Frühgeburt supermassereicher schwarzer Löcher
Jahresrückblick Astrophysik, Astronomie und Kosmologie 2017.
Wie und wann sind die supermassereichen schwarzen Löcher entstanden, die bereits im jungen Kosmos als Quasare leuchten? Diese Frage bleibt weiterhin ungeklärt – und drängender als je zuvor. Denn Astronomen entdecken schwarze Löcher mit der mehrhundertmillionenfachen Masse unserer Sonne mit immer größeren Rotverschiebungen. Der gegenwärtige Rekord liegt bei einer Rotverschiebung von 7,54 für ein schwarzes Loch mit 800 Millionen Sonnenmassen – die Rotverschiebung entspricht einer Lichtlaufzeit von 13,1 Milliarden Jahren. Dieses und drei weitere jüngst aufgespürte schwarze Löcher mit jeweils etwa eine Milliarde Sonnenmassen und Rotverschiebungen um 6 hatten zu wenig Zeit, um seit dem Urknall über einen stetigen Materiezustrom zu ihrer beobachteten Masse anzuwachsen.
Abb.: Entstehung eines supermassereichen Schwarzen Lochs: Die Strahlung junger Sterne in einer Nachbargalaxie (rechts) unterdrückt die Sternentstehung in der Galaxie und führt so zu einem Kollaps großer Gasmassen zu einem massereichen Schwarzen Loch (links), das rasant weiter anwächst. (künstl. Illu.: J. Wise, Georgia Tech)
Eine Alternative bietet das Szenario des direkten Kollapses zu einem supermassereichen Objekt. Hochaufgelöste hydrodynamische Simulationen unter Berücksichtigung des Strahlungstransports zeigen, wie ein solcher direkter Kollaps ablaufen könnte. Die explosionsartige Entstehung neuer Sterne in einer Galaxie unterdrückt danach mit einem intensiven Strahlungsfeld die Sternentstehung in einer nahebei liegenden Nachbargalaxie. Da diese gleichwohl durch Akkretion weiter an Masse zunimmt, überschreitet sie schließlich einen kritischen Wert und kollabiert ohne den Umweg der Sternentstehung direkt zu einem extrem massereichen schwarzen Loch. Bereits innerhalb von nur 100.000 Jahren wachsen solche schwarzen Löcher durch den ungebremsten Kollaps auf eine Million Sonnenmassen an. Und ein solcher Ausgangswert reicht aus, um innerhalb weniger hundert Millionen Jahren auf eine Milliarde Sonnenmassen anzuwachsen.
Und wo sind die Mittelgewichte?
Zwischen solchen supermassereichen schwarzen Löchern und den durch den Kollaps von Sternen entstehenden stellaren schwarzen Löchern klafft eine gewaltige Lücke. Solche schwarzen Mittelgewichte sollten sich jedoch durch die Verschmelzung stellarer schwarzer Löcher in dichten Sternenansammlungen bilden. Es liegt daher nahe, im Zentrum von Kugelsternhaufen nach solchen Objekten zu suchen. Die Untersuchung der Bewegung von Sternen in der Zentralregion von Kugelsternhaufen lieferte bislang jedoch keine schlüssigen Befunde. Anders jetzt die Analyse der Bewegung von Pulsaren im 17.000 Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen 47 Tucanae. Die von diesen rotierenden Neutronensternen ausgesendeten Radiopulse sind so regelmäßig, das sich aus ihnen über den Dopplereffekt sehr viel präziser das Gravitationsfeld innerhalb des Kugelsternhaufens bestimmen lässt als über die Bewegung der Sterne. Das Ergebnis: Im Zentrum von 47 Tucanae befindet sich ein kompaktes Objekt mit 800 bis 3700 Sonnenmassen – also ein schwarzes Loch mittlerer Masse.
Und auch im Zentrum unserer Milchstraße könnte es neben dem supermassereichen schwarzen Loch ein Mittelgewicht geben: Beobachtungen mit dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array zeigen sechzig Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt eine Wolke aus molekularem Gas, in der sich das Gas mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit bewegt. Die kinematische Struktur der Wolke deutet auf ein schwarzes Loch mit der 10.000-fachen Sonnenmasse im Inneren der Wolke.
Gravitationswellenforschung nimmt Fahrt auf
Mit schwarzen Löchern hat auch der Physik-Nobelpreis zu tun, der in diesem Jahr nicht unerwartet an Rainer Weiss, Barry Barish and Kip Thorne für ihre entscheidenden Beiträge bei der Entwicklung der Detektoranlage LIGO und dem damit 2015 erstmals gelungenen Nachweis von Gravitationswellen ging. Inzwischen hat LIGO fünf weitere Gravitationswellen-Ereignisse registriert. Darunter – besonders spektakulär – am 17. August erstmals die Verschmelzung von zwei Neutronensternen. Solche Ereignisse sind kosmologisch von besonderer Bedeutung, da in ihrem Verlauf schwere Elemente wie Platin, Gold und darüber hinaus entstehen. Erst jüngst konnten Forscher mit detaillierten Computersimulationen der vierhundert Millisekunden langen Anfangsphase nach einer solchen Kollision zeigen, wie diese Elemententstehung abläuft.
Abb.: Signal aus dem All: Zwei schwarze Löcher mit 31 und 25 Sonnenmassen verschmelzen und senden dabei Gravitationswellen aus. Die Farben in dieser Simulation charakterisieren die Stärke des Feldes. (Bild: S. Ossokine, A. Buonanno, T. Dietrich, AEI / R. Haas, NCSA)
Wie bereits ein weiteres Signal zuvor, konnte auch dieses nicht nur von den beiden LIGO-Detektoren, sondern auch der italienischen Anlage VIRGO registriert werden. Damit war es für diese Ereignisse möglich, die Position am Himmel zu triangulieren und nach einem Gegenstück im elektromagnetischen Spektrum zu suchen. Für das Signal vom 17. August war diese Suche erfolgreich: Astronomen stießen auf einen etwa zwei Sekunden dauernden Gammastrahlungsausbruch, sowie ein längeres Aufleuchten im gesamten Spektrum vom Radio- über den optischen bis zum Röntgenbereich in der Galaxie NGC 4993.
Allerdings zeigten die Radiobeobachtungen zur Überraschung der Astronomen keinerlei Hinweise auf einen relativistischen Jet. Solche Jets spielen eine wichtige Rolle in theoretischen Modellen, die kurze Gammastrahlungsausbrüche über die Verschmelzung von Neutronensternen erklären. Ein über Monate hinweg beobachteter Anstieg der Intensität sowohl im Radiobereich als auch im Röntgenbereich spricht jedoch für das Kokon-Modell. Danach sammelt sich nach einer Neutronenstern-Kollision ein Kokon aus dichter Materie über den Polen des entstehenden schwarzen Lochs, der die entstehenden Jets absorbiert.
Neutronensterne und stellare schwarze Löcher sind Endstadien der Sternentwicklung. Sterne mit einer Anfangsmasse von über acht Sonnenmassen beenden ihre Existenz als Supernovae des Typs II: Der Kern des Sterns kollabiert und eine durch den Kernkollaps ausgelöste Stoßwelle läuft mit Überschallgeschwindigkeit nach außen und führt zur Abstoßung der Außenschichten des Sterns ins All. Mit der „Intermediate Palomar Transient Factory“, einem Robot-Teleskop auf dem Mount Palomar in den USA, gelang es erstmals, eine Supernova unmittelbar nach Explosion zu erwischen. Die nachfolgenden Beobachtungen lieferten einen Einblick in diese letzte Phase der Sternentwicklung. Zum Zeitpunkt der Explosion war der Stern bereits in eine dichte Wolke aus Gas gehüllt, die er im letzten Jahr vor der Explosion ausgestoßen hat. Das deutet auf wiederholte Instabilitäten im Kern des Sterns vor dem finalen Kollaps. Die durch die Instabilitäten ausgelösten Stoßwellen haben jeweils zu einem Ausstoß von Gas an der Oberfläche des Sterns geführt.
Abb.: Sofortige Beobachtungen (unten rechts) einer Supernova in der Spiralgalaxie 7610 zeigten Emissionslinien im Spektrum der Supernova, die auf dichtes Gas um den explodierten Stern hindeuteten (Mitte links). Dieses Gas hat der Stern im Jahr vor seiner Explosion ausgestoßen, vermutlich infolge von Instabilitäten im Kern. (Bild: O. Yaron)
Auf instabile Phasen im Endstadium der Entwicklung extrem massereicher Sterne deuten auch Beobachtungen der Supernova iPTF15hls. Über sechshundert Tage lang zeigte diese Supernova eine große Helligkeit, damit handelt es sich um die am längsten andauernde Supernova, die je beobachtet worden ist. Mehr noch, dem Plateau überlagert sind mehrere – mindestens vier – weitere Helligkeitsausbrüche, ein niemals zuvor bei einer Typ II-Supernova beobachtetes Phänomen. Theoretische Modelle lassen vermuten, dass hier ein Stern mit 95 bis 130 Sonnenmassen explodiert ist. Die Suche nach ähnlichen Sternexplosionen könnten daher Einblicke in die Entwicklung extrem massereicher Sterne liefern.
Exotische Planeten
Zwei defekte Schwungräder hatten zwar die primäre Mission des erfolgreichen Planetenjägers Kepler 2013 beendet. Doch die Missionskontrolle schaffte es, das Weltraumteleskop in einem veränderten Betriebsmodus in eine räumliche Lage zu manövrieren, die eine erweiterte Mission ermöglichte. Und auch erdgebundene Spezialteleskope wie TRAPPIST und MEarth spüren laufend neue Planeten bei anderen Sternen auf. Und auch SOFIA beteiligt sich an der Jagd auf Exoplaneten: Das fliegendes Stratosphären-Observatorium beobachtete einen Transit des Planeten GJ 1214b.
Jede Neuentdeckung zeigt dabei die immer noch überraschende Vielfalt und die Variationen bei der Entstehung und Entwicklung von Planetensystemen. Als bislang bester Kandidat für die Suche nach Leben ging den Astronomen im Rahmen des Projekts MEarth eine Super-Erde in der lebensfreundlichen Zone um den aktivitätsschwachen roten Zwergstern LHS 1140 ins Netz. Der Exoplanet ist ein besonders geeigneter Kandidat für künftige Beobachtungen zur Erforschung und Charakterisierung der Atmosphäre etwa mit dem James Webb Space Telescope der NASA oder dem Extremely Large Telescope der ESO.
Neue Fragen zur Entstehung von Planeten wirft ein ungewöhnliches Planetensystem um schnell rotierenden Stern auf. Der Stern HIP 65426 dreht sich etwa 150 Mal so schnell um seine eigene Achse wie die Sonne – für einen Einzelstern völlig ungewöhnlich. Und trotz seines jungen Alters von 14 Millionen Jahre weist das System entgegen den Erwartungen der Astronomen keine Gasscheibe auf, also keine Hinweise auf eine Entstehung von Planeten. Und doch gibt es im Abstand von etwa hundert Astronomischen Einheiten einen Planeten mit der sechs- bis zwölffachen Jupitermasse. Vielleicht ist sowohl der Stern als auch sein Planet durch die Fragmentierung ein und derselben Gaswolke entstanden – das würde auch erklären, warum die protoplanetare Scheibe des Systems so kurzlebig war.
Abb.: Zwergstern NGTS-1 mit seinem Riesenplanet (Bild: U. Warwick / M. Garlick)
Auch die Entdeckung eines Riesenplaneten in einer Umlaufbahn um den Zwergstern NGTS-1 wirft Fragen zu den gängigen Theorien der Planetenentstehung auf. Denn danach sollte sich um einen Zwergstern kein Riesenplanet bilden, sondern nur kleinere Gesteinsplaneten. Doch NGTS-1b ist ein Planet von der Größe des Jupiters, während sein Zentralstern nur halb so groß ist wie unsere Sonne. Es handelt sich um den ersten Planeten, der mit dem neuen Next-Generation Transit Survey. Die Anlage an der Europäischen Südsternwarte in Chile besteht aus zwölf Kameras, von denen acht vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt finanziert wurden.
Aber nicht nur neue Beobachtungen, auch die Suche in den angesammelten Archivdaten etwa des Weltraumteleskops Kepler können zur Entdeckung weiterer Exoplaneten führen. Das zeigt der erstmalige Einsatz einer mit der Methode des Deep Learning trainierten, künstlichen Intelligenz für die Analyse der Kepler-Lichtkurven. Unter anderem spürte das Verfahren einen weiteren Planeten bei dem 2545 Lichtjahre entfernten, sonnenähnliche Stern Kepler-90 auf. Der Stern besitzt somit mindestens acht Planeten – und hat mit diesem neuen Rekord mit unserer Sonne gleichgezogen. Einmal mehr hat sich damit gezeigt, dass unser heimatliches Planetensystem alles andere als außergewöhnlich ist.
Rainer Kayser
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