16.07.2021

Glaskügelchen am Quantenlimit

Komplexe Regelungstechnik kühlt kleine Glaskugel bis kurz vor die Grenzen der Heisenbergschen Unschärferelation.

Zwischen Gegenständen, die wir aus dem Alltag kennen, und winzigen Quantenobjekten gibt es entscheidende Unterschiede. Quanten­phänomene sind meist sehr fragil. Um sie zu studieren verwendet man normalerweise nur eine kleine Zahl von Teilchen, gut abgeschirmt von der Umwelt, bei möglichst niedrigen Temperaturen. Durch eine Zusammen­arbeit der Universität Wien, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der TU Wien gelang es aber nun, ein heißes Glas­kügelchen, bestehend aus ungefähr einer Milliarde Atome, mit bisher unerreichter Präzision zu vermessen und auf Quantenebene zu kontrollieren. Seine Bewegung wurde gezielt abgebremst, bis es den Zustand kleinstmöglicher Energie annahm. Die Messmethode erreichte dabei beinahe das Limit, das von der Heisenbergschen Unschärfe­relation vorgegeben wird – mehr Präzision lässt die Physik grundsätzlich nicht zu. Möglich wurde das, indem spezielle Methoden aus der Regelungs­technik erstmals in dieser Form auf Quanten­systeme angewendet wurden.

 

Abb.: Infrarot­aufnahme des vor dem Mikroskop­objektiv gefangenen Teilchens...
Abb.: Infrarot­aufnahme des vor dem Mikroskop­objektiv gefangenen Teilchens im Quanten­grundzustand (Bild: L. Magrini / C. Bach / Aspelmeyer Group / U. Wien)

Die Messung beeinflusst das gemessene Objekt, das ist eines der wichtigsten Grundprinzipien der Quantentheorie. „Werner Heisenberg überlegte sich dazu ein berühmtes Gedanken­experiment – das sogenannte Heisenberg-Mikroskop“ erklärt Lorenzo Magrini, der Erstautor der Studie von der Universität Wien. „Wenn man in einem Mikroskop die Position eines Objekts sehr genau messen möchte, muss man Licht mit möglichst kurzer Wellenlänge verwenden. Kurze Wellenlänge bedeutet aber höhere Energie, dadurch wird die Bewegung des Teilchens stärker gestört.“ Man kann nicht gleichzeitig den Aufenthaltsort und den Bewegungs­zustand eines Teilchens exakt messen. Das Produkt ihrer Ungenauigkeiten ist immer durch das Plancksche Wirkungs­quantum begrenzt – das ist die Heisenbergsche Unschärferelation.

Man kann allerdings ausloten, wie nahe man sich an diese von der Natur vorgegebene Schwelle herantasten kann. Im Team von Markus Aspelmeyer an der Universität Wien verwendet man dafür ein Glaskügelchen mit einem Durchmesser von weniger als 200 Nanometern, bestehend aus ungefähr einer Milliarde Teilchen – für unsere Alltags­maßstäbe ist das sehr klein, doch für quanten­physikalische Maßstäbe handelt es sich um ein recht großes Objekt.

Mit Hilfe eines Laserstrahls kann das Glaskügelchen festgehalten werden. Die Atome des Kügelchens werden vom Laser aufgeheizt, die innere Temperatur des Kügelchens beträgt mehrere hundert Grad Celsius. Das bedeutet, dass die Atome des Kügelchens heftige Wackel­bewegungen ausführen. Im Experiment untersuchte man aber nicht die Wackel­bewegungen der einzelnen Atome, sondern das kollektive Wackeln des Kügelchens in einer Laserfalle. „Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge, ähnlich wie auch die Bewegung eines Pendels in der Pendeluhr etwas anderes ist als die Bewegung der einzelnen Atome im Pendel“, sagt Markus Aspelmeyer.

Das Ziel war, die Pendelbewegung des Glaskügelchens exakt zu kontrollieren – und zwar bis auf das Niveau, das quanten­physikalisch gerade noch möglich ist, auch wenn es sich beim Glaskügelchen eigentlich um ein makroskopisches Objekt handelt. Damit das gelingen kann, muss die Regelung perfekt entworfen und auf das Experiment abgestimmt sein – diese Aufgabe übernahm das Team des Elektro­technikers Andreas Kugi von der TU Wien.

„In der Regelungstechnik geht es darum, Systeme so zu beeinflussen, dass sie ein gewünschtes Verhalten aufweisen, unabhängig von Störungen und Parameterschwankungen“, sagt Andreas Kugi. „Das kann etwa ein Roboterarm sein, die Produktions­anlage einer Fabrik, oder auch die Temperatur eines Hochofens.“ Die modernen Methoden der Regelungs­technik auch auf Quantensysteme anzuwenden, eröffnet neue Möglichkeiten. „Man hat dabei aber auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die in dieser Form in der klassischen System­theorie und Regelungs­technik nicht vorhanden sind“, erklärt Kugi. „Bei klassischen Regelungs­aufgaben hat die Messung keinen oder nur einen vernachlässig­baren Einfluss auf das System. In der Quantenphysik lässt sich dieser Einfluss aber grundsätzlich nicht verhindern. Wir müssen daher auch neuartige regelungs­technische Methoden entwickeln.“

Das gelang: Das vom Glaskügelchen zurückgestreute Licht wurde mit einer Mikroskopietechnik möglichst vollständig detektiert, daraus ermittelte man in Echtzeit die aktuelle Position des Kügelchens mit einer Präzision im Pikometer-Bereich und passte dann ein elektrisches Feld immer genau so an, dass es der Bewegung des Glas­kügelchens entgegenwirkte. Auf diese Weise gelang es, das gesamte Kügelchen gezielt abzubremsen und in einen Bewegungs­zustand zu versetzen, der dem quanten­physikalischen Grundzustand entspricht – also dem Zustand der kleinstmöglichen Bewegungs­energie. Und das obwohl es sich um ein verhältnismäßig großes Objekt handelt, dessen Atome bei großer Hitze kräftig wackeln.

„Man muss immer Orts- und Bewegungs­unschärfe gemeinsam betrachten. Insgesamt betrug das Produkt der Quanten­unschärfen des Glaskügelchens nur das 1,7-fache des Planckschen Wirkungs­quantums“, sagt Lorenzo Magrini. Ein Plancksches Wirkungsquantum wäre die absolute theoretische Untergrenze – es ist also gelungen, so knapp wie nie zuvor bei einem Objekt dieser Größe ans absolute Quantenlimit heranzurücken. Die im Experiment gemessene Bewegungs­energie entsprach einer Temperatur von gerade einmal fünf Mikrokelvin. Der Bewegung des Glaskügelchens insgesamt kann also auch dann eine extrem niedrige Temperatur zugeordnet werden, wenn die Atome, aus denen das Kügelchen besteht, eine sehr hohe Temperatur haben.

Dieser Erfolg zeigt das große Potenzial dieser neuen Verbindung aus Quantenphysik und Regelungs­technik: Beide Forschungs­gruppen wollen in dieser Richtung weiterarbeiten und mit Hilfe der Regelungs­technik noch bessere und präziser kontrollierte Quantenexperimente ermöglichen. Anwendungs­möglichkeiten dafür gibt es viele, sie reichen von Quanten­sensoren bis zu Technologien aus dem Bereich der Quanten­information.

U. Wien / DE

 

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