Global Player der Physik
Eine Studie des britischen Institute of Physics analysiert Quantität und Qualität der Physik-Veröffentlichungen der größten Wissenschaftsnationen.
Die Qualität der europäischen Physik hat seit 2002 zugenommen, die Menge des Outputs sank dagegen im Vergleich zu den aufstrebenden Schwellenländern China, Indien oder Südkorea. Dies ist, kurz gefasst, das Ergebnis einer groß angelegten bibliometrischen Studie, die der nordamerikanische Ranking-Spezialist Science-Metrix durchgeführt hat. Auftraggeber waren das Institute of Physics (IoP) und die beiden großen britischen Drittmittelgeber (Research Councils) EPSRC und STFC. Das IoP interessierte sich natürlich vor allem für den Stellenwert der physikalischen Forschung aus Großbritannien im internationalen Vergleich.
Die Qualität der Physik-Veröffentlichungen („science impact“) wurde anhand des Parameters „average of relative citations“ (ARC) gemessen, wobei der weltweite Durchschnitt auf eins normiert ist. Ein Wert über eins bedeutet also, dass die Publikationen aus dem betreffenden Land häufiger zitiert werden als im weltweiten Durchschnitt.
Über alle Naturwissenschaften gemittelt stieg dieser Wert für Länder wie Deutschland, Großbritannien, Frankreich oder Italien im Zeitraum 2002 bis 2009 jährlich um rund ein Prozent. Großbritannien und Deutschland konnten dabei die USA überholen und 2009 den Spitzenplatz im weltweiten Ranking einnehmen.
Der wissenschaftliche Impact der Physik-Veröffentlichungen der untersuchten zehn Länder in den Jahren 2002 bis 2009 (Grafik: IoP)
Eingeengt auf die Physik zeigt sich ein ähnliches Bild, aber mit weniger ausgeprägten Trends. Hier haben Großbritannien und Deutschland fast im Gleichschritt zugelegt und die USA hinter sich gelassen, die einen deutlicheren Abwärtstrend zeigen. Unter den asiatischen Ländern, die 2009 jeweils einen ARC unter 1 haben, ist nur bei Indien und China ein gewisser Aufwärtstrend beim wissenschaftlichen Impact zu beobachten. Südkorea und Japan zeigen einen leichten Abwärtstrend. Bei der Bedeutung bzw. der Qualität des physikalischen Outputs zeigt sich demnach eher eine Verschiebung von Nordamerika nach Europa und noch keine durchgreifende Verlagerung nach Asien.
Bei der Quantität, also dem zahlenmäßigen Output von Papers, stellt sich die Situation anders dar. Der weltweite Anteil der Veröffentlichungen ging in allen etablierten Industrieländern (einschließlich Japan) seit 2002 merklich zurück. China, Südkorea und Indien verzeichnen dagegen deutliche Zuwächse. 2011 hatten die USA mit gut 20 % (2002: 30 %) immer noch den größten Anteil an den weltweiten naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen. Doch China verdoppelte seinen Anteil von 2002 bis 2011 auf 13 % und nimmt damit bereits Platz zwei ein. Großbritannien, Deutschland und Japan folgen mit einem Anteil von noch rund 5 % im Jahr 2011.
In der Physik ergibt sich ein ganz ähnliches Bild, nur dass China die USA im quantitativen Physik-Output 2011 sogar schon überholt hatte – die meisten physikalischen Veröffentlichungen kommen mittlerweile aus China! Japan und Deutschland lagen hier mit 7 % bzw. 6 % auf Platz drei und vier vor Großbritannien, Frankreich und Indien mit jeweils rund 4 %. Die Physik in Deutschland kann sich dabei profilieren: Der Anteil an den weltweiten Physik-Papers ist größer als der deutsche Anteil bezogen auf alle Naturwissenschaften. Für Großbritannien ergibt sich das umgekehrte Bild, die Physik hat im Vergleich zu den Naturwissenschaften insgesamt an Boden verloren.
Zusammenfassend stellen die Autoren der Studie fest, dass Großbritannien nach wie vor hochwertige physikalische Forschung leistet, was dem Land in vielfältiger Weise zugutekommt. Für Länder wie Deutschland gilt dies sicher gleichermaßen. Doch das Aufholen der aufstrebenden Staaten wie China und Indien ist unübersehbar und könnte in absehbarer Zeit dazu führen, dass die führende Rolle der „alten Industriestaaten“ ohne verstärkte finanzielle Anstrengungen ins Wanken gerät, und zwar nicht nur auf die reine Zahl der Veröffentlichungen bezogen, sondern auch beim wissenschaftlichen Impact.
Die wachsende Zahl internationaler Forschungskollaborationen stellt eine rein nationale Betrachtungsweise allerdings in Frage. So hatten 2011 bereits 65 % der britischen Physik-Veröffentlichungen mindestens einen Co-Autor aus dem Ausland. Das IoP stellt dies allerdings in Rechnung: Um Verzerrungen zu vermeiden, berücksichtigt es auch den entsprechenden Bruchteil der Forscher aus dem jeweiligen Land, um den Impact und die Zahl der Veröffentlichungen zu bewerten.
Matthias Delbrück / Alexander Pawlak