24.08.2017

Gezwirbelter Strom

Aus Nanoröhrchen gesponnene Garne wandeln verblüffend effizient mechanische in elektrische Energie um.

Weltweit verfolgen Wissenschaftler zahlreiche Ansätze für Stromfasern, die mechanische Bewegungen in elektrische Energie umwandeln können. Zusätzlich zu piezo- und tribo­elektrischen Methoden setzt nun eine koreanisch-amerikanische Arbeits­gruppe auf einen elektro­chemischen Prozess, um mit Fasern aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen kleine Strom­mengen zu gewinnen. Mit ihrem besten Prototyp erzielten sie sogar eine verblüffend hohe, rechnerische Leistung von bis zu 250 Watt pro Kilogramm.

Abb.: Mikroskopaufname der verdrillten Fasern aus Kohlenstoffnanoröhrchen, die über Dehnungen elektrischen Strom erzeugen können. (Bild: U. Texas)

„Prinzipiell sind diese Fasern Super­kondensatoren“, sagt Na Li von der University of Texas in Dallas. Durch das Eintauchen eines Nano­röhrchens in einen flüssigen Elektrolyten können sich die Fasern ohne externen Strom­anschluss selbst elektrisch aufladen. Diesen Effekt nutzten Li und seine Kollegen von der Hanyang University in Seoul für die Fertigung ihrer Strom­fasern. Sie züchteten zuerst mehrwandige Nano­röhrchen aus Kohlenstoff, die auf einer Unterlage wie die Grashalme auf einer Wiese senkrecht nebeneinander standen. Die Nano­röhrchen verdrillten sie über ein spezielles Spinverfahren zu einem eng gezwirbelten Faden, der sich elastisch auseinander ziehen ließ. Getränkt in einem leitfähigen Elektrolyten wie beispielsweise einer Kochsalz­lösung, wandelten sich diese verdrillten Fasern zu einem Super­kondensator.

Dank der hohen Festigkeit der Nanoröhrchen ließen sich die gezwirbelten Fasern viele tausend Male dehnen, ohne Schaden zu nehmen. Schon eine Dehnung um ein Drittel reichte für eine effiziente Strom­erzeugung aus. Dabei wurden die Fasern schmaler und die elektrischen Ladungen des Elektrolyten näherten sich aneinander an. Dadurch erzeugte diese mechanische Bewegung kleine Spannungs­pulse von etwa 80 Millivolt bei einer Stromstärke von einigen Dutzend Mikro­ampere. Mit den besten verdrillten Stromfasern erzielten die Wissenschaftler bei dreißig zyklischen Dehnungen pro Sekunde eine rechnerische Leistung von bis zu 250 Watt pro Kilogramm. Da die einzelnen Fasern mit einigen Mikrogramm jedoch sehr leicht waren, war die Strom­ausbeute pro Faser zwar gering, reichte jedoch zum Betrieb einer Leucht­diode oder – eingewoben in einen Stoff – zur Versorgung eines Puls­sensors aus.

Mit diesen Strom erzeugenden Garnen wollen die Forscher nicht nur eine mobile Strom­quelle entwickeln, die sich etwa eingewoben in Sport­kleidung zum Betrieb von Sensoren eignet und Akkus überflüssig machen könnte. Auch für eine neue Klasse kleiner Wellenkraftwerke sollen zu dickeren Tauen gebündelte Strom­fasern geeignet sein. Eingespannt zwischen einer Schwimm­boje und einem Senkblei könnten diese Taue bei jeder Welle gedehnt werden und mit den dabei entstehenden Spannungs­pulsen einen Kondensator oder gar einen Akku nach und nach aufladen. Mit dem so gewonnenen Strom ließen sich etwa Messbojen autark betreiben.

Erste Pilotversuche im Labor mit dünneren Strom­fasern – in Salzwasser getaucht und eingespannt zwischen einem schwimmenden Luft­ballon und einem Senkblei – belegten bereits, dass bei einer Wellen­bewegung die Fasern um etwa ein Viertel gedehnt werden konnten. Vor einer praktischen Anwendung gilt es jedoch, die Fertigungskosten der heute noch relativ teuren Nano­röhrchen aus Kohlenstoff drastisch zu senken.

Die Nanoröhrchen-Faser könnten eine viel versprechende Alternative zu Stromfasern aus Zinkoxid sein, den beispielsweise Zhong Lin Wang und seine Kollegen vom Georgia Institute of Technology in Atlanta vor knapp zehn Jahren schon entwickelt hatten. Wang packte eine nur vier millionstel Meter dicke und ein fünftel Millimeter lange Faser aus Zinkoxid in eine flexible Folie aus dem Kunststoff Polyimid. Wurde dieses Modul gebogen, streckte sich die Zinkoxid-Faser um ein zehntel Prozent und erzeugte über einen piezo­elektrischen Effekt acht Piko­ampere bei fünfzig Millivolt Spannung. Werden mehrere solcher Fasern miteinander gekoppelt, konnte die Strom­ausbeute entsprechend gesteigert werden. Doch an die Leistung der Nano­röhrchen-Fasern reichen diese Minikraftwerke nicht heran.

In Zukunft könnten Strom erzeugende Fasern sogar mit Strom speichernden Fasern kombiniert werden. Verwebbare, flexible Super­kondensatoren entwickelten vor drei Jahren Forscher der Drexel University in Philadelphia aus Leinen, Bambus und Viskose. In diese lagerten sie mit Hilfe chemischer Lösungs­mittel poröse Mikro­partikel aus Aktiv­kohle ein. Abhängig von den experimentellen Rand­bedingungen – Dauer, Temperatur, Druck, Konzentration der verwendeten Lösungen – ließen sich die Aktivkohle-Partikel mehr oder weniger dauerhaft in die Fasern integrieren und die einzelnen Fasern zu dickeren, strick­baren Garnen verbinden.

Jan Oliver Löfken

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