21.01.2016

Galaktisches Plasma lässt Quasare flackern

Astronomen vermessen erstmals „extremes Streu-Ereignis“ in Echtzeit.

Vor dreißig Jahren stießen Astronomen bei routinemäßigen astrometrischen Messungen mit dem Green Bank Interferometer in den USA insbesondere beim Quasar 0954+658 auf Strahlungsschwankungen, die von der bis dahin bekannten, typischen Variabilität aktiver Galaxienkerne abwich. Schon damals erkannten die Forscher, dass eine intrinsische Ursache für diese „extremen Streu-Ereignisse“ (extreme scattering events, ESE) nicht infrage kommt. Vielmehr muss die Ursache der Schwankungen in unserer Milchstraße liegen: kleinräumige Inhomogenitäten im ionisierten Plasma des interstellaren Mediums, die wie irreguläre Linsen wirken und die Strahlung eines Quasars streuen oder fokussieren können.

Abb.: Das Australia Telescope Compact Array bei Nacht. Über den Radioteleskopen ist die Milchstraße zu erkennen. (Bild: Alex Cherney)

Doch dieser Ansatz führt sofort auf ein Problem: Um die beobachteten Schwankungen zu erklären, müsste in den Inhomogenitäten ein Druck herrschen, der den üblichen Druck im interstellaren Gas um mindestens drei Größen­ordnungen übertrifft. Wie aber sollten solche Strukturen entstehen und lange genug stabil bleiben, um die beobachtete Häufigkeit der ESEs zu erklären? Bis heute ist diese Frage trotz verschiedener Modell­ansätze nicht beantwortet.

„Die Entdeckung von ESEs in Echtzeit ist der Schlüssel zu ihrem Verständnis“, konstatieren Keith Bannister von der australischen Forschungs­organisation CSIRO und seine Kollegen. „Denn die meisten Eigenschaften der Linsen lassen sich nur durch intensive Nach­folge­beobachtungen noch während des laufenden ESEs bestimmen.“ Doch daran mangelte es bislang, weil solche Ereignisse nicht vorherzusagen sind und, selbst wenn sie auftreten, bislang zu spät für weitere Beobachtungen erkannt wurden. Bannister und sein Team haben nun ein neues Verfahren zur Identifikation der ESEs entwickelt und umgesetzt. Ausgangspunkt der Methode ist die Feststellung, dass eine inter­stellare Plasmalinse ein zunächst gleichförmiges Radiospektrum in ein stark strukturiertes überführt. Das ist eine direkte Folge der Abhängigkeit des Brechungs­koeffizienten vom Quadrat der Wellenlänge – die fokussierende Wirkung ist also extrem frequenz­abhängig.

Im April 2014 begann das Team, mit dem Australia Telescope Compact Array ATCA etwa eintausend aktive Galaxien monatlich auf solche spektrale Änderungen hin zu untersuchen. Bereits nach zwei Monaten ging ihnen ein ESE in der Anfangsphase ins Netz: Das Spektrum des Quasars PKS 1939-315 hatte sich bei den Messungen vom 5. Juni 2014 in charakteristischer Weise verändert. Sofort begannen die Forscher mit häufigeren Messungen am ATCA in einem breiteren Frequenzbereich. Dank der sofortigen Identifikation der Variabilität als ESE konnte das Team zudem im Verlauf des Ereignisses Beobachtungen mit zahlreichen weiteren Instrumenten durchführen, darunter das Very Long Baseline Array in den USA und das acht Meter große Gemini South Telescope in Chile.

Die Messungen von Bannister und seinen Kollegen bestätigen, dass eine Verdichtung im inter­stellaren Gas die Ursache ist. Die Temperatur der Plasma-Linse schätzen die Forscher auf 3000 Kelvin, der Druck ist dort etwa 2000-mal höher als im typischen interstellaren Gas. Über die Form der Verdichtung liefern die Beobachtungen allerdings weniger Informationen. Allerdings komme eine einfache kugelförmige Verdichtung nicht infrage – es müsse sich vielmehr um eine kugelschalen- oder röhrenförmige Struktur handeln. Für die Zukunft hofft das Team, dass die als Linse agierenden Inhomogenitäten auch Mehrfachbilder von Quasaren erzeugen. Diese könnten mit Hilfe der Very Long Baseline Interferometrie – einer Zusammen­schaltung großer Radio­teleskope überall auf der Welt – beobachtbar sein und dann Aufschluss über die genaue Form der Verdichtungen im interstellaren Gas geben. „Das könnte unser Bild vom interstellaren Gas radikal verändern“, so Bannister. Möglicherweise sei das Gas sehr viel ungleichmäßiger im All verteilt, als bislang angenommen. Die Verdichtungen, die extreme Streu-Ereignisse bei Quasaren auslösen, könnten zudem einen signifikanten Anteil der Masse der Galaxis ausmachen.

Rainer Kayser

DE

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