Get SMARTS!
Neue Klasse mikrostrukturierter Materialien regulieren Wärme, Druck oder Säuregrad selbstständig.
Mit einer Vielzahl von Sensoren werden heute die Prozessparameter bei chemischen Reaktionen oder das Raumklima in Bürogebäuden analysiert und geregelt. Eleganter könnte dies in Zukunft mit einer neuen Klasse „smarter“ Materialien geschehen, die nun Wissenschaftler der Harvard University in Cambridge entwickelt hat. Ihre ersten Labormuster können prinzipiell ohne jede Stromversorgung für eine autarke Regulierung von Temperatur, Säuregrad oder Luftfeuchtigkeit genutzt werden. Die Forscher sehen sie viele Anwendungsmöglichkeiten von Laboranalysen über medizinisch Therapiekontrollen bis hin zur automatischen Regelung von chemischen Reaktionen.
Abb.: Prozessabläufe zur Selbstregulierung der Lamellen-Hydrogel-Module (Bild: Harvard U.)
„Wir haben einen generellen Weg gefunden, um sich selbst regulierende Feedback-Systeme aus einem einzigen Material zu entwickeln“, sagt Ximin He von der Harvard School of Engineering and Applied Sciences. Diese Systeme, genannt Self-regulated Mechanochemical Adaptively Reconfigurable Tunable Systems – SMARTS –, können auf verschiedene Signale der Umgebung reagieren, wie Temperatur, pH-Wert oder Druck. Dabei nutzen sie eine Verkettung von chemischen, mechanischen und wieder chemischen Teilprozessen, um eine eigenständige Regulierung eines Parameters zu ermöglichen. „Ganz gleich ob pH-Wert, Temperatur, Feuchtigkeit oder Druck – die Module können so konstruiert werden, dass sie eine externe Stimulation direkt erkennen und dann modulieren“, sagt Joanna Aizenberg, die die Arbeitsgruppe leitet.
Ihr erstes Modell für ein autarkes Regelmodul besteht aus zwei funktionellen Schichten. Für die untere wählten die Forscher ein Temperatur empfindliches Hydrogel, in das sie ein Areal aus Mikrometer kleinen Lamellen aus einem Kunstharz einlagerten. Diese wurden zuvor mit lithografischen Verfahren strukturiert. Unterhalb einer bestimmten Temperatur quoll das Hydrogel auf und die Lamellen wurden aufgerichtet. Die Lamellenspitzen reichten dadurch in die zweite, darüber liegende Schicht aus flüssigen Reagenzien hinein. Weil die Spitzen mit einem Katalysator beschichtet worden waren, startete in der Flüssigkeit eine exotherme Reaktion. Die dabei freigesetzte Wärme heizte das gesamte Modul auf und verusachte so ab einer bestimmten Temperaturschwelle ein Schrumpfen des Hydrogels. Zugleich senkten sich die Lamellen wieder ab und zogen ihre Katalysatorspitzen aus der Flüssigkeit wieder heraus, so dass die Wärme erzeugen Reaktion stoppte. „Dieser Vorgang ist vergleichbar mit einer Gänsehaut, die sich bei Kälte auf der Haut bilden kann“, sagt Aizenberg.
Abb.: Die mikroskopisch fein strukturierten Lamellen (rot) des neuen Werkstoffs reagieren auf äußere Reize mit mechanischer Veränderung. Aufgerichtet leiten sie regulierende katalytische Reaktionen ein, angedeutet durch die "Wolken". (Bild: Harvard U.)
Erfolgreich für den Parameter Temperatur demonstriert, arbeiten Aizenberg und Kollegen nun an der Übertragung des gleichen Wirkprinzips auf weitere Module, die auch auf Druck, Luftfeuchtigkeit, Lichteinfall oder den pH-Wert der Umgebung reagieren. Dazu müssen sie jeweils die flüssigen Reagenzien in der oberen Schicht auf entsprechende Katalysatoren auf den Lamellenspitzen abstimmen, um die jeweils die gewünschte Reaktion zu veranlassen, die der ursprünglichen Stimulierung entgegenwirken kann. „Im Prinzip können wir jede äußere Stimulierung in ein chemisches Signal in dem Hydrogel überführen“, sagt He. Der Vorteil gegenüber handelsüblichen Sensoren: Diese Art der Selbstregulation benötigt keine externe Energieversorgung und ist weitestgehend wartungsfrei.
Heute befinden sich diese funktionellen Regelmaterialien noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befinden. Dennoch können sich die Wissenschaftler zahlreiche Anwendungsgebiete vorstellen. So ließen sich mit speziell angepassten „Smarts“ die Reaktionsbedingungen etwa in Chemiereaktoren leichter kontrollieren und regeln. Auch Geräte, die völlig selbstständig den Blutzuckerspiegel von Diabetes-Patienten oder das Raumklima in Bürogebäuden einstellen, seien vorstellbar.
Jan Oliver Löfken
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