Geschrumpftes Proton
Messungen an regulärem Wasserstoff bestätigen den unerwartet kleinen Protonenradius von myonischem Wasserstoff.
Es war eine der Sensationen des Jahres 2010: Laserspektroskopie an myonischem Wasserstoff ergab für den Ladungsradius des Protons einen Wert, der signifikant, nämlich um vier Standardabweichungen, kleiner war als der aus bisherigen Messungen an gewöhnlichem Wasserstoff ermittelte Wert. Seither wird über die Ursachen dieser Diskrepanz gerätselt, selbst Erweiterungen des Standardmodells der Physik sind im Gespräch. Doch nun hat ein Team aus der Abteilung Laserspektroskopie von Theodor W. Hänsch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching eine neue spektroskopische Messung an gewöhnlichem Wasserstoff vorgenommen. Die daraus abgeleiteten Werte für die Rydbergkonstante und den Protonenradius stimmen sehr gut mit den Messungen an myonischem Wasserstoff überein, liegen aber 3,3 Standardabweichungen unter dem Mittel der bisherigen spektroskopischen Messungen an regulärem Wasserstoff.
Abb.: Diese Vakuumapparatur wurde zur Messung der 2S-4P-Übergangsfrequenz in atomarem Wasserstoff genutzt. Das violette Leuchten im Hintergrund stammt aus der Mikrowellenentladung, die Wasserstoff-Moleküle in Wasserstoff-Atome dissoziiert. Das blaue Licht im Vordergrund ist Fluoreszenz vom ultravioletten Laser, der die Atome in den 2S-Zustand anregt. Das türkisfarbene Leuchten ist Streulicht von dem Lasersystem, das zur Frequenzmessung des 2S-4P-Übergangs dient. (Bild: MPQ)
Wasserstoff ist das einfachste aller chemischen Elemente. Nach dem 1913 von Niels Bohr vorgeschlagenen Modell besteht es aus einem einzigen Proton und einem darum kreisenden Elektron. Für die Energieniveaus dieses Systems liefert die Quantenelektrodynamik Vorhersagen, die mittlerweile auf 12 Dezimalstellen genau sind. Wasserstoff spielt deshalb eine Schlüsselrolle für unser Verständnis von der Natur. Aus seiner Untersuchung lassen sich fundamentale Größen wie die Rydberg-Konstante und der Ladungsradius des Protons bestimmen. Wasserstoff ist also das ideale Testobjekt, um die Naturgesetze zu überprüfen. Deshalb erregten 2010 Messungen an myonischem Wasserstoff, die einen unerwartet kleinen Protonenradius ergaben, höchste Aufmerksamkeit.
Bei diesen am Paul Scherrer-Institut im schweizerischen Villigen realisierten Experimenten wird das Elektron im Wasserstoffatom durch sein Geschwisterteilchen, das 200-mal schwerere und kurzlebige Myon, ersetzt. Laserspektroskopie an diesem myonischem Wasserstoff ergab einen um vier Prozent kleineren Protonenradius als frühere Messungen an gewöhnlichem Wasserstoff, und dies mit einer für eine Einzelmessung extrem hohen Genauigkeit. „Da das Myon 200-mal schwerer ist als das Elektron, kommt es dem Proton viel näher und spürt buchstäblich dessen Ausdehnung“, erklärt Randolf Pohl, der maßgeblich an der Messung beteiligt war. „Der Protonenradius hat deswegen einen um sieben Größenordnungen stärkeren Einfluss auf die Spektrallinien als in regulärem Wasserstoff. Daraus ergibt sich die hohe Präzision, mit der wir den Protonenradius bestimmen konnten.“
Die hohe Diskrepanz zwischen den Messungen an regulärem Wasserstoff und seiner exotischen Variante gab Anlass zu zahlreichen Debatten über die möglichen Ursachen. „Allerdings stimmen einige der bisherigen Messungen durchaus mit dem myonischen Wert überein. Denn der Einfluss des Protonenradius auf die Energieniveaus in regulärem Wasserstoff ist sehr klein und selbst mit sehr hoher Messpräzision kaum sichtbar. Die Diskrepanz wird erst dann signifikant, wenn alle Messungen gemittelt werden.“, erklärt Lothar Maisenbacher, Doktorand am Experiment. „Deshalb ist es für die Auflösung des Proton-Rätsels besonders wichtig, einzelne neue Messungen mit hoher Genauigkeit und, soweit möglich, anderen experimentellen Ansätzen durchzuführen.“
Um sowohl Rydberg-Konstante und als auch Protonenradius nur durch Spektroskopie an regulärem Wasserstoff zu bestimmen, müssen zwei verschiedene Übergangsfrequenzen gemessen werden. Als Eckpfeiler dient dabei die mit Abstand schärfste Resonanz, der 1S-2S-Übergang, dessen Frequenz vom MPQ-Team 2011 mit Laserspektroskopie auf 15 Dezimalstellen genau gemessen wurde. Diese hohe Genauigkeit wurde nicht zuletzt durch die Entwicklung des Frequenzkamms möglich, für den Hänsch 2005 den Physik-Nobelpreis erhielt. Als zweiten Übergang wählte das Team den 2S-4P-Übergang, der vom metastabilen 2S-Zustand in den deutlich kurzlebigeren 4P-Zustand führt.
Im Experiment wird dieser Übergang von einem Laser mit einer Wellenlänge von 486 Nanometer angeregt und die beim Zerfall des 4P-Zustand entstehende Fluoreszenz wird als Signal detektiert. Der zuvor zur 1S-2S-Messung genutzte Apparat dient als Quelle für Wasserstoffatome im 2S-Zustand. Im Vergleich zu vorherigen Messungen, die bei Raumtemperatur arbeiteten, haben die spektroskopisch untersuchten Atome dadurch eine deutlich niedrigere Temperatur von 5,8 Kelvin und damit auch eine deutlich niedrigere Geschwindigkeit. Zusammen mit weiteren eigens entwickelten Techniken kann somit der Dopplereffekt, die größte Fehlerquelle für die Messung, stark unterdrückt werden.
„Eine weitere Fehlerquelle bei diesem Experiment ist die sogenannte Quanteninterferenz“, erklärt Lothar Maisenbacher. „Könnten wir einen einzelnen, isolierten Übergang anregen, wäre die natürliche Form der Spektrallinie symmetrisch. Allerdings gibt es in unserem Fall zwei vom Laser angeregte obere Zustände, nämlich 4P1/2 und 4P3/2. Dadurch werden die Spektrallinien leicht asymmetrisch, und die Bestimmung der Linienmitte schwieriger. Der Effekt ist zwar sehr klein, spielt aber angesichts der erreichten Genauigkeit von fast einem Zehntausendstel der Linienbreite eine große Rolle.“
Um den Einfluss der Quanteninterferenz zu beschreiben, führen die Wissenschaftler detaillierte Simulationen durch, die sehr gut mit den experimentellen Ergebnissen übereinstimmen. „In unserem Fall reicht aber auch schon eine speziell hierfür hergeleitete, einfache Fitfunktion, um den Effekt der Quanteninterferenz entfernen zu können“, betont Vitaly Andreev, ebenfalls Doktorand am Experiment. „Diese Fitfunktion benutzen wir auch zur Datenauswertung. Wir müssen hier nur noch in Form kleiner Korrekturen von der Größenordnung von etwa einem Kilohertz auf die Simulation zurückgreifen.“
Damit schafft es das Team die Frequenz des 2S-4P-Übergangs in Wasserstoff auf 2.3 kHz genau zu bestimmen. Dies entspricht einer relativen Messungenauigkeit von 4x10-12 und stellt die zweitgenaueste Spektroskopiemessung nach der zuvor genannten Messung des 1S-2S-Übergangs dar. Aus der Kombination dieser beiden Ergebnisse bestimmen sich die Werte für die Rydberg-Konstante und den Protonenradius zu R∞ = 10973731.568076(96) m-1 und rp = 0.8335(95) fm.
„Unsere Messung ist fast so genau wie alle anderen bisherigen Experimente an regulärem Wasserstoff zusammengenommen“, resümiert Thomas Udem, Leiter des Projekts. „Wir erhalten eine gute Übereinstimmung mit den Werten für myonischen Wasserstoff, aber einen Unterschied von 3,3 Standardabweichungen zu den Wasserstoff-Weltdaten, sowohl für die Rydberg-Konstante als auch für den Protonenradius. Um die Ursachen für diese Diskrepanzen umfassend erklären zu können, benötigen wir weitere Messungen mit vielleicht noch höherer Genauigkeit. Denn man sollte nicht vergessen, dass viele neue Entdeckungen anfangs nur als Diskrepanz in Erscheinung traten.“
MPQ / JOL