14.01.2021 • Astronomie

Gasausstoß einer fernen Galaxie

Das Ereignis wurde wahrscheinlich durch eine Kollision mit einer anderen Galaxie ausgelöst.

Galaxien vergehen, wenn sie aufhören, Sterne zu bilden. Bisher hatten Astronomen jedoch noch nie einen klaren Blick auf den Beginn dieses Prozesses in einer weit entfernten Galaxie erhascht. Mit dem ALMA-Inter­ferometer, an dem die Europäische Südstern­warte ESO beteiligt ist, haben Astronomen eine Galaxie beobachtet, die fast die Hälfte ihres sternbildenden Gases ausstößt. Dieser Auswurf geschieht mit einer verblüffenden Rate, die dem Wert von 10.000 Sonnen pro Jahr entspricht. Die Galaxie verliert schnell ihren Treibstoff zur Bildung neuer Sterne. Das Team glaubt, dass dieses spektakuläre Ereignis durch eine Kollision mit einer anderen Galaxie ausgelöst wurde.

Abb.: Illustration der Galaxie ID2299 in einer Ent­fernung von etwa neun...
Abb.: Illustration der Galaxie ID2299 in einer Ent­fernung von etwa neun Milliarden Licht­jahren. (Bild: M. Kornmesser, ESO)

„Das ist das erste Mal, dass wir eine typische massereiche stern­bildende Galaxie im fernen Universum beobachtet haben, die im Begriff ist, aufgrund eines gewaltigen kalten Gasauswurfs zu erlöschen“, sagt Annagrazia Puglisi von der Durham University und dem französischen Kernforschungs­zentrum Saclay (CEA-Saclay), die die neue Studie leitete. Die Galaxie, ID2299, ist so weit entfernt, dass ihr Licht etwa neun Milliarden Jahre braucht, um uns zu erreichen. Wir sehen sie, als das Universum gerade 4,5 Milliarden Jahre alt war. Der Gasauswurf geschieht mit einer Rate, die 10.000 Sonnen pro Jahr entspricht, und schleudert erstaun­liche 46 Prozent des gesamten kalten Gases aus ID2299. Da die Galaxie auch sehr schnell Sterne bildet, hunderte Male schneller als unsere Milchstraße, wird das verbleibende Gas rasch verbraucht sein und ID2299 in nur einigen zehn Millionen Jahren zum Stillstand bringen.

Das Ereignis, das für den spekta­kulären Gasverlust verantwortlich ist, so glaubt das Team, ist eine Kollision zwischen zwei Galaxien, die schließlich zu ID2299 verschmolzen. Der entscheidende Hinweis, der die Wissenschaftler auf dieses Szenario führte, war die Verbindung des ausgestoßenen Gases mit einem Gezeiten­schweif. Gezeiten­schweife sind langgestreckte Ströme von Sternen und Gas, die sich in den inter­stellaren Raum erstrecken. Sie entstehen, wenn zwei Galaxien miteinander verschmelzen, und sind normalerweise zu schwach, um in weit entfernten Galaxien wahrgenommen zu werden. Dem Team gelang es jedoch, das relativ helle Phänomen zu beobachten, als es gerade in den Weltraum vorstieß, und sie konnten es als Gezeiten­schweif identi­fizieren. 

Die meisten Astronomen glauben, dass Winde, die durch die Stern­entstehung und die Aktivität von Schwarzen Löchern in den Zentren masse­reicher Galaxien verursacht werden, dafür verantwortlich sind, dass stern­bildendes Material in den Weltraum geschleudert wird und so die Fähigkeit der Galaxien, neue Sterne zu bilden, beendet. Die neue Studie legt jedoch nahe, dass galaktische Verschmelzungen ebenfalls dafür verantwortlich sein können, dass sternbildender Brennstoff ins All katapultiert wird. „Unsere Studie legt nahe, dass Gasauswürfe durch Verschmelzungen erzeugt werden können und dass Winde und Gezeiten­schweife sehr ähnlich aussehen können“, sagt Emanuele Daddi vom CEA-Saclay. Aus diesem Grund könnten einige der Teams, die zuvor Winde von fernen Galaxien identi­fiziert haben, in Wirklichkeit Gezeiten­schweife beobachtet haben, die Gas herausschleudern. „Das könnte dazu führen, dass wir unser Verständnis davon, wie Galaxien sterben, revidieren müssen“, fügt Daddi hinzu.

Puglisi stimmt über die Bedeutung des Fundes des Teams zu und sagt: „Ich war begeistert, eine so außer­gewöhnliche Galaxie zu entdecken! Ich war begierig darauf, mehr über dieses sonderbare Objekt zu erfahren, weil ich überzeugt war, dass daraus eine wichtige Erkenntnis darüber zu ziehen ist, wie sich ferne Galaxien entwickeln.“ Diese über­raschende Entdeckung wurde zufällig gemacht, während die Forscher eine mit ALMA durchgeführte Durch­musterung von Galaxien untersuchten, mit der die Eigenschaften von kaltem Gas in mehr als 100 weit entfernten Galaxien untersucht werden sollten. ID2299 wurde von ALMA nur wenige Minuten lang beobachtet, aber das leistungs­starke Obser­vatorium, das sich im Norden Chiles befindet, ermöglichte es dem Team, genügend Daten zu sammeln, um die Galaxie und ihren Auswurf­schweif zu entdecken.

„ALMA hat ein neues Licht auf die Mechanismen geworfen, die die Stern­entstehung in fernen Galaxien zum Stillstand bringen können. Die Beobachtung eines solch gravierenden Stör­vorgangs fügt dem komplexen Puzzle der Galaxien­entwicklung ein wichtiges Stück hinzu“, sagt Chiara Circosta, Forscherin am University College London, die ebenfalls an der Untersuchung beteiligt war. In Zukunft könnte das Team ALMA nutzen, um höher aufgelöste und tiefere Beobachtungen dieser Galaxie zu machen, um so die Dynamik des ausge­stoßenen Gases besser zu verstehen. Beobach­tungen mit dem zukünftigen Extremely Large Telescope könnten es der Gruppe erlauben, die Verbindungen zwischen den Sternen und dem Gas in ID2299 zu erforschen und so mehr darüber zu erfahren, wie sich Galaxien entwickeln.

MPA / JOL

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