Glaskügelchen am Quantenlimit
Komplexe Regelungstechnik kühlt kleine Glaskugel bis kurz vor die Grenzen der Heisenbergschen Unschärferelation.
Zwischen Gegenständen, die wir aus dem Alltag kennen, und winzigen Quantenobjekten gibt es entscheidende Unterschiede. Quantenphänomene sind meist sehr fragil. Um sie zu studieren verwendet man normalerweise nur eine kleine Zahl von Teilchen, gut abgeschirmt von der Umwelt, bei möglichst niedrigen Temperaturen. Durch eine Zusammenarbeit der Universität Wien, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der TU Wien gelang es aber nun, ein heißes Glaskügelchen, bestehend aus ungefähr einer Milliarde Atome, mit bisher unerreichter Präzision zu vermessen und auf Quantenebene zu kontrollieren. Seine Bewegung wurde gezielt abgebremst, bis es den Zustand kleinstmöglicher Energie annahm. Die Messmethode erreichte dabei beinahe das Limit, das von der Heisenbergschen Unschärferelation vorgegeben wird – mehr Präzision lässt die Physik grundsätzlich nicht zu. Möglich wurde das, indem spezielle Methoden aus der Regelungstechnik erstmals in dieser Form auf Quantensysteme angewendet wurden.
Die Messung beeinflusst das gemessene Objekt, das ist eines der wichtigsten Grundprinzipien der Quantentheorie. „Werner Heisenberg überlegte sich dazu ein berühmtes Gedankenexperiment – das sogenannte Heisenberg-Mikroskop“ erklärt Lorenzo Magrini, der Erstautor der Studie von der Universität Wien. „Wenn man in einem Mikroskop die Position eines Objekts sehr genau messen möchte, muss man Licht mit möglichst kurzer Wellenlänge verwenden. Kurze Wellenlänge bedeutet aber höhere Energie, dadurch wird die Bewegung des Teilchens stärker gestört.“ Man kann nicht gleichzeitig den Aufenthaltsort und den Bewegungszustand eines Teilchens exakt messen. Das Produkt ihrer Ungenauigkeiten ist immer durch das Plancksche Wirkungsquantum begrenzt – das ist die Heisenbergsche Unschärferelation.
Man kann allerdings ausloten, wie nahe man sich an diese von der Natur vorgegebene Schwelle herantasten kann. Im Team von Markus Aspelmeyer an der Universität Wien verwendet man dafür ein Glaskügelchen mit einem Durchmesser von weniger als 200 Nanometern, bestehend aus ungefähr einer Milliarde Teilchen – für unsere Alltagsmaßstäbe ist das sehr klein, doch für quantenphysikalische Maßstäbe handelt es sich um ein recht großes Objekt.
Mit Hilfe eines Laserstrahls kann das Glaskügelchen festgehalten werden. Die Atome des Kügelchens werden vom Laser aufgeheizt, die innere Temperatur des Kügelchens beträgt mehrere hundert Grad Celsius. Das bedeutet, dass die Atome des Kügelchens heftige Wackelbewegungen ausführen. Im Experiment untersuchte man aber nicht die Wackelbewegungen der einzelnen Atome, sondern das kollektive Wackeln des Kügelchens in einer Laserfalle. „Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge, ähnlich wie auch die Bewegung eines Pendels in der Pendeluhr etwas anderes ist als die Bewegung der einzelnen Atome im Pendel“, sagt Markus Aspelmeyer.
Das Ziel war, die Pendelbewegung des Glaskügelchens exakt zu kontrollieren – und zwar bis auf das Niveau, das quantenphysikalisch gerade noch möglich ist, auch wenn es sich beim Glaskügelchen eigentlich um ein makroskopisches Objekt handelt. Damit das gelingen kann, muss die Regelung perfekt entworfen und auf das Experiment abgestimmt sein – diese Aufgabe übernahm das Team des Elektrotechnikers Andreas Kugi von der TU Wien.
„In der Regelungstechnik geht es darum, Systeme so zu beeinflussen, dass sie ein gewünschtes Verhalten aufweisen, unabhängig von Störungen und Parameterschwankungen“, sagt Andreas Kugi. „Das kann etwa ein Roboterarm sein, die Produktionsanlage einer Fabrik, oder auch die Temperatur eines Hochofens.“ Die modernen Methoden der Regelungstechnik auch auf Quantensysteme anzuwenden, eröffnet neue Möglichkeiten. „Man hat dabei aber auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die in dieser Form in der klassischen Systemtheorie und Regelungstechnik nicht vorhanden sind“, erklärt Kugi. „Bei klassischen Regelungsaufgaben hat die Messung keinen oder nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf das System. In der Quantenphysik lässt sich dieser Einfluss aber grundsätzlich nicht verhindern. Wir müssen daher auch neuartige regelungstechnische Methoden entwickeln.“
Das gelang: Das vom Glaskügelchen zurückgestreute Licht wurde mit einer Mikroskopietechnik möglichst vollständig detektiert, daraus ermittelte man in Echtzeit die aktuelle Position des Kügelchens mit einer Präzision im Pikometer-Bereich und passte dann ein elektrisches Feld immer genau so an, dass es der Bewegung des Glaskügelchens entgegenwirkte. Auf diese Weise gelang es, das gesamte Kügelchen gezielt abzubremsen und in einen Bewegungszustand zu versetzen, der dem quantenphysikalischen Grundzustand entspricht – also dem Zustand der kleinstmöglichen Bewegungsenergie. Und das obwohl es sich um ein verhältnismäßig großes Objekt handelt, dessen Atome bei großer Hitze kräftig wackeln.
„Man muss immer Orts- und Bewegungsunschärfe gemeinsam betrachten. Insgesamt betrug das Produkt der Quantenunschärfen des Glaskügelchens nur das 1,7-fache des Planckschen Wirkungsquantums“, sagt Lorenzo Magrini. Ein Plancksches Wirkungsquantum wäre die absolute theoretische Untergrenze – es ist also gelungen, so knapp wie nie zuvor bei einem Objekt dieser Größe ans absolute Quantenlimit heranzurücken. Die im Experiment gemessene Bewegungsenergie entsprach einer Temperatur von gerade einmal fünf Mikrokelvin. Der Bewegung des Glaskügelchens insgesamt kann also auch dann eine extrem niedrige Temperatur zugeordnet werden, wenn die Atome, aus denen das Kügelchen besteht, eine sehr hohe Temperatur haben.
Dieser Erfolg zeigt das große Potenzial dieser neuen Verbindung aus Quantenphysik und Regelungstechnik: Beide Forschungsgruppen wollen in dieser Richtung weiterarbeiten und mit Hilfe der Regelungstechnik noch bessere und präziser kontrollierte Quantenexperimente ermöglichen. Anwendungsmöglichkeiten dafür gibt es viele, sie reichen von Quantensensoren bis zu Technologien aus dem Bereich der Quanteninformation.
U. Wien / DE