05.10.2015

Genaueste Vermessung von Neutronen

Neuartige Bestimmung des Dipol­moments könnte Un­gleich­ge­wicht von Mate­rie und Anti­mate­rie im Uni­ver­sum klä­ren hel­fen.

Unser Universum besteht aus deutlich mehr Materie, als sich mit bisherigen Theorien erklären lässt. Ein Weg, diese Unstim­mig­keit zu klären, führt über das elek­trische Dipol­moment des Neutrons. Forscher am Paul-Scherrer-Institut haben in einer interna­tionalen Zusammen­arbeit eine neue Methode entwickelt, die helfen wird, dieses Dipol­moment genauer als je zuvor zu bestimmen.

Abb.: Klaus Kirch, Laborleiter Teilchen­physik am PSI, an einem Test­aufbau zur Messung des elek­trischen Dipol­moments des Neutrons. (Bild: PSI)

Philipp Schmidt-Wellenburg vom PSI und seine Kollegen haben die Spin-Echo-Methode für die Vermes­sung langsamer, sich frei bewegender Neutronen adaptiert. Damit haben sie ein neues, nicht-destruktives Bild­gebungs­verfahren zur hoch­genauen Messung der Neutronen­geschwin­digkeit erschaffen.

Schmidt-Wellenburg erklärt das Grundprinzip des Verfahrens mit der Analogie eines Wettlaufs durch unbekanntes Terrain: „Wir schicken Neutronen – ähnlich wie Läufer – mit einer Art Start­schuss los. Nach einer bestimmten Zeit lassen wir sie mittels eines zweiten Signals umkehren. Wie ein Echo kehren die Neutronen dann alle zum Ausgangs­punkt zurück.“ Die unter­schied­liche Zeit­verzö­gerung jedoch, mit der die einzelnen Neutronen zurückkommen, verrät den Forschern etwas über die Beschaf­fenheit des Raums, den sie jeweils durch­laufen haben: Würde bei gleich sportlichen Läufern einer später zurück­kommen als die anderen, ließe sich ganz ähnlich darauf schließen, dass es auf seiner Strecke mehr Hindernisse gab.

Grundsätzlich ist die Spin-Echo-Methode nichts Neues. In der Medizin wird sie seit Jahr­zehnten in der Magnet­resonanz­tomo­graphie genutzt, wo sie zur Bild­gebung von Gewebe und Organen dient. Der Unter­schied und damit die große Heraus­forderung für die neue Methode: Die hier verwen­deten Neutronen sind extrem langsam und werden minuten­lang beobachtet. Solche langsamen Neutronen nennt man auch ultra­kalte Neutronen. Ihr Einsatz wiederum hat zur Folge, dass alle experimen­tellen Rahmen­bedingungen über vergleichs­weise lange Zeiträume von mehreren Minuten extrem stabil gehalten werden müssen. Unter anderem müssen wir ständig jede noch so winzige Änderung des Magnet­felds ausgleichen. Die kann beispiels­weise schon dadurch zustande kommen, dass ein Last­wagen auf der nahe gelegenen Land­straße vorbeifährt, veran­schaulicht Schmidt-Wellenburg den Genauig­keits­grad des Experiments.

All dies ist nötig, um das elektrische Dipol­moment des Neutrons genauer als bisher zu bestimmen. Das vorläufig letzte Experiment zur Vermes­sung dieser Größe wurde im Jahr 2006 ve­röffent­licht. Jedoch ist das Ergebnis von damals noch zu ungenau, als dass sich daraus Schlüsse für die Entstehung des Universums ziehen lassen. Seither mangelte es an Methoden, die eine genauere Messung erlaubten. Diese Lücke sei nun mit unserer adaptierten Spin-Echo-Methode für ultra­kalte Neutronen geschlossen, erklärt Schmidt-Wellenburg.

Die neue Spin-Echo-Methode mit ultra­kalten Neutronen lässt sich daneben auch für andere funda­mentale Messungen nutzen, bei­spiels­weise zur genaueren Vermes­sung der Lebens­dauer des Neutrons. „Ich wage zu behaupten, dass unsere neue Methode in den kommenden zwanzig Jahren in vielen Experi­menten mit ultra­kalten Neutronen benutzt werden wird,“ so Schmidt-Wellenburg.

PSI / OD

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