04.01.2018

Frühgeburt supermassereicher schwarzer Löcher

Jahresrückblick Astrophysik, Astronomie und Kosmologie 2017.

Wie und wann sind die supermasse­­reichen schwarzen Löcher entstanden, die bereits im jungen Kosmos als Quasare leuchten? Diese Frage bleibt weiterhin ungeklärt – und drängender als je zuvor. Denn Astro­nomen entdecken schwarze Löcher mit der mehrhundert­­millionen­­fachen Masse unserer Sonne mit immer größeren Rot­ver­schiebungen. Der gegen­­wärtige Rekord liegt bei einer Rotver­schiebung von 7,54 für ein schwarzes Loch mit 800 Millionen Sonnen­­massen – die Rotver­­schiebung entspricht einer Licht­­laufzeit von 13,1 Milliarden Jahren. Dieses und drei weitere jüngst aufgespürte schwarze Löcher mit jeweils etwa eine Milliarde Sonnen­massen und Rotver­schiebungen um 6 hatten zu wenig Zeit, um seit dem Urknall über einen stetigen Materie­zustrom zu ihrer beobach­teten Masse anzuwachsen.

Abb.: Entstehung eines supermassereichen Schwarzen Lochs: Die Strahlung junger Sterne in einer Nachbargalaxie (rechts) unterdrückt die Sternentstehung in der Galaxie und führt so zu einem Kollaps großer Gasmassen zu einem massereichen Schwarzen Loch (links), das rasant weiter anwächst. (künstl. Illu.: J. Wise, Georgia Tech)

Eine Alter­­native bietet das Szenario des direkten Kollapses zu einem supermasse­­reichen Objekt. Hochauf­­gelöste hydro­­dynamische Simu­­lationen unter Berück­­sichtigung des Strahlungs­­transports zeigen, wie ein solcher direkter Kollaps ablaufen könnte. Die explosions­­artige Entstehung neuer Sterne in einer Galaxie unterdrückt danach mit einem inten­siven Strahlungs­feld die Stern­entstehung in einer nahebei liegenden Nachbar­galaxie. Da diese gleichwohl durch Akkretion weiter an Masse zunimmt, über­schreitet sie schließlich einen kritischen Wert und kolla­biert ohne den Umweg der Stern­entstehung direkt zu einem extrem masse­reichen schwarzen Loch. Bereits innerhalb von nur 100.000 Jahren wachsen solche schwarzen Löcher durch den unge­bremsten Kollaps auf eine Million Sonnen­massen an. Und ein solcher Ausgangs­wert reicht aus, um innerhalb weniger hundert Millionen Jahren auf eine Milliarde Sonnen­massen anzu­wachsen.

Und wo sind die Mittelgewichte?

Zwischen solchen supermasse­reichen schwarzen Löchern und den durch den Kollaps von Sternen entstehenden stellaren schwarzen Löchern klafft eine gewaltige Lücke. Solche schwarzen Mittel­gewichte sollten sich jedoch durch die Ver­schmelzung stellarer schwarzer Löcher in dichten Sternen­ansammlungen bilden. Es liegt daher nahe, im Zentrum von Kugelstern­haufen nach solchen Objekten zu suchen. Die Unter­suchung der Bewegung von Sternen in der Zentralregion von Kugelstern­haufen lieferte bislang jedoch keine schlüssigen Befunde. Anders jetzt die Analyse der Bewegung von Pulsaren im 17.000 Lichtjahre entfernten Kugelstern­haufen 47 Tucanae. Die von diesen rotierenden Neutronen­sternen ausge­sendeten Radio­pulse sind so regelmäßig, das sich aus ihnen über den Doppler­effekt sehr viel präziser das Gravitations­feld innerhalb des Kugelstern­haufens bestimmen lässt als über die Bewegung der Sterne. Das Ergebnis: Im Zentrum von 47 Tucanae befindet sich ein kompaktes Objekt mit 800 bis 3700 Sonnen­massen – also ein schwarzes Loch mittlerer Masse.

Und auch im Zentrum unserer Milch­straße könnte es neben dem supermasse­reichen schwarzen Loch ein Mittel­gewicht geben: Beob­ach­­tungen mit dem Atacama Large Millimeter/Submilli­meter Array zeigen sechzig Lichtjahre vom galak­tischen Zentrum entfernt eine Wolke aus mole­kularem Gas, in der sich das Gas mit unge­wöhnlich hoher Geschwin­digkeit bewegt. Die kine­matische Struktur der Wolke deutet auf ein schwarzes Loch mit der 10.000-fachen Sonnen­masse im Inneren der Wolke.

Gravitationswellenforschung nimmt Fahrt auf

Mit schwarzen Löchern hat auch der Physik-Nobelpreis zu tun, der in diesem Jahr nicht unerwartet an Rainer Weiss, Barry Barish and Kip Thorne für ihre ent­scheidenden Beiträge bei der Entwicklung der Detektor­anlage LIGO und dem damit 2015 erstmals gelungenen Nachweis von Gravitations­wellen ging. Inzwischen hat LIGO fünf weitere Gravitations­wellen-Ereignisse regis­triert. Darunter – besonders spekta­kulär – am 17. August erstmals die Verschmel­zung von zwei Neutronen­sternen. Solche Ereignisse sind kosmo­logisch von beson­derer Bedeutung, da in ihrem Verlauf schwere Elemente wie Platin, Gold und darüber hinaus entstehen. Erst jüngst konnten Forscher mit detaillierten Computer­simulationen der vier­hundert Milli­sekunden langen Anfangs­phase nach einer solchen Kollision zeigen, wie diese Element­entstehung abläuft.

Abb.: Signal aus dem All: Zwei schwarze Löcher mit 31 und 25 Sonnenmassen verschmelzen und senden dabei Gravitationswellen aus. Die Farben in dieser Simulation charakterisieren die Stärke des Feldes. (Bild: S. Ossokine, A. Buonanno, T. Dietrich, AEI / R. Haas, NCSA)

Wie bereits ein weiteres Signal zuvor, konnte auch dieses nicht nur von den beiden LIGO-Detek­toren, sondern auch der italie­nischen Anlage VIRGO registriert werden. Damit war es für diese Ereignisse möglich, die Position am Himmel zu triangulieren und nach einem Gegen­stück im elektro­magnetischen Spektrum zu suchen. Für das Signal vom 17. August war diese Suche erfolg­reich: Astro­nomen stießen auf einen etwa zwei Sekunden dauernden Gamma­strahlungs­ausbruch, sowie ein längeres Auf­leuchten im gesamten Spektrum vom Radio- über den optischen bis zum Röntgen­bereich in der Galaxie NGC 4993.

Allerdings zeigten die Radiobeo­bachtungen zur Über­raschung der Astro­nomen keinerlei Hinweise auf einen relati­vistischen Jet. Solche Jets spielen eine wichtige Rolle in theo­retischen Modellen, die kurze Gamma­strahlungs­ausbrüche über die Verschmelzung von Neutronen­sternen erklären. Ein über Monate hinweg beobach­teter Anstieg der Intensität sowohl im Radio­bereich als auch im Röntgen­bereich spricht jedoch für das Kokon-Modell. Danach sammelt sich nach einer Neutronen­stern-Kollision ein Kokon aus dichter Materie über den Polen des entstehenden schwarzen Lochs, der die ent­stehenden Jets absorbiert.

Neutronen­sterne und stellare schwarze Löcher sind End­stadien der Stern­entwicklung. Sterne mit einer Anfangs­masse von über acht Sonnen­massen beenden ihre Existenz als Supernovae des Typs II: Der Kern des Sterns kollabiert und eine durch den Kern­kollaps ausge­löste Stoßwelle läuft mit Überschall­geschwindig­keit nach außen und führt zur Abstoßung der Außen­schichten des Sterns ins All. Mit der „Intermediate Palomar Transient Factory“, einem Robot-Teleskop auf dem Mount Palomar in den USA, gelang es erstmals, eine Supernova unmit­telbar nach Explosion zu erwischen. Die nach­folgenden Beobach­tungen lieferten einen Einblick in diese letzte Phase der Stern­entwicklung. Zum Zeitpunkt der Explosion war der Stern bereits in eine dichte Wolke aus Gas gehüllt, die er im letzten Jahr vor der Explosion ausge­stoßen hat. Das deutet auf wieder­holte Insta­bilitäten im Kern des Sterns vor dem finalen Kollaps. Die durch die Insta­bilitäten ausge­lösten Stoß­wellen haben jeweils zu einem Ausstoß von Gas an der Ober­fläche des Sterns geführt.

Abb.: Sofortige Beobachtungen (unten rechts) einer Supernova in der Spiralgalaxie 7610 zeigten Emissionslinien im Spektrum der Supernova, die auf dichtes Gas um den explodierten Stern hindeuteten (Mitte links). Dieses Gas hat der Stern im Jahr vor seiner Explosion ausgestoßen, vermutlich infolge von Instabilitäten im Kern. (Bild: O. Yaron)

Auf instabile Phasen im Endstadium der Entwicklung extrem masse­reicher Sterne deuten auch Beobach­tungen der Supernova iPTF15hls. Über sechs­hundert Tage lang zeigte diese Supernova eine große Hellig­keit, damit handelt es sich um die am längsten an­dauernde Supernova, die je beo­bachtet worden ist. Mehr noch, dem Plateau überlagert sind mehrere – mindestens vier – weitere Helligkeits­ausbrüche, ein niemals zuvor bei einer Typ II-Supernova beobach­tetes Phänomen. Theo­retische Modelle lassen vermuten, dass hier ein Stern mit 95 bis 130 Sonnen­massen explodiert ist. Die Suche nach ähnlichen Stern­explosionen könnten daher Einblicke in die Entwicklung extrem masse­reicher Sterne liefern.

Exotische Planeten

Zwei defekte Schwung­räder hatten zwar die primäre Mission des erfolg­reichen Planetenjägers Kepler 2013 beendet. Doch die Missions­kontrolle schaffte es, das Weltraum­teleskop in einem veränderten Betriebs­modus in eine räumliche Lage zu manö­vrieren, die eine erwei­terte Mission ermög­lichte. Und auch erdge­bundene Spezial­teleskope wie TRAPPIST und MEarth spüren laufend neue Planeten bei anderen Sternen auf. Und auch SOFIA beteiligt sich an der Jagd auf Exoplaneten: Das flie­gendes Strato­sphären-Obser­vatorium beobachtete einen Transit des Planeten GJ 1214b.

Jede Neuentdeckung zeigt dabei die immer noch überraschende Vielfalt und die Variationen bei der Entstehung und Entwicklung von Planetensystemen. Als bislang bester Kandidat für die Suche nach Leben ging den Astro­nomen im Rahmen des Projekts MEarth eine Super-Erde in der lebens­freundlichen Zone um den aktivitäts­schwachen roten Zwergstern LHS 1140 ins Netz. Der Exo­planet ist ein besonders geeig­neter Kandidat für künftige Beobach­tungen zur Erforschung und Charak­terisierung der Atmos­phäre etwa mit dem James Webb Space Telescope der NASA oder dem Extremely Large Tele­scope der ESO.

Neue Fragen zur Entstehung von Planeten wirft ein unge­wöhnliches Planeten­system um schnell rotierenden Stern auf. Der Stern HIP 65426 dreht sich etwa 150 Mal so schnell um seine eigene Achse wie die Sonne – für einen Einzelstern völlig unge­wöhnlich. Und trotz seines jungen Alters von 14 Millionen Jahre weist das System entgegen den Erwar­tungen der Astro­nomen keine Gasscheibe auf, also keine Hinweise auf eine Entstehung von Planeten. Und doch gibt es im Abstand von etwa hundert Astro­nomischen Einheiten einen Planeten mit der sechs- bis zwölf­fachen Jupiter­masse. Vielleicht ist sowohl der Stern als auch sein Planet durch die Fragmen­tierung ein und derselben Gaswolke entstanden – das würde auch erklären, warum die proto­planetare Scheibe des Systems so kurzlebig war.

Abb.: Zwergstern NGTS-1 mit seinem Riesenplanet (Bild: U. Warwick / M. Garlick)

Auch die Entdeckung eines Riesen­planeten in einer Umlaufbahn um den Zwergstern NGTS-1 wirft Fragen zu den gängigen Theorien der Planeten­entstehung auf. Denn danach sollte sich um einen Zwergstern kein Riesen­planet bilden, sondern nur kleinere Gesteins­planeten. Doch NGTS-1b ist ein Planet von der Größe des Jupiters, während sein Zentral­stern nur halb so groß ist wie unsere Sonne. Es handelt sich um den ersten Planeten, der mit dem neuen Next-Gene­ration Transit Survey. Die Anlage an der Euro­päischen Südstern­warte in Chile besteht aus zwölf Kameras, von denen acht vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt finan­ziert wurden.

Aber nicht nur neue Beobach­tungen, auch die Suche in den ange­sammelten Archiv­daten etwa des Weltraum­teleskops Kepler können zur Entdeckung weiterer Exo­planeten führen. Das zeigt der erstmalige Einsatz einer mit der Methode des Deep Learning trai­nierten, künst­lichen Intel­ligenz für die Analyse der Kepler-Licht­kurven. Unter anderem spürte das Verfahren einen weiteren Planeten bei dem 2545 Licht­jahre entfernten, sonnen­ähnliche Stern Kepler-90 auf. Der Stern besitzt somit mindes­tens acht Planeten – und hat mit diesem neuen Rekord mit unserer Sonne gleich­gezogen. Einmal mehr hat sich damit gezeigt, dass unser heimat­liches Planeten­system alles andere als außer­gewöhnlich ist.

Rainer Kayser

JOL

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