06.12.2007

Gefrorenes Helium bleibt rätselhaft

Kanadische Forscher sehen Hinweise für einen Zusammenhang zwischen der Suprasolidität und den mechanischen Eigenschaften von Heliumkristallen.



Kanadische Forscher sehen Hinweise für einen Zusammenhang zwischen der Suprasolidität und den mechanischen Eigenschaften von Heliumkristallen.

Kann in einem festen Kristall Suprafluidität auftreten? Die „Suprasolidität“ von Heliumkristallen gibt auch vier Jahre nach ihrer Entdeckung durch Eun-Seong Kim und Moses Chan von der Pennsylvania State University Rätsel auf. Die beiden Forscher hatten bei Torsionspendelexperimenten mit gefrorenem Helium beobachtet, dass bei Abkühlung unter 200 mK das Trägheitsmoment der Heliumprobe plötzlich abnahm. Etwa 2% der Heliumatome nahmen dann nicht mehr an den Rotationsschwingungen des Pendels teil sondern schienen wie eine Supraflüssigkeit durch das feste Helium zu strömen. Später fanden Chan und seine Mitarbeiter diesen Effekt auch für einzelne Heliumkristalle. Bei fast isotopenreinem Helium-4, das kaum Beimengungen von Helium-3 enthielt, trat die Suprasolidität bei 75 mK auf.

Um die Beobachtungen zu erklären, griff man zunächst auf eine Theorie von Alexander Andreev und Ilya Lifschitz aus dem Jahre 1969 zurück. Da in einem perfekten Kristall die Atome lokalisiert sind, kann er kein suprafluides Verhalten zeigen. Enthält ein Kristall jedoch Fehlstellen, also unbesetzte Plätze im Kristallgitter, die sich durch quantenmechanisches Tunneln umher bewegen, so könnten die Fehlstellen ein suprafluides Bose-Einstein-Kondensat bilden. Neuere Berechnungen zeigen jedoch, dass sich die Fehlstellen lokal sammeln und das Kristallgitter zerstören. So lässt sich die Suprasolidität wohl nicht erklären.

Doch in irgendeiner Form muss kristalline Unordnung eine Rolle bei der Suprasolidität spielen. Darauf deuten Torsionspendelexperimente mit Heliumproben hin, deren Kristallstruktur unterschiedlich viele Fehler enthielten. Ann Sophie Rittner and John Reppy von der Cornell University hatten beobachtet, dass sich umso weniger Heliumatome von den Torsionsschwingungen abkoppelten, je weniger Kristallfehler das gefrorene Helium enthielt. Neben den Fehlstellen waren das vor allem Versetzungen, bei denen das Kristallgitter längs einzelner Linien stark deformiert ist, weil es überschüssige Gitterebenen enthält. Theoretische Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Atome in den linienförmigen Versetzungen sich wie in einer Supraflüssigkeit bewegen können.

Die mechanische Starrheit eines Kristalls, auf den Scherkräfte wirken, nimmt um bis 30% ab, wenn er Versetzungen enthält, die sich in ihm bewegen können. Falls auch die Suprasolidität von den Versetzungen abhängt, so sollte es zwischen ihr und den mechanischen Eigenschaften des Kristalls einen Zusammenhang geben. Diesen Zusammenhang haben James Day und John Beamish von der University of Alberta in Edmonton, Kanada jetzt beobachtet, als sie die mechanischen Eigenschaften von Heliumkristallen untersuchten. Dazu betteten sie piezoelektrische Wandler in das kristalline Helium ein, mit denen sie den Schubmodul des Heliums messen konnten.

Als die Forscher isotopenreines kristallines Helium-4 (mit 1 p. p. b. He-3) unter 100 mK abkühlten, bemerkten sie ein sehr ungewöhnliches Verhalten: Der Schubmodul nahm um etwa 10% zu. Das Helium wurde bei 75 mK plötzlich starrer, also genau bei der Temperatur, bei der in Torsionspendelexperimenten Suprasolidität aufgetreten war. Auch für handelsübliches Helium-4 (mit 0,3 p. p. m. He-3) nahm der Schubmodul bei Abkühlung deutlich zu, allerdings diesmal schon bei etwa 200 mK – und somit wiederum parallel zum Auftreten der Suprasolidität in entsprechenden Proben.

Anschließend untersuchten die Forscher die Eigenschaften von kristallinen Heliumproben, denen sie unterschiedlich viel Zeit gegeben hatten, ihre Kristallfehler auszuheilen. Je weniger Kristallfehler eine Probe enthielt, umso weniger änderte sich der Schubmodul bei Abkühlung der Probe. Während der Schubmodul bei tiefen Temperaturen kaum von der Zahl der Kristallfehler abhing, nahm er bei hohen Temperaturen stetig zu, wenn sich die der Zahl der Fehler verringerte. Dafür gibt es eine anschauliche Erklärung. Bei tiefen Temperaturen waren fast alle Versetzungen „eingefroren“ und unbeweglich. Sie konnten deshalb die Starrheit des Heliums nicht verringern, ganz egal wie viele Versetzungen vorhanden waren. Bei hohen Temperaturen hingegen wurden die Versetzungen beweglich, und je mehr es von ihnen gab, umso kleiner war der Schubmodul. An den Helium-3-Atomen blieben die Versetzungen leicht hängen. Je mehr Helium-3-Atome es gab, umso höhere Temperaturen waren nötig, um die Versetzungen freizubekommen und den Schubmodul zu verringern.

Wieso jedoch das „Einfrieren“ der Versetzungen mit dem Auftreten der Suprasolidität einhergeht, bleibt rätselhaft. Vielleicht kann in den beweglichen Versetzungen keine Suprafluidität mehr auftreten. Doch möglicherweise hat die in den Torsionspendelexperimenten beobachtete Abnahme des Trägheitsmoments der Heliumproben auch gar nichts mit dem Auftreten von Suprafluidität zu tun. Vielleicht hat sie eine rein mechanische Ursache und lässt sich auf die Bewegungen von Versetzungen zurückführen, die das Trägheitsmoment der Heliumproben verändern.

Rainer Scharf

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