Genaueste Vermessung von Neutronen
Neuartige Bestimmung des Dipolmoments könnte Ungleichgewicht von Materie und Antimaterie im Universum klären helfen.
Unser Universum besteht aus deutlich mehr Materie, als sich mit bisherigen Theorien erklären lässt. Ein Weg, diese Unstimmigkeit zu klären, führt über das elektrische Dipolmoment des Neutrons. Forscher am Paul-Scherrer-Institut haben in einer internationalen Zusammenarbeit eine neue Methode entwickelt, die helfen wird, dieses Dipolmoment genauer als je zuvor zu bestimmen.
Abb.: Klaus Kirch, Laborleiter Teilchenphysik am PSI, an einem Testaufbau zur Messung des elektrischen Dipolmoments des Neutrons. (Bild: PSI)
Philipp Schmidt-Wellenburg vom PSI und seine Kollegen haben die Spin-Echo-Methode für die Vermessung langsamer, sich frei bewegender Neutronen adaptiert. Damit haben sie ein neues, nicht-destruktives Bildgebungsverfahren zur hochgenauen Messung der Neutronengeschwindigkeit erschaffen.
Schmidt-Wellenburg erklärt das Grundprinzip des Verfahrens mit der Analogie eines Wettlaufs durch unbekanntes Terrain: „Wir schicken Neutronen – ähnlich wie Läufer – mit einer Art Startschuss los. Nach einer bestimmten Zeit lassen wir sie mittels eines zweiten Signals umkehren. Wie ein Echo kehren die Neutronen dann alle zum Ausgangspunkt zurück.“ Die unterschiedliche Zeitverzögerung jedoch, mit der die einzelnen Neutronen zurückkommen, verrät den Forschern etwas über die Beschaffenheit des Raums, den sie jeweils durchlaufen haben: Würde bei gleich sportlichen Läufern einer später zurückkommen als die anderen, ließe sich ganz ähnlich darauf schließen, dass es auf seiner Strecke mehr Hindernisse gab.
Grundsätzlich ist die Spin-Echo-Methode nichts Neues. In der Medizin wird sie seit Jahrzehnten in der Magnetresonanztomographie genutzt, wo sie zur Bildgebung von Gewebe und Organen dient. Der Unterschied und damit die große Herausforderung für die neue Methode: Die hier verwendeten Neutronen sind extrem langsam und werden minutenlang beobachtet. Solche langsamen Neutronen nennt man auch ultrakalte Neutronen. Ihr Einsatz wiederum hat zur Folge, dass alle experimentellen Rahmenbedingungen über vergleichsweise lange Zeiträume von mehreren Minuten extrem stabil gehalten werden müssen. Unter anderem müssen wir ständig jede noch so winzige Änderung des Magnetfelds ausgleichen. Die kann beispielsweise schon dadurch zustande kommen, dass ein Lastwagen auf der nahe gelegenen Landstraße vorbeifährt, veranschaulicht Schmidt-Wellenburg den Genauigkeitsgrad des Experiments.
All dies ist nötig, um das elektrische Dipolmoment des Neutrons genauer als bisher zu bestimmen. Das vorläufig letzte Experiment zur Vermessung dieser Größe wurde im Jahr 2006 veröffentlicht. Jedoch ist das Ergebnis von damals noch zu ungenau, als dass sich daraus Schlüsse für die Entstehung des Universums ziehen lassen. Seither mangelte es an Methoden, die eine genauere Messung erlaubten. Diese Lücke sei nun mit unserer adaptierten Spin-Echo-Methode für ultrakalte Neutronen geschlossen, erklärt Schmidt-Wellenburg.
Die neue Spin-Echo-Methode mit ultrakalten Neutronen lässt sich daneben auch für andere fundamentale Messungen nutzen, beispielsweise zur genaueren Vermessung der Lebensdauer des Neutrons. „Ich wage zu behaupten, dass unsere neue Methode in den kommenden zwanzig Jahren in vielen Experimenten mit ultrakalten Neutronen benutzt werden wird,“ so Schmidt-Wellenburg.
PSI / OD