04.02.2020

Gestatten: Pi-ton!

Neues Quasiteilchen – ein Bindungszustand aus zwei Elektronen, zwei Löchern und Licht.

In der Physik gibt es ganz unterschiedliche Arten von Teilchen: Elementarteilchen sind die fundamentalen Bausteine der Materie. Andere Teilchen, wie zum Beispiel Atome, sind Bindungszustände aus mehreren kleineren Bestandteilen. Und dann gibt es noch Quasi­teilchen – dabei handelt es sich um Anregungen in einem System, das aus vielen Teilchen besteht und sich in vielerlei Hinsicht wie ein eigenständiges Teilchen verhält. Ein solches Quasi­teilchen wurde nun an der TU Wien in Computer­simulationen entdeckt und Pi-ton benannt. Es besteht aus zwei Elektronen und zwei Löchern.

Abb.: Quasi­teilchen Pi-ton: Zwei Elektronen und zwei Löcher werden durch...
Abb.: Quasi­teilchen Pi-ton: Zwei Elektronen und zwei Löcher werden durch Licht­quanten angeregt und durch einen schachbrett­artige Hinter­grund zusammen­gehalten. (Bild: TU Wien)

„Das einfachste Quasiteilchen ist ein Loch“, erklärt Karsten Held vom Institut für Festkörper­physik der TU Wien. „Stellen wir uns etwa vor, dass in einem Kristall viele Atome regelmäßig angeordnet sind und an jedem Atom ein bewegliches Elektron sitzt. Nur an einem bestimmten Atom fehlt das Elektron – man spricht von einem Loch.“ Nun kann ein Elektron vom Nachbaratom nachrücken. Das ursprüng­liche Loch wird geschlossen, ein neues Loch tut sich auf. Anstatt die Bewegung ständig nachrückender Elektronen zu beschreiben, ist es einfacher, die Bewegung des Lochs zu betrachten. Wenn die Elektronen nach rechts nachrücken, dann wandert das Loch nach links – und diese Bewegung folgt bestimmten physi­kalischen Regeln, genau wie die Bewegung eines gewöhnlichen Teilchens. Im Gegensatz zu einem Elektron, das man auch außerhalb des Kristalls beobachten kann, existiert das Loch jedoch nur im Zusammenhang mit den anderen Teilchen, in diesem Fall spricht man von einem „Quasi­teilchen“.

„Allerdings ist die Trennlinie zwischen Teilchen und Quasi­teilchen nicht so klar, wie man glauben könnte“, sagt Karsten Held. „Streng genommen kann man auch gewöhnliche Teilchen nur im Kontext ihrer Umgebung verstehen. Sogar im Vakuum entstehen ständig Teilchen-Loch-Anregungen. Ohne sie wäre beispielsweise die Masse eines Elektrons eine ganz andere. In diesem Sinn sehen wir auch bei Experimenten mit ganz gewöhnlichen Elektronen in Wahrheit ein Quasi­teilchen-Elektron.“ Es gibt aber auch noch komplexere Quasi­teilchen: Besonders wichtig ist etwa das Exziton, das in der Halbleiterphysik eine entscheidende Rolle spielt. Dabei handelt es sich um einen Bindungs­zustand aus einem Elektron und einem Loch, der durch Licht angeregt wird. Das Elektron ist negativ geladen, das Loch ist die Abwesenheit einer negativen Ladung – und somit positiv geladen. Beide ziehen einander an und können eine Bindung eingehen.

„Solche Exzitonen wollten wir eigentlich untersuchen“, berichten Anna Kauch und Petra Pudleiner. „Wir ent­wickelten Computer­simulationen, mit denen man Effekte in Festkörpern quanten­physikalisch genau berechnen kann.“ Doch bald erkannten die Forscherinnen, dass sie bei ihren Berechnungen auf etwas ganz anderes gestoßen waren – auf ein völlig neu­artiges Quasi­teilchen. Es besteht aus zwei Elektronen und zwei Löchern, die durch Photonen an die Außenwelt koppeln. Diesem bisher unbekannten Objekt gab das Team den Namen „Pi-ton“. „Der Name Pi-ton kommt daher, dass die zwei Elektronen und zwei Löchern durch Ladungs­dichte-Fluktuationen oder Spin-Fluk­tuationen zusammengehalten werden, die von einem Gitterpunkt des Kristalls zum nächsten ihren Charakter immer um 180 Grad umkehren – also um einen Winkel von Pi, gemessen in Radiant“, erklärt Anna Kauch. „Diesen ständigen Wechsel von Plus nach Minus kann man sich vielleicht wie einen Wechsel von schwarz nach weiß auf einem Schach­brett vorstellen“, ergänzt Petra Pudleiner. Das Pi-ton entsteht spontan, indem ein Photon absorbiert wird. Wenn es verschwindet, wird wieder ein Photon emittiert.

Bislang wurde das Pi-ton am Computer entdeckt und nachgewiesen. An der Existenz des Pi-tons besteht für das Forschungs­team kein Zweifel: „Wir haben das Phänomen des Pi-tons mittlerweile mit unter­schiedlichen Modellen untersucht – es zeigt sich immer wieder. Insofern sollte es auf jeden Fall in unter­schiedlichen Materialien nachweisbar sein“, ist Karsten Held überzeugt. „Einige experimentelle Daten, die mit dem Material Samarium-Titanat gewonnen wurden, scheinen bereits auf das Pi-ton hinzudeuten. Zusätz­liche Experimente mit Photonen und Neutronen sollen bald Klarheit schaffen.“

Auch wenn wir ständig von unzähligen Quasi­teilchen umgeben sind – die Entdeckung einer neuen Quasi­teilchen-Sorte ist etwas ganz Besonderes. Neben dem Exziton gibt es jetzt auch das Pi-ton. Dies trägt jedenfalls dazu bei, die Kopplung zwischen Licht und Festkörpern besser zu verstehen, ein Themenbereich, der nicht nur in der Grundlagen­forschung, sondern auch in vielen technischen Anwendungen eine wichtige Rolle spielt – von der Halbleiter­technologie bis zur Photovoltaik.

TU Wien / JOL

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