Gibraltar-Bogen wandert westwärts
Subduktionszone unter der Meerenge wird sich in den atlantischen Ozean hinein ausbreiten.
Ozeane verändern sich ständig, auch wenn sich die Entwicklungen äußerst lange über einen Zeitraum von Jahrmillionen erstrecken. Wissenschaftler der Universität Lissabon und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zeigen nun anhand von Computersimulationen, wie sich eine Subduktionszone ausgehend vom westlichen Mittelmeer unter der Straße von Gibraltar in den Atlantik hineinschiebt. Sie wird dem Modell zufolge in fünfzig Millionen Jahren eine neue atlantische Subduktionszone bilden, die in den Erdmantel abtaucht. Das neue geodynamische Modell erklärt die Entstehung der Gibraltar-Subduktionszone und ihre voraussichtliche Entwicklung, die zur Erneuerung des atlantischen Meeresbodens beitragen wird.
Ozeane werden neu gebildet, sie wachsen und schließen sich eines Tages wieder – eine Abfolge, die als Wilson-Zyklus bezeichnet wird. Ein zentraler Eckpfeiler dieses Zyklus ist der Beginn einer Subduktion, wenn ozeanische Lithosphäre wieder in den Erdmantel recycelt wird. „Der Atlantische Ozean ist einzigartig, weil es hier kaum Subduktionszonen gibt im Gegensatz zum Pazifik“, sagt der Mainzer Forscher Boris Kaus. Nur die Kleinen Antillen in der Karibik und der Scotia-Bogen zwischen der Südspitze Argentiniens und der Antarktis stellen voll ausgebildete Subduktionszonen mit vulkanischen Inselbögen dar, die beide in der Kreidezeit entstanden sind. „Der Dritte im Bunde ist der Gibraltar-Bogen, der sich gerade aufmacht, in den Atlantik einzudringen“, erklärt Kaus, Leiter der Arbeitsgruppe Geophysik und Geodynamik. Der Atlantik bietet so ein einmaliges Labor, um den Anfang einer Subduktion zu erforschen.
Der Gibraltar-Bogen entstand als Teil der Subduktionszonen, die sich seit dem Oligozän vor etwa dreißig Millionen Jahren im westlichen Mittelmeer gebildet haben. Er befindet sich heute zum größten Teil unter dem Alborán-Meer und reicht von hier aus bereits in den Atlantik hinein. Aber die Ausbreitung Richtung Westen hat sich in den letzten fünf Millionen Jahren verlangsamt und in der Forschung wurden bereits Vermutungen laut, dass die Bewegung komplett zum Stillstand gekommen sein könnte. „Diese Einschätzung teilen wir so nicht“, bemerken Boris Kaus und Nicolas Riel aus dem Forschungsteam. „Mit unseren Computersimulationen können wir die Entwicklung des Gibraltar-Bogens auf physikalisch korrekte Weise nachvollziehen und einschätzen, welches Schicksal ihn in Zukunft erwartet.“ Die Berechnungen hierzu sind auf dem Mainzer Supercomputer MOGON II erfolgt.
Die Simulationen zeigen, dass sich die Subduktionszone seit dem Beginn des Modells, das vor dreißig Millionen Jahren einsetzt, von der französisch-spanischen Mittelmeerregion aus kreisförmig nach Süden bewegt. Vor etwa siebzehn Millionen Jahren erreichte das Zentrum des Bogens Nordafrika. Inseln wie die Kabylen, die mit der Bewegung südwärts wanderten, lagerten sich dem nordafrikanischen Festland an. „Wir können mit unserem Modell also auch geologische Beobachtungen erklären“, so Kaus. Vor zehn Millionen Jahren begann sich der Slab – der Teil der unteren Platte, der bereits in den Erdmantel abtaucht – in den Atlantik zu pressen. Heute liegt die Subduktionszone mit dem Gibraltar-Bogen im atlantischen Ozean in etwa auf einer Linie mit der Grenze zwischen Spanien und Portugal.
Für die Zukunft erwarten die Geophysiker aus Mainz und Lissabon zunächst eine weitere Verlangsamung des Expansionstempos, das in etwa zwanzig Millionen Jahren fast zum Stillstand kommen dürfte. Erstaunlicherweise setzt dann allerdings eine erneute Beschleunigung ein, sodass sich in den folgenden dreißig Millionen Jahren die Subduktionszone in Form eines Halbkreises in den Atlantik hinein ausbreitet und ein neues atlantisches Subduktionssystem bildet. Das Modell reproduziert damit die direkte Ausbreitung einer Subduktionszone von einem sterbenden Ozean aus, in diesem Fall das Mittelmeer, durch einen schmalen Korridor in einen unberührten Ozean im Atlantik-Stadium. „Unsere Modelle zeigen zum ersten Mal, wie diese direkte Migration stattfinden kann“, sagt João Duarte von der Universität Lissabon.
JGU Mainz / JOL