15.03.2023

Galaktische Einblicke

James-Webb-Weltraumteleskop gibt tiefen Einblick in das Netzwerk aus Gas und Staub in nahen Galaxien.

Beobachtungen mit dem James Webb Space Telescope (JWST) erlauben einen ersten Blick darauf, wie dieses leistungs­starke Infrarot­teleskop die fehlenden Teile des Puzzles der Sternentstehung in nahen Galaxien aufspüren wird. Die ersten Daten liefern bereits Hinweise darauf, wie einige der räumlich kleinsten Vorgänge in unserem Universum – die Ursprünge der Stern­entstehung – die Formen, Strukturen und die Dynamik der größten Objekte in unserem Universum – den Galaxien – beeinflussen können.

 

Abb.: Dieses aus drei Farben zusammen­gesetzte Bild zeigt NGC 628 (M 74), eine...
Abb.: Dieses aus drei Farben zusammen­gesetzte Bild zeigt NGC 628 (M 74), eine eindrucks­volle Spiral­galaxie in einer Entfernung von 32 Millionen Licht­jahren. (Bild: NASA / ESA / CSA / J. Schmidt)

Astronomen aus der ganzen Welt, darunter auch Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, arbeiten gemeinsam an einem Projekt, das einige der verbleibenden Geheimnisse der Sternentstehung in Galaxien lüften soll. Diese Treasury-Studie mit dem Namen Physics at High Angular Resolution in Nearby Galaxies with JWST (PHANGS-JWST) unter der Leitung von Janice Lee, leitende Wissenschaftlerin des Gemini Observatory am NOIRLab der National Science Foundation in Tucson, Arizona, USA, unternimmt nun den nächsten Schritt, indem sie die ersten Bilder eines vom JWST durchgeführten Beobachtungsprogramms analysiert. Die ersten Ergebnisse des Teams, die in 21 Studien zusammengefasst sind, wurden kürzlich in einer Sonder­ausgabe der Astrophysical Journal Letters veröffentlicht.

Das Team wird 19 „Face-on“-Galaxien in der Nähe der Milchstraße untersuchen, also solche Galaxien, die wir von „oben“ oder „unten“ sehen. In den ersten Monaten des wissenschaftlichen Betriebs des JWST wurden vier dieser Objekte – NGC 628 (M 74), NGC 1365, NGC 7496 und IC 5332 – beobachtet. Die Ergebnisse der mit der Nahinfrarot­kamera (NIRCam) und dem Mittelinfrarotinstrument (MIRI) aufgenommenen Bilder versetzen die Forschungs­gemeinde bereits in Erstaunen. NIRCam ist ein Beitrag der Universität von Arizona. MIRI wurde von einem europäischen Konsortium aus Forschungs­einrichtungen und Industrie­partnern gebaut.

„Wir sind besonders stolz auf die wesentlichen technischen Beiträge des MPIA zu MIRI, wie zum Beispiel den Filterrad­mechanismus der bildgebenden Kamera“, sagt Eva Schinnerer, Gruppenleiterin am MPIA. Sie leitet die gesamte PHANGS-Kollaboration und ist die Hauptautorin eines der drei von MPIA-Wissenschaftlern veröffentlichten Artikel. Die MIRI-Bilder zeigen ein Netzwerk stark strukturierter Details in diesen Galaxien – Balkenstrukturen, die Gas in die Zentren der Galaxien leiten und die Sternentstehung anheizen, und feine Ausläufer aus kaltem Gas zwischen den Spiralarmen, in denen sich Sterne über den gesamten Massen­bereich hinweg bilden.

„Die Klarheit, mit der wir die feinen Strukturen sehen, hat uns wirklich überrascht“, sagt Adam Leroy von der Ohio State University, USA und Humboldt-Forschungs­preisträger am MPIA. „Die neuen PHANGS-JWST-Daten geben uns einen faszinierenden Einblick in die Sternentstehung umliegender Spiralgalaxien bei höchster Auflösung“, erklärt Nadine Neumayer, Leiterin einer Lise Meitner Forschungsgruppe am MPIA.

„Die Infrarotbilder ergänzen die vorhandenen Daten des Hubble-Weltraum­teleskops aus dem optischen Spektralbereich. Sie bieten Einblicke in Regionen, die bisher durch Staub verdeckt waren“, ergänzt Nils Hoyer vom MPIA, Doktorand des Max-Planck-IMPRS-Programms an der Universität Heidelberg.

Das Infrarot-Licht ist Astronomen in dieser Qualität lange Zeit entgangen – bis das JWST die Bühne betrat. Das PHANGS-Team hat diese Galaxien jahrelang bei optischen, Radio- und ultravioletten Wellenlängen mit dem Hubble Space Telescope, dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array und dem Multi Unit Spectroscopic Explorer (MUSE) des Very Large Telescope der ESO untersucht. Ein entscheidendes Stadium des Lebenszyklus eines Sterns, wenn er in seinem Geburtskokon von Staub und Gas eingehüllt ist, blieb jedoch bisher außer Betracht. Die Leistungsstärke des JWST im Infrarot­bereich ermöglicht es nun, den Staub zu durchdringen und die fehlenden Puzzlestücke sichtbar zu machen.

Die neuen JWST-Bilder sind für die Analysen wertvoll, weil sie feinste Strukturen jenseits der direkt benachbarten Galaxien im infraroten Spektral­bereich offenlegen. Ein Beispiel sind die Nuclear Star Clusters (NSCs, zentrale Sternhaufen) in den Zentren von Spiralgalaxien. Einschließlich des NSC der Milchstraße eröffnen die neuen Daten bereits eine große Vielfalt von erstaunlich ruhigen bis hin zu dichten und massereichen Regionen mit hochaktiver episodischer Stern­entstehung.

Die Bilder zeigen interessante und nie zuvor gesehene Strukturen, wie etwa im Zentrum von NGC 628, die man bisher nicht erklären konnte. „Die neue Perspektive, die uns JWST auf die Zentren von Galaxien gibt, trägt grundlegend zu unserem Verständnis der Entwicklung von Sternhaufen und Galaxien bei“, sagt Hoyer. „Mit dem JWST können wir die jüngsten Sterne, die sich noch in ihren Geburtswolken befinden, in nahen Galaxien genau lokalisieren. Diese Fähigkeit ermöglicht es uns, in das Innere von Gas und Staub in gasreichen Galaxienkernen zu schauen, so dass wir untersuchen können, wo und wie einströmendes Gas in Sterne umgewandelt wird, wie zum Beispiel in NGC 1365. So können wir diese Erkenntnisse mit der Milchstraße vergleichen“, führt Schinnerer aus.

Ein weiterer spannender Aspekt ist die Entdeckung der Entstehung von Sternen zwischen den markanten Spiralarmen. „Unsere früheren Beobachtungen hatten bereits darauf hingedeutet, dass dies der Fall sein könnte“, führt der ehemalige MPIA-Wissen­schaftler Tom Williams aus. Er ist der Hauptautor der dritten vom MPIA geleiteten Arbeit der Sonderausgabe und arbeitet jetzt an der Universität von Oxford, Großbritannien. „Durch den Einsatz der beispiellosen Infrarot-Abbildungsfähigkeit des JWST konnten wir die jungen Sterne schließlich in feinen Ausläufern aus Gas, den sogenannten ‚Spurs‘, nachweisen, die sich von den Spiralarmen aus erstrecken."

Die ersten Ergebnisse zeigen, wie erwartet, dass die Stern­entstehungsrate in den Spiralarmen höher ist. Die Effizienz, mit der Gas in Sterne umgewandelt wird, scheint jedoch in der gesamten galaktischen Scheibe konstant zu sein. Sogar massereiche Sternhaufen können sich außerhalb der Spiralarme bilden, was bislang heftig diskutiert wurde.

Da diese Beobachtungen im Rahmen eines Treasury-Programms gemacht werden, sind sie der Öffentlichkeit zugänglich, sobald die Beobachtungen vorliegen und auf der Erde empfangen werden. Das PHANGS-Team wird daran arbeiten, Datensätze zu produzieren und bereitzustellen, die die JWST-Daten mit den komplementären Daten­sätzen abgleichen, die zuvor von den anderen Observatorien gewonnen wurden, um so den Wert der Daten für die astronomische Gemeinschaft zu erhöhen.

MPIA / DE
 

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