Gibt es Tetra-Neutronen?
Messwerte deuten auf Existenz der lange gesuchten Teilchen aus vier Neutronen.
Während sich die Kernphysik darüber einig ist, dass es keine Systeme gibt, die nur aus Protonen bestehen, suchen Physiker seit über fünfzig Jahren nach Teilchen, die aus zwei, drei oder vier Neutronen zusammengesetzt sind. Würde ein solches Teilchen existieren, müssten Teile der Theorie der starken Wechselwirkung neu überdacht werden. Darüber hinaus könnte das eingehendere Studium dieser Teilchen helfen, die Eigenschaften von Neutronensternen besser zu verstehen. Experimente eines Teams der TU München am Beschleuniger-Labor auf dem Forschungscampus Garching geben nun Grund zu der Annahme, dass es ein Teilchen aus vier gebundenen Neutronen tatsächlich gibt.
Alles deutet darauf hin, dass in einem der letzten Experimente am inzwischen stillgelegten Tandem-Van-de-Graaff-Beschleuniger solche Tetra-Neutronen entstanden sind. Schon vor zwanzig Jahren publizierte eine Arbeitsgruppe aus Frankreich Messwerte, die sie als die Signatur von Tetra-Neutronen interpretierten. Spätere Arbeiten einer anderen Gruppe zeigten jedoch, dass die angewandte Methodik die Existenz eines Tetra-Neutrons nicht beweisen kann.
2016 versuchte eine Gruppe in Japan Tetra-Neutronen aus Helium-4 zu erzeugen, indem sie es mit einem Strahl aus radioaktiven Helium-8-Teilchen beschossen. Bei dieser Reaktion sollte Beryllium-8 entstehen. Tatsächlich konnten sie vier solcher Atome nachweisen. Aus ihren Messergebnissen folgerten sie, dass das Tetra-Neutron ungebunden sei und schnell wieder in vier Neutronen zerfalle.
Thomas Faestermann und sein Team beschossen bei ihren Versuchen ein Lithium-7-Target mit auf etwa zwölf Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Lithium-7-Teilchen. Hierbei sollte neben dem Tetra-Neutron Kohlenstoff-10 entstehen. Und in der Tat gelang es den Physikern, diese Spezies nachzuweisen. Eine Wiederholung bestätigte das Ergebnis.
Die Messergebnisse des Teams entsprachen der Signatur, die ein Kohlenstoff-10 im ersten angeregten Zustand und ein Tetra-Neutron mit einer Bindungsenergie von 0,42 MeV zeigen würden. Den Messungen zufolge wäre das Tetra-Neutron ungefähr so stabil wie das Neutron selbst. Danach würde es mit einer Halbwertszeit von 450 Sekunden durch Beta-Zerfall zerfallen. „Das ist für uns die einzige physikalisch in allen Punkten plausible Erklärung der gemessenen Werte“, erläutert Faestermann.
Mit seinen Messungen erreicht das Team eine Sicherheit von deutlich über 99,7 Prozent oder drei Sigma. Doch damit ein Teilchen in der Physik als sicher existent gelten darf, wird eine Sicherheit von fünf Sigma verlangt. Gespannt warten die Forscher daher auf eine unabhängige Bestätigung durch andere Teams.
TUM / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
T. Faestermann et al.: Indications for a bound tetraneutron, Phys. Lett. B 824, 136799 (2022); DOI: 10.1016/j.physletb.2021.136799 - Nukleare Astrophysik (T. Faestermann), Technische Universität München