16.05.2013

Graphen fängt Hofstadters Schmetterling

Ein Übergitter aus Graphen auf Bornitrid zeigt lange vorhergesagte, komplexe elektronische Eigenschaften.

Drei Forscherteams ist es gelungen, mit Übergittern aus Graphenschichten in einem Magnetfeld ein elektronisches System zu realisieren, dessen selbstähnliches Energiespektrum Hofstadters berühmtem Schmetterling ähnelt. Damit wird ein äußerst reichhaltiges Verhalten experimentell zugänglich und praktisch nutzbar, das die Palette der ungewöhnlichen elektronischen Eigenschaften des Graphens deutlich erweitert.

Abb.: Liegt eine Graphenschicht leicht verdreht auf Bornitrid, so zeigt sie ein Moiré-Muster und wird dadurch zum nahezu perfekten Übergitter. (Bild: C. R. Dean et al., Nature)

Als Douglas Hofstadter 1976 das Energiespektrum eines Elektrons berechnete, das sich in einem zweidimensionalen Gitter unter der Wirkung eines dazu senkrechten Magnetfeldes bewegt, fand er eine optisch äußerst ansprechende, selbstähnliche Struktur. Sie ließ sich rekursiv konstruieren und erinnerte ihn an einen Schmetterling. Dahinter steckt die Konkurrenz zwischen zwei räumlichen Perioden, die der elektronischen Wellenfunktion einerseits durch das Gitter und andererseits durch das Magnetfeld aufgeprägt werden. Der entscheidende Parameter ist der magnetische Fluss durch eine Gitterzelle, gemessen in der Einheit des magnetischen Flussquants 0.

Ohne Magnetfeld besteht das Energiespektrum des Elektrons im Gitter aus Bloch-Bändern, die sich aber jeweils in q Unterbänder aufteilen, wenn das Magnetfeld so eingestellt wird, dass α = /0 einen rationalen Wert p/q annimmt. Man kann jedoch auch zunächst die Landau-Niveaus des Elektrons im Magnetfeld betrachten, die sich in p Unterbänder aufspalten, wenn ein räumlich periodisches Potential hinzugefügt wird, sodass α = /0 gilt. Bei rationaler Approximation eines irrationalen Wertes für α wird die Struktur der Bänder und Bandlücken immer komplizierter. Trägt man die Energiebänder für ein Intervall von α-Werten auf, so erhält man Hofstadters selbstähnliches Schmetterlingsbild, in dem sich bestimmte Muster auf immer kleinerer Skala wiederholen.

Schon Hofstadter hatte darauf hingewiesen, dass eine experimentelle Realisierung eines Systems mit der von ihm entdeckten selbstähnlichen spektralen Struktur sehr schwierig ist. Bei einer atomaren Gitterkonstante von 0,1 nm wäre ein enormes Magnetfeld von 100.000 Tesla nötig, um α = 1 zu realisieren. Mit den im Labor erreichbaren, wesentlich schwächeren Magnetfeldern lässt sich die atomare Gitterstruktur nicht auflösen, sodass sich die Elektronen wie in einem räumlichen Kontinuum bewegen und in Landau-Niveaus ordnen. Für hinreichend starke Magnetfelder von einigen Tesla tritt dann der Quanten-Hall-Effekt auf.

Für künstliche Gitter wie etwa Halbleiter-Heterostrukturen mit größerer räumlicher Periode von etwa 100 nm könnte das Hofstadter-Spektrum natürlich schon bei praktisch erreichbaren Magnetfeldstärken beobachtet werden. Doch müssten diese Strukturen äußerst präzise gefertigt und weitgehend fehlerfrei sein, damit die Feinstruktur des Spektrums nicht verwaschen wird. Dies war bisher nicht möglich, sodass das reichhaltige Hofstadter-Spektrum noch nicht eingehend untersucht werden konnte.

Doch jetzt haben drei Forschergruppen unabhängig voneinander zweidimensionale Übergitter mit großen Periodenlängen hergestellt, an denen sie mit Magnetfeldern von einigen 10 Tesla deutliche Spuren des Hofstadter-Spektrums beobachten konnten. Dazu haben sie ein- oder zweilagige Graphenschichten auf eine elektrisch isolierende Unterlage aus hexagonalem Bornitrid gebracht, an der die Schichten durch van der Waals-Kräfte hafteten. Da das Graphen und das Bornitrid praktisch identische geometrische Struktur hatten, traten Moiré-Muster mit großer Periodenlänge auf, wenn das Graphen und die Unterlage um einen kleinen Winkel gegeneinander verdreht waren. Die Elektronen im Graphen bewegten sich daraufhin in einem entsprechend langwelligen periodischen Potential.

Abb.: Die in Längsrichtung gemessene Leitfähigkeit (je dunkler desto höher) der Graphenschicht, aufgetragen gegen die Ladungsträgerdichte und die Magnetfeldstärke (oben). Das berechnete „Hofstadter-ähnliche“ Energiespektrum für verschiedene Werte von α = /0 (unten). Wo die Bandlücken sind, ist die Leitfähigkeit null. (Bild: L. A. Ponomarenko et al., Nature)

Sowohl die Teams von Philip Kim an der Columbia University und von Andre Geim an der University of Manchester als auch die Forscher um Pablo Jarillo-Herrero und Raymond Ashoori am MIT haben die Übergitter aus Graphen und Bornitrid mit mehreren Elektroden versehen. So konnten sie an den Übergittern Hall-Messungen durchführen und zudem über ein Gate die Zahl der Elektronen oder Löcher in der Graphenschicht regulieren. Alle drei Gruppen fanden übereinstimmend, dass das Graphen ohne äußeres Magnetfeld neben den üblichen Dirac-Punkten noch sekundäre Dirac-Punkte aufwies, die durch die Übergitterstruktur hervorgerufen wurden.

Im Magnetfeld zeigten die Übergitter ein enorm reichhaltiges elektronisches Verhalten, das von der Ladungsträgerdichte, von der Magnetfeldstärke und von Hofstadters Parameter α abhing. Neben dem Quanten-Hall-Effekt machte sich jetzt auch die Konkurrenz zwischen der Gitterperiode und der durch das Magnetfeld verursachten Ordnung bemerkbar. So traten in der Graphen-Doppelschicht anomale Quanten-Hall-Zustände auf, die Kim und seine Mitarbeiter auf die Bandlücken in einem „Hofstadter-artigen“ Elektronenspektrum zurückführen konnten. Geim und seine Kollegen fanden an ihrer Graphen-Monolage deutliche Zeichen von tertiären Dirac-Punkten, die durch das Zusammenspiel von Gitter und Magnetfeld hervorgerufen wurden.

Alle drei Gruppen berechneten die „Hofstadter-artigen“ Elektronenspektren ihrer einlagigen (Manchester, MIT) oder zweilagigen (Columbia) Graphen-Übergitter und leiteten aus ihnen normale und anomale Quanten-Hall-Effekte ab, die mit den von ihnen beobachteten Effekten gute Übereinstimmung zeigten. Geim und seine Kollegen nennen das spektrale Muster einen „Hofstadter-Landau-Schmetterling“, da die Eigenschaften des Graphen-Übergitters nur durch das Zusammenspiel der von Hofstadter beschriebenen Zustände und der Landau-Niveaus für die Dirac-Teilchen (Elektronen oder Löcher nahe den Dirac-Punkten) des Graphens zustande kommen.

Die Experimente mit den Graphen-Übergittern haben ein ganz neues Forschungsgebiet eröffnet, von dem Andre Geim schwärmt, dass es noch reicher und bedeutender sein könnte als die Erforschung des „einfachen“ Graphen. Zudem lassen sich die ungewöhnlichen Eigenschaften der Graphen-Übergitter möglicherweise für neuartige elektronische und optoelektronische Geräte nutzen. In jedem Fall ist Hofstadters Vision eines selbstähnlichen Elektronenspektrums jetzt Wirklichkeit geworden.

Rainer Scharf

PH

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