"Fukushima ist mehr als dieser Unfall"
Ein Schwerpunkt im Physik Journal beleuchtet die weitreichenden Folgen der Reaktorkatastrophe in Fukushima, die sich nach dem Tsunami am 11. März 2011 ereignete.
In Fukushima laufen immer noch Dekontaminationsmaßnahmen (Foto: K. Shozugawa / U Tokio)
Die Weltöffentlichkeit schreckte auf, als Japans Ostküste am 11. März 2011 von einem Tsunami getroffen wurde, ausgelöst durch ein starkes Erdbeben. Nicht nur dass über 15.000 Tote zu beklagen waren, ereignete sich in der Folge im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi ein nuklearer Unfall. Dessen Folgen sind auch heute noch spürbar, wenn auch deutlich geringer als die der Explosion des Reaktorblocks 4 im Kraftwerk Tschernobyl am 30. April 1986.
An die Jahrestage der Reaktorkatastrophen in Fukushima und Tschernobyl erinnert ein Schwerpunkt im März-Heft des Physik Journal. Fünf Jahre nach der Dreifachkatastrophe gehen in Japan die Aufräum- und Dekontaminationsarbeiten weiter. Ein Zaun grenzt das Sperrgebiet um das ehemalige Kraftwerk Fukushima Daiichi ab, zahlreiche Ortschaften sind nach wie vor komplett zerstört und zum Teil unbewohnt. Georg Steinhauser vom Institut für Radioökologie und Strahlenschutz in Hannover und sein japanischer Kollege Akio Koizumi aus Kyoto berichten in ihrem Artikel von der radioaktiven Kontaminierung durch den Reaktorunfall. Die zahlreichen Lebensmittelkontrollen zeigen, dass praktisch nur noch Pilze und Wildschweine kontaminiert sind.
Seit 2012 gibt es das Fukushima Ambassador Program, das ausländischen Studierenden zweimal im Jahr die Möglichkeit bietet, nach Fukushima zu reisen, mit Menschen in Notunterkünften zu sprechen, Freiwilligenarbeit zu leisten und hautnah mitzuerleben, mit welchen Herausforderungen die Menschen dort bis heute zu kämpfen haben. Annika Wunnenberg und Peter Brozynski, die in Hannover studieren, haben an dem Programm teilgenommen. Sie sind überzeugt, dass Fukushima mehr ist als der Reaktorunfall. „Die Gegend dort ist schön und durchaus lebenswert. Abgesehen von dem abgesperrten Gebiet rund um das Kraftwerk ist es nicht gefährlich“, sagt Annika Wunnenberg im Interview. Doch die Menschen leiden weiterhin unter der Stigmatisierung und den psychischen Folgen des Unglücks.
In Tschernobyl wird derzeit ein riesiger neuer Schutzschild über dem zerstörten Reaktorgebäude gebaut. Das Land um das alte Kraftwerk hat sich dreißig Jahre nach dem Unfall von Tschernobyl so gut erholt, dass dort ein einzigartiges ökologisches Schutzgebiet entstanden ist – unberührt vom Menschen. Gleichzeitig belegt die nahegelegene Geisterstadt Prypjat, welche weitreichenden Folgen das Unglück für die Menschen in der Region hatte. Das beschreiben Clemens Walther und Peter Brozynski vom Institut für Radioökologie und Strahlenschutz der Universität Hannover und ihr ukrainischer Kollege Sergiy Dubchak.
Die aktuellen Diskussionen um das umstrittene Kernkraftwerk Fessenheim zeigen, dass es bei der Kernenergie nie hundertprozentige Sicherheit geben wird. „Wir müssen akzeptieren, dass Nuklearkatastrophen geschehen können“, meint Wolfgang Weiss, ehemaliger Vorsitzender des wissenschaftlichen Komitees der Vereinten Nationen UNSCEAR (Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation). Er setzt sich in seinem Meinungsbeitrag dafür ein, nicht in Panik oder Depression zu verfallen, sondern sich auf allen Handlungsebenen mit den denkbaren Gefahren solcher Ereignisse und den Schutzmöglichkeiten auseinanderzusetzen und entsprechend Vorsorge zu treffen. „Als Physiker sollten wir die zuständigen Organisationen fachlich unterstützen und die Menschen in unserem Umfeld kompetent beraten“, betont Weiss.
Die Redaktion