Glasbildung durch amorphe Ordnung
Thermodynamischer Phasenübergang wandelt Flüssigkeit in festes Glas.
Obwohl Gläser zu den ältesten vom Menschen genutzten Materialien gehören, sind die molekularen Vorgänge beim Übergang von der Flüssigkeit in das feste Glas noch weitgehend unverstanden. Wie ein Forscherteam um Alois Loidl und Peter Lunkenheimer von der Uni Augsburg jetzt zeigt, ist Glas nicht einfach eine Flüssigkeit, die bei Abkühlung immer zäher wird. Glas entsteht vielmehr durch einen thermodynamischen Phasenübergang: Das Abkühlen der Glasschmelze geht einher mit einer zunehmend kooperativen Bewegung, was schließlich zur amorphen Ordnung und damit zur Erstarrung führt.
Abb.: Glasbildung auf molekularer Ebene. Die Temperatur- und Frequenzabhängigkeit der dielektrischen Suszeptibilität fünfter Ordnung, die die Reaktion des Materials gemessen bei der fünften Oberwelle des angelegten Wechselfeldes charakterisiert (Graph im Vordergrund), offenbart eine Vergrößerung von Regionen sich gemeinsam bewegender Moleküle beim Übergang von der Flüssigkeit (rechter Kreis) in das feste Glas (linker Kreis). Diese Regionen sind bei hohen Temperaturen in der viskosen Flüssigkeit klein, im festen Glas sind sie groß. (Bild: U. Augsburg)
In den meisten Fällen werden Gläser durch einfaches Abkühlen aus der Schmelze hergestellt. Im Gegensatz zu anderen Flüssigkeiten erstarren Glasschmelzen aber nicht schlagartig, was typisch für einen Phasenübergang wäre, sondern kontinuierlich. Konventionelle Phasenübergänge vom flüssigen in den festen Zustand sind theoretisch gut verstanden und erklärt, ganz im Gegensatz zum Glasübergang. Aufgrund der Besonderheit der Glasbildung betrachten einige theoretische Physiker diesen Übergang als ein von Phasenübergängen grundsätzlich zu unterscheidendes, rein dynamisches Phänomen, bei dem die Molekülbewegung bei tiefen Temperaturen kontinuierlich zum Erliegen kommt. Glas erscheint in dieser Theorie also einfach als Flüssigkeit mit extrem hoher Viskosität. Eine andere theoretische Sichtweise erklärt den Glasübergang jedoch auf Basis eines, wenn auch unkonventionellen, Phasenübergangs, der letztlich zu amorpher Ordnung führt, wobei die Moleküle in zwar ungeordneten, aber wohldefinierten Positionen einfrieren.
Der instantane Übergang von einer Flüssigkeit in einen kristallinen Festkörper geht einher mit einer für einen Phasenübergang typischen Zunahme der Kooperativität der wechselwirkenden Atome oder Moleküle. Durch hochpräzise Experimente bei Spannungen bis zu einigen tausend Volt an unterschiedlichen glasbildenden Flüssigkeiten ist es dem Forscherteam gelungen, eine solche phasenübergangstypische Veränderung der Kooperativität der wechselwirkenden Moleküle auch bei der Glasbildung nachzuweisen. „Unser experimenteller Befund favorisiert also deutlich theoretische Modelle, die den Glasübergang als Phasenübergang beschreiben“, so Loidl.
Bei thermodynamischen Phasenübergängen erwartet man theoretisch fraktale Dimensionen der kooperativen Molekülregionen. Überraschenderweise fanden die Wissenschaftler nun allerdings, dass sich am Glasübergang dreidimensionale, also nicht-
UA / RK