Schwan­kungen. Das ist genau der Zeit­raum, in dem sich Erzeuger auf dem Strom­markt in Europa auf eine neue Ver­tei­lung für die Erzeu­gung einigen und sich damit auch ändert, wo wie viel Strom in das Netz ein­ge­speist wird. Damit wurde nach­ge­wiesen, dass min­des­tens in Europa der Strom­handel einen wesent­lichen Beitrag zu den Schwan­kungen der Netz­frequenz liefert.

Zweitens folgen die statistischen Schwankungen des Netzes um den Soll­wert nicht einer Gauß-Ver­tei­lung. Statt­dessen sind extreme Schwan­kungen viel wahr­schein­licher als nach Gauß vor­her­gesagt. Um die Beob­ach­tungen besser erklären zu können und die Planung eines zukünf­tigen, voll­ständig von erneuer­baren Energie­erzeugern unter­stützten Strom­netzes durch­zu­spielen, formu­lierten die Forscher ein mathe­ma­tisches Modell für die Fluk­tua­tionen im Strom­netz. Mit Hilfe dieses Modells berech­neten sie die erwar­teten Schwan­kungen je nach Netz­größe und schätzen ab, wie sehr die Störungen von erneuer­baren Energien abhängen.

In der Untersuchung zeigen kleinere Netze, insbesondere das von Mallorca, aber auch das britische Strom­netz, stärkere Schwan­kungen als die größeren Netze, beispiels­weise das Netz in Konti­nental­­europa. „Unsere Studie weist darauf hin, dass eine Auf­teilung eines großen und damit sehr trägen Netzes, wie des konti­nental­europä­ischen Netzes, in viele kleine Netze zu größeren Frequenz­schwan­kungen in diesen kleinen Netzen führt als es in dem gemein­samen europä­ischen Verbund­netz der Fall ist. Tech­nisch sind solche Micro­grids daher nur eine Option, wenn die heutigen, sehr strikten Frequenz-Standards auf­ge­weicht würden“, sagt Schäfer. Für eine abschlie­ßende Empfeh­lung sammeln die Forscher zusätz­liche Daten, unter anderem in Irland und Island, und planen Experi­mente in Micro­grids.

Ein Vergleich der Regionen zeigt, dass größere Schwankungen in der Frequenz in Netzen mit einem größeren Anteil an erneuer­baren Energien auf­treten. So ist beispiels­weise der Anteil der Wind- und Solar­erzeu­gung in Groß­britannien um ein Viel­faches höher und auch die Schwan­kungen der Netz­frequenz sind deut­lich größer als in den USA. Um trotz­dem den Anteil der erneuer­baren Energie zu erhöhen, empfehlen die Forscher eine ver­stärkte Inves­tition in Primär­rege­lung und Demand Control, also eine intel­li­gente Anpas­sung der Erzeuger und Ver­braucher an die Frequenz. „Interes­santer­weise erscheinen die durch Strom­handel hervor­ge­rufenen Frequenz­schwan­kungen im Netz bedeu­tender als solche auf­grund der Ein­speisung erneuer­barer Energien“, fasst Timme die Studie zusammen.

MPIDS / RK

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