Gezähmte Kohlensäure
Hoher Druck und hohe Temperaturen machen die reaktive Substanz im Erdinneren stabil.
Mithilfe einer Diamantstempelzelle und eines CO2-Lasers rekonstruierten Forscher am MPI für Chemie in Mainz Umweltbedingungen, die in etwa achtzig Kilometern Tiefe im Inneren der Erde vorliegen. Bei einem Druck von bis zu 9,1 Gigapascal und Temperaturen von 1200 Grad Celsius untersuchten sie das Verhalten von CO2 und H2O. Dabei entdeckte das Team Erstaunliches: Ab einem Druck von 2,4 GPa und bei Temperaturen über 97 Grad Celsius ist in flüssigem Wasser gelöste Kohlensäure stabil.
Abb.: Einspannen der Diamantstempelzelle am Raman-Spektrometer: Janek Zeuschner (l.) und Hongbo Wang gelang es mithilfe dieses Hochdruckinstruments, stabile Kohlensäure herzustellen. (Bild: A. Reuter, MPIC)
Ursprünglich geplant war eine Messreihe zur Reaktivität von kohlenstoffhaltigen Fluiden mit unterschiedlichen Verhältnissen von Wasserstoff und Sauerstoff im Inneren der Erde, also unter extrem hohem Druck. Um den Versuchsaufbau an einem verwandten System zu testen, wählten die Forscher eines der am besten untersuchten aus: CO2 und H2O. Wasser und Kohlendioxid sind jedoch unter den untersuchten Drücken bei Raumtemperatur fest. Da chemische Reaktionen in diesem Zustand nur sehr langsam ablaufen, erhitzten die Wissenschaftler die Probe mithilfe eines CO2-Lasers. Erstaunt stellten sie fest, dass bei Drücken über 2,4 GPa Kristalle in der Diamantstempelzelle entstanden waren. Doktorand Janek Zeuschner bemerkte als erster, welche Bedeutung die daraufhin angefertigten Raman- und Infrarotspektren haben könnten: die Bildung fester Kohlensäure. „Vorherige Studien hatten keine Hinweise geliefert, dass CO2 und H2O bei hohem Druck Kohlensäure in beträchtlichen Mengen bilden könnten“, erklärt Janek das Unerwartete an dieser Entdeckung. Weitere Experimente zeigten, dass die Kristalle sich bei niedrigeren Temperaturen in flüssigem Wasser auflösen, aber stabile Kohlensäuremoleküle in Lösung verbleiben und mehr davon entstehen, je höher die Lösung erwärmt wurde.
„An diesem Punkt wurde uns klar, dass, entgegen der gängigen Meinung, Kohlensäure tatsächlich ein ziemlich typisches Molekül in Tiefen von mehr als achtzig Kilometern auf der Erde sein könnte. Denn im Innern der Erde liegen genau diese Bedingungen vor: extrem hoher Druck und gleichzeitig sehr hohe Temperaturen“, erklärt Hongbo Wang vom MPIC. Die Entdeckung könnte im weiteren Verlauf sowohl Auswirkungen auf das gegenwärtige Verständnis der physikalischen Eigenschaften unterirdischer Fluide, die molekulare Kohlensäure transportieren, als auch auf die Theorien der chemischen Evolution in diesen Fluiden und damit auf die Entstehung des Lebens haben, vermuten die MPIC-Forscher. Dass Kohlensäure unter bestimmten Bedingungen eine stabile und damit quantitativ relevante Substanz in der Erde ist, ändere das Verständnis dieser am globalen Kohlenstoffkreislauf beteiligten Spezies grundlegend.
MPIC / RK