31.07.2018

Gravitationslinse als Sternenwaage

Gaia-Daten ermöglichen hochpräzise Vorhersage von Sternbegegnungen.

Mit Hilfe der Daten des Satellitens Gaia haben Astro­nomen der Univer­sität Heidelberg die Bewegung von Millionen von Sternen in der Milch­straße analysiert. Die Wissen­schaftler konnten dabei erstmals mit höchster Präzision gegen­seitige Stern­begegnungen vorhersagen. Hierbei treten charak­teristische Effekte einer relati­vistischen Licht­ablenkung auf, die zur genauen Messung der Masse von Sternen genutzt werden kann.

Abb.: Künstlerische Darstellung des Gaia-Satelliten mit der Milchstraße im Hintergrund. (Bild: ESA / ATG medialab / ESO, S. Brunier)

„Die Sterne der Milchstraße stehen nicht still, sondern bewegen sich relativ zueinander wie Mücken im Schwarm. Daher kommt es hin und wieder vor, dass sich – von der Erde aus gesehen – ein Vordergrund­stern dicht an einem Stern im Hintergrund vorbei bewegt. Licht­strahlen, die vom Hintergrund­stern ausgehend auf dem Weg zu uns den Vordergrund­stern passieren, werden dabei durch dessen Gravitations­feld um einen winzigen Betrag aus seiner Richtung abgelenkt“, erläutert Joachim Wambsganß, Direktor des Astro­nomischen Rechen-Instituts (ARI), das zum Zentrum für Astronomie der Univer­sität Heidelberg gehört. Durch diesen astrometrischen Gravitations­linseneffekt ändert sich die Position dieses Sterns am Himmel um einen winzigen, aber dennoch messbaren Betrag. Aus dieser Verschiebung und der relativen Position der sich begegnenden Sterne lässt sich die Masse des Vorder­grundsterns ableiten.

„Diese Methode der Massen­bestimmung ist auf wenige Prozent genau. Schwierig war bislang jedoch die Vorhersage, für welches Sternenpaar sich zu welchem Zeitpunkt eine günstige Begegnung ergibt, denn hierzu muss man die Eigen­bewegung von Sternen am Firmament mit höchster Präzision kennen“, sagt Wambsganß. Die erforder­liche Genauigkeit lieferte jüngst der Astrometrie-Satellit Gaia, der bereits seit rund vier Jahren die Position und Eigen­bewegung von rund 1,5 Milliarden Sternen misst. Der umfang­reiche Datensatz wurde im April dieses Jahres veröffent­licht.

Diese Daten nutzte Doktorand Jonas Klüter, um in den riesigen Daten­mengen genau nach solchen günstigen Stern­begegnungen zu fahnden. Die Ereig­nisse sollten dabei nicht in ferner Zukunft, sondern innerhalb der nächsten fünfzig Jahre beobacht­bar sein. Über diesen Zeitraum sind mit Gaia zuverlässige Vorher­sagen möglich. Übrig blieben nach der umfangreichen Auswertung rund 70.000 Kandidaten, wobei nicht für alle eine messbare Verschiebung zu erwarten ist. Für zwei Sterne, die sich zur Zeit nahe eines Hintergrund­sterns befinden, konnten die Wissen­schaftler einen messbaren Effekt voraussagen.

Es handelt sich dabei um Luyten 143-23 und Ross 322, so die Katalog-Namen der beiden Sterne. Sie bewegen sich mit einer Geschwin­digkeit von rund 1.600 beziehungs­weise 1.400 Millibogen­sekunden pro Jahr über die Himmels­sphäre. Einer der Sterne, so Klüter, hat sich den Hintergrund­sternen bereits Anfang Juli dieses Jahres maximal angenähert, bei dem anderen wird das Anfang August der Fall sein. Durch den Gravitations­linseneffekt führt das zu einer Verschiebung der Position der Hintergrund­sterne um 1,7 beziehungs­weise 0,8 Millibogen­sekunden. Diese Veränderung ist aus­schließlich mit den besten Teleskopen von der Erde aus messbar. Klüter führt daher eine Beobachtungs­kampagne unter anderem mit den Teleskopen der Euro­päischen Südstern­warte ESO in Chile durch. Mit ihrer Hilfe verfolgt er die Annäherung der Sternen­paare und wird durch die Messung der Positions­veränderung erstmals die Massen zweier Sternen mithilfe des Graviations­linsen­effekts bestimmen.

U. Heidelberg / JOL

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