29.10.2015

Graue Zellen in Schwung gebracht

Magnetische Aktivität des Gehirns unter Wechselstrom-Stimulation auf den Millimeter exakt vermessen.

Die Wirkung elektrischer Ströme auf das menschliche Gehirn ist seit Jahrhunderten bekannt und wird in der Behandlung verschiedener Erkrankungen, z.B. schwerer Depressionen, Schlaganfall, Epilepsien, Parkinson oder chronischer Schmerzen, genutzt. Vor allem die transkranielle elektrische Stimulation (tES), bei der schwache Ströme über zwei oder mehr am Kopf befestigte Elektroden abgegeben werden, wurde in den letzten Jahren klinisch umfangreich getestet. Doch die genauen Wirk­mechanismen der tES sind bis heute weitgehend ungeklärt, da es kein geeignetes Verfahren gab, um die extrem schwache elektrische und magnetische Aktivität des Gehirns zeitgleich während der Stimulation zu messen. Die Störsignale der Stimulation überlagerten die physiologische Aktivität um ein Vielfaches, so dass es lediglich möglich war, Veränderungen der Hirnaktivität nach Ausschalten der Stimulation zu untersuchen.

Abb.: Insgesamt 275 Sensoren werden für die Magnetenzephalographie benötigt. (Bild: M. Witkowski et al.)

2013 haben es Tübinger Wissenschaftlicher erstmals geschafft, neuromagnetische Aktivität im Millisekunden-Bereich während trans­kranieller Gleich­strom­stimulation (transcanial direct current stimulation, tDCS) störungsfrei zu messen. Hierdurch war es möglich, Veränderungen magnetischer Hirnaktivität unmittelbar während der Stimulation zu untersuchen. Änderte der Strom jedoch rhythmisch seine Richtung – ein Stimulations­verfahren, das man als Wechsel­strom­stimulation (transcranial alternating current stimulation, tACS) bezeichnet – ließen sich die hirneigenen Rhythmen nicht mehr sicher von den Störsignalen der Stimulation unterscheiden.

Die Effekte der Wechselstrom-Stimulation werden der Phasen-Angleichung zwischen hirneigenen Rhythmen und dem angelegten Stimulations­signal zugeschrieben; ein Phänomen, das man als „Entrainment“ bezeichnet. Nun ist es durch den Einsatz eines neuartigen Stimulations­verfahrens in Tübingen erstmals gelungen, die hirneigenen Rhythmen von den Störsignalen sicher zu trennen und somit die magnetische Gehirn­aktivität während tACS störungsfrei und millimeter­genau zu vermessen.

Durch Amplituden-Modulation eines hochfrequenten Stimulations­signals, das außerhalb der Frequenzen hirneigener Rhythmen schwingt, wird die Kontamination physiologischer Signale vermieden, während sich die Phase hirneigener Rhythmen dem Modulations­signal angleicht. Von der Stimulation beeinflusste Hirnareale lassen sich auf diese Weise genau identifizieren und stimulations­abhängige Veränderungen in deren neuromagnetischer Aktivität untersuchen. Die Forscher hoffen, damit die genauen Wirkmechanismen der transkraniellen Wechselstromstimulation nun genauer aufklären zu können.

Insbesondere die individuelle Anpassung an die anatomischen Gegebenheiten sowie die neuro­physiologische Wirkung während der Stimulation seien wichtige Perspektiven, um die transkranielle elektrische Hirnstimulation im klinischen Einsatz zu optimieren, so Surjo R. Soekadar, Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Neurotechnologie am Universitäts­klinikum Tübingen. „In einem nächsten Schritt ist zum Beispiel denkbar, dass die Stimulation im Sinne eines sogenannten closed-loop-Ansatzes in Echtzeit auf die individuelle Hirnaktivität angepasst wird und somit die Effekte der Stimulation besser gesteuert werden können“, ergänzt Matthias Witkowski.

U. Tübingen / DE

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