06.10.2017

Geschrumpftes Proton

Messungen an regulärem Wasserstoff bestätigen den unerwartet kleinen Protonen­radius von myonischem Wasser­stoff.

Es war eine der Sensa­tionen des Jahres 2010: Laser­spektro­skopie an myonischem Wasser­stoff ergab für den Ladungs­radius des Protons einen Wert, der signi­fikant, nämlich um vier Standard­abweichungen, kleiner war als der aus bisherigen Messungen an gewöhn­lichem Wasser­stoff ermittelte Wert. Seither wird über die Ursachen dieser Dis­krepanz gerätselt, selbst Erwei­terungen des Standard­modells der Physik sind im Gespräch. Doch nun hat ein Team aus der Abteilung Laser­spektro­skopie von Theodor W. Hänsch am Max-Planck-Institut für Quanten­optik in Garching eine neue spektro­skopische Messung an gewöhn­lichem Wasser­stoff vorge­nommen. Die daraus abgeleiteten Werte für die Rydberg­konstante und den Protonen­radius stimmen sehr gut mit den Messungen an myo­nischem Wasser­stoff überein, liegen aber 3,3 Standard­abweichungen unter dem Mittel der bisherigen spektro­skopischen Messungen an regulärem Wasser­stoff.

Abb.: Diese Vakuum­apparatur wurde zur Messung der 2S-4P-Übergangs­frequenz in atomarem Wasserstoff genutzt. Das violette Leuchten im Hintergrund stammt aus der Mikrowellen­entladung, die Wasserstoff-Moleküle in Wasserstoff-Atome dissoziiert. Das blaue Licht im Vordergrund ist Fluoreszenz vom ultra­violetten Laser, der die Atome in den 2S-Zustand anregt. Das türkis­farbene Leuchten ist Streulicht von dem Lasersystem, das zur Frequenz­messung des 2S-4P-Übergangs dient. (Bild: MPQ)

Wasser­stoff ist das einfachste aller chemischen Elemente. Nach dem 1913 von Niels Bohr vorge­schlagenen Modell besteht es aus einem einzigen Proton und einem darum kreisenden Elektron. Für die Energie­niveaus dieses Systems liefert die Quanten­elektrodynamik Vorher­sagen, die mittlerweile auf 12 Dezimal­stellen genau sind. Wasserstoff spielt deshalb eine Schlüssel­rolle für unser Verständnis von der Natur. Aus seiner Unter­suchung lassen sich funda­mentale Größen wie die Rydberg-Konstante und der Ladungs­radius des Protons bestimmen. Wasser­stoff ist also das ideale Testobjekt, um die Natur­gesetze zu überprüfen. Deshalb erregten 2010 Messungen an myonischem Wasser­stoff, die einen unerwartet kleinen Protonen­radius ergaben, höchste Aufmerk­samkeit.

Bei diesen am Paul Scherrer-Institut im schwei­zerischen Villigen reali­sierten Experimenten wird das Elektron im Wasser­stoffatom durch sein Geschwister­teilchen, das 200-mal schwerere und kurzlebige Myon, ersetzt. Laser­spektroskopie an diesem myonischem Wasser­stoff ergab einen um vier Prozent kleineren Protonen­radius als frühere Messungen an gewöhn­lichem Wasser­stoff, und dies mit einer für eine Einzel­messung extrem hohen Genauigkeit. „Da das Myon 200-mal schwerer ist als das Elektron, kommt es dem Proton viel näher und spürt buch­stäblich dessen Ausdehnung“, erklärt Randolf Pohl, der maßgeblich an der Messung beteiligt war. „Der Protonen­radius hat deswegen einen um sieben Größen­ordnungen stärkeren Einfluss auf die Spektral­linien als in regulärem Wasser­stoff. Daraus ergibt sich die hohe Präzision, mit der wir den Protonen­radius bestimmen konnten.“

Die hohe Diskrepanz zwischen den Messungen an regu­lärem Wasser­stoff und seiner exotischen Variante gab Anlass zu zahl­reichen Debatten über die möglichen Ursachen. „Allerdings stimmen einige der bis­herigen Messungen durchaus mit dem myonischen Wert überein. Denn der Einfluss des Protonen­radius auf die Energie­niveaus in regu­lärem Wasser­stoff ist sehr klein und selbst mit sehr hoher Mess­präzision kaum sichtbar. Die Diskrepanz wird erst dann signi­fikant, wenn alle Messungen gemittelt werden.“, erklärt Lothar Maisen­bacher, Doktorand am Experiment. „Deshalb ist es für die Auf­lösung des Proton-Rätsels besonders wichtig, einzelne neue Messungen mit hoher Genauig­keit und, soweit möglich, anderen experi­mentellen Ansätzen durchzu­führen.“

Um sowohl Rydberg-Konstante und als auch Protonen­radius nur durch Spektro­skopie an regu­lärem Wasser­stoff zu bestimmen, müssen zwei verschiedene Übergangs­frequenzen gemessen werden. Als Eckpfeiler dient dabei die mit Abstand schärfste Resonanz, der 1S-2S-Übergang, dessen Frequenz vom MPQ-Team 2011 mit Laser­spektroskopie auf 15 Dezimal­stellen genau gemessen wurde. Diese hohe Genauig­keit wurde nicht zuletzt durch die Entwicklung des Frequenz­kamms möglich, für den Hänsch 2005 den Physik-Nobel­preis erhielt. Als zweiten Übergang wählte das Team den 2S-4P-Übergang, der vom meta­stabilen 2S-Zustand in den deutlich kurz­lebigeren 4P-Zustand führt.

Im Experiment wird dieser Übergang von einem Laser mit einer Wellen­länge von 486 Nanometer angeregt und die beim Zerfall des 4P-Zustand entstehende Fluores­zenz wird als Signal detektiert. Der zuvor zur 1S-2S-Messung genutzte Apparat dient als Quelle für Wasserstoff­atome im 2S-Zustand. Im Vergleich zu vor­herigen Messungen, die bei Raum­temperatur arbei­teten, haben die spektro­skopisch unter­suchten Atome dadurch eine deutlich nie­drigere Temperatur von 5,8 Kelvin und damit auch eine deutlich nie­drigere Geschwin­digkeit. Zusammen mit weiteren eigens ent­wickelten Techniken kann somit der Doppler­effekt, die größte Fehler­quelle für die Messung, stark unter­drückt werden.

„Eine weitere Fehler­quelle bei diesem Experiment ist die soge­nannte Quanten­interferenz“, erklärt Lothar Maisen­bacher. „Könnten wir einen einzelnen, iso­lierten Übergang anregen, wäre die natürliche Form der Spektral­linie symmetrisch. Aller­dings gibt es in unserem Fall zwei vom Laser angeregte obere Zustände, nämlich 4P1/2 und 4P3/2. Dadurch werden die Spektral­linien leicht asym­metrisch, und die Bestimmung der Linien­mitte schwieriger. Der Effekt ist zwar sehr klein, spielt aber angesichts der erreichten Genauig­keit von fast einem Zehn­tausendstel der Linien­breite eine große Rolle.“

Um den Einfluss der Quanten­interferenz zu beschreiben, führen die Wissen­schaftler detail­lierte Simu­lationen durch, die sehr gut mit den experi­mentellen Ergeb­nissen überein­stimmen. „In unserem Fall reicht aber auch schon eine speziell hierfür herge­leitete, einfache Fit­funktion, um den Effekt der Quanten­interferenz entfernen zu können“, betont Vitaly Andreev, ebenfalls Doktorand am Experiment. „Diese Fit­funktion benutzen wir auch zur Daten­auswertung. Wir müssen hier nur noch in Form kleiner Korrek­turen von der Größen­ordnung von etwa einem Kilohertz auf die Simu­lation zurück­greifen.“

Damit schafft es das Team die Frequenz des 2S-4P-Übergangs in Wasserstoff auf 2.3 kHz genau zu bestimmen. Dies entspricht einer relativen Messun­genauig­keit von 4x10-12 und stellt die zweit­genaueste Spektro­skopie­messung nach der zuvor genannten Messung des 1S-2S-Übergangs dar. Aus der Kombi­nation dieser beiden Ergeb­nisse bestimmen sich die Werte für die Rydberg-Konstante und den Protonen­radius zu R = 10973731.568076(96) m-1 und rp = 0.8335(95) fm.

„Unsere Messung ist fast so genau wie alle anderen bis­herigen Expe­rimente an regulärem Wasser­stoff zusammen­genommen“, resümiert Thomas Udem, Leiter des Projekts. „Wir erhalten eine gute Überein­stimmung mit den Werten für myonischen Wasser­stoff, aber einen Unterschied von 3,3 Standard­abweichungen zu den Wasser­stoff-Weltdaten, sowohl für die Rydberg-Konstante als auch für den Protonenradius. Um die Ursachen für diese Diskre­panzen umfassend erklären zu können, benötigen wir weitere Messungen mit vielleicht noch höherer Genau­igkeit. Denn man sollte nicht vergessen, dass viele neue Ent­deckungen anfangs nur als Dis­krepanz in Erscheinung traten.“

MPQ / JOL

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