17.08.2020

Galaxien-Zwilling im frühen Universum

Weit entferntes Ebenbild unserer Galaxie wirft Fragen zur Galaxienentstehung auf.

Astronomen haben mit dem Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) eine extrem weit entfernte und daher sehr junge Galaxie entdeckt, die unserer Milch­straße überraschend ähnlich sieht. Die Galaxie ist so weit entfernt, dass ihr Licht mehr als 12 Milliarden Jahre gebraucht hat, um uns zu erreichen: Wir sehen sie so, wie sie war, als das Universum gerade 1,4 Milliarden Jahre alt war. Außerdem ist sie überraschend wenig chaotisch und widerspricht den Theorien, dass alle Galaxien im frühen Universum turbulent und instabil waren. Diese unerwartete Entdeckung stellt unser Verständnis der Entstehung von Galaxien infrage und gibt uns neue Einblicke in die Vergangen­heit unseres Universums. 
 

Abb.: Das Licht der Galaxie SPT0418-47 wird von einer nahen Galaxie gravitativ...
Abb.: Das Licht der Galaxie SPT0418-47 wird von einer nahen Galaxie gravitativ verzerrt und erscheint am Himmel als nahezu perfekter Lichtkranz. (Bild: ALMA / ESO / NAOJ / NRAO / Rizzo et al.)

„Dieses Ergebnis stellt einen Durchbruch auf dem Gebiet der Galaxienentstehung dar und zeigt, dass die Strukturen, die wir in nahen Spiralgalaxien und in unserer Milchstraße beobachten, bereits vor 12 Milliarden Jahren vorhanden waren“, sagt Francesca Rizzo, Doktorandin vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Deutschland, die die Forschungs­arbeit leitete. Die von den Astronomen untersuchte Galaxie mit der Bezeichnung SPT0418-47 scheint zwar keine Spiralarme zu haben, weist aber mindestens zwei für unsere Milchstraße typische Merkmale auf: eine rotierende Scheibe und einen Bulge, die große Ansammlung von Sternen, die dicht um das galaktische Zentrum gepackt sind. Dies ist das erste Mal in der Geschichte des Universums, dass ein Bulge so früh in der Geschichte des Universums beobachtet wurde, so dass SPT0418-47 das am weitesten entfernte Ebenbild der Milchstraße ist.

„Die große Überraschung war die Feststellung, dass diese Galaxie tatsächlich nahen Galaxien recht ähnlich ist, was den Erwartungen aus den Modellen und früheren, weniger detaillierten Beobachtungen widerspricht“, sagt Co-Autor Filippo Fraternali vom astronomischen Institut Kapteyn der Universität Groningen in den Niederlanden. Im frühen Universum befanden sich junge Galaxien noch im Entstehungs­prozess. Daher erwarteten die Forscher, dass sie chaotisch sind und nicht die ausgeprägten Strukturen aufweisen, die für entwickeltere Galaxien wie die Milchstraße typisch sind.

Die Untersuchung entfernter Galaxien wie SPT0418-47 ist grundlegend für unser Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Galaxien. Diese Galaxie ist so weit entfernt, dass wir sie sehen, als das Universum nur zehn Prozent seines heutigen Alters hatte, weil ihr Licht 12 Milliarden Jahre brauchte, um die Erde zu erreichen. Wenn wir sie studieren, gehen wir in eine Zeit zurück, in der diese Baby-Galaxien erst am Anfang ihrer Entwicklung standen. 

Da diese Galaxien so weit entfernt sind, sind detaillierte Beobachtungen selbst mit den leistungs­fähigsten Teleskopen fast unmöglich, da die Galaxien klein und lichtschwach erscheinen. Das Team überwand dieses Hindernis, indem es eine nahe Galaxie als Gravitations­linse nutzte. Dies machte es möglich, in noch nie dagewesener Detail­genauigkeit in die ferne Vergangenheit zu blicken. Bei diesem Effekt verzerrt und krümmt die Gravitations­kraft der nahen Galaxie das Licht der fernen Galaxie und lässt sie verzerrt und vergrößert erscheinen. 

Die gravitativ vergrößerte, entfernte Galaxie erscheint dank ihrer nahezu exakten Ausrichtung als ein beinahe perfekter Lichtkranz um die nahe Galaxie. Die Forschungs­gruppe rekonstruierte die wahre Form der fernen Galaxie und die Bewegung ihres Gases aus den ALMA-Daten mit Hilfe einer neuen computer­gestützten Modellierungs­technik. „Als ich das rekonstruierte Bild von SPT0418-47 zum ersten Mal sah, konnte ich es nicht glauben: Eine Schatztruhe öffnete sich“, sagt Rizzo.

„Was wir gefunden haben, war ziemlich rätselhaft; obwohl sich Sterne mit hoher Geschwindigkeit bilden und daher hochenergetische Prozesse ablaufen, ist SPT0418-47 die am stärksten geordnete Galaxienscheibe, die je im frühen Universum beobachtet wurde“, erklärt Mitautorin Simona Vegetti, ebenfalls vom Max-Planck-Institut für Astrophysik. „Dieses Ergebnis ist ziemlich unerwartet und hat wichtige Auswirkungen darauf, wie sich nach unseren Vorstellungen Galaxien entwickeln.“ Die Astronomen merken jedoch an, dass SPT0418-47 zwar eine Scheibe und andere Merkmale aufweist, die denen der heutigen Spiral­galaxien ähneln, aber sie erwarten, dass sie sich zu einer Galaxie entwickeln wird, die sich von der Milchstraße sehr unterscheidet. Sie reiht sich dann in die Klasse der elliptischen Galaxien ein, einer anderen Art von Galaxien, die neben den Spiral­galaxien heute das Universum bevölkern.

Diese unerwartete Entdeckung deutet darauf hin, dass das frühe Universum vielleicht nicht so chaotisch ist, wie man einst glaubte, und wirft viele Fragen darüber auf, wie sich eine gut geordnete Galaxie so kurz nach dem Urknall gebildet haben konnte. Diese ALMA-Entdeckung folgt auf die im Mai angekündigte Entdeckung einer massereichen rotierenden Scheibe, die in ähnlicher Entfernung gesehen wurde. SPT0418-47 kann dank des Linsen­effekts in feineren Details beobachtet werden und hat zusätzlich zu einer Scheibe einen Bulge, was sie unserer heutigen Milchstraße noch ähnlicher macht als die zuvor beobachtete Galaxie.

Zukünftige Studien, auch mit dem Extremely Large Telescope der ESO, werden versuchen, herauszufinden, wie typisch diese „Baby“-Scheiben­galaxien wirklich sind und ob sie im Allgemeinen weniger chaotisch sind als vorher­gesagt. Dies eröffnet den Astronomen neue Wege, um heraus­zufinden, wie sich Galaxien entwickelt haben.

ESO / DE

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