Gravitationswellen-Ereignis mit gebündeltem Materiestrahl
VLBI-Beobachtungen zeigen Auswirkungen der Verschmelzung von zwei Neutronensternen.
Im August 2017 wurde zum ersten Mal die Verschmelzung zweier Neutronensterne beobachtet, deren vorhergehende Umkreisung auf immer engerer Bahn Gravitationswellen aussandte, die von den LIGO-Detektoren in Amerika und dem VIRGO-Detektor in Europa registriert wurden. Die Verschmelzung der Neutronensterne erfolgte in einer 130 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie. Astronomen verfolgten dieses Ereignis und die weitere Entwicklung des Systems über das gesamte elektromagnetische Spektrum, von Röntgen- und Gamma- bis zu Radiowellenlängen. Zweihundert Tage nach der Verschmelzung kombinierte ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Giancarlo Ghirlanda vom Nationalen Institut für Astrophysik INAF in Italien die Daten von dreiunddreißig Radioteleskopen auf fünf Kontinenten, um zu zeigen, dass ein gebündelter Materialstrahl – ein Jet – von dem Überrest der Verschmelzung ausgeht.
Die beobachtete Verschmelzung von Neutronensternen hat es zum ersten Mal möglich gemacht, ein Gravitationswellenereignis mit einem Objekt in Verbindung zu bringen, das elektromagnetische Strahlung aussendet. Damit konnten wissenschaftliche Theorien bestätigt werden, die bereits jahrzehntelang diskutiert wurden und es zeigte sich eine Verbindung der Verschmelzung von Neutronensternen mit einer der energiereichsten Explosionen im Universum, nämlich Gammastrahlungsausbrüchen. Nach der Verschmelzung wird eine riesige Menge von Material in den Weltraum hinausgeschleudert und bildet eine Materiescheibe um das Zentrum. Es bleiben allerdings noch Fragen, die nicht durch die vorherigen Beobachtungen beantwortet werden konnten.
„Wir erwarteten, dass ein Teil dieses Materials durch einen stark gebündelten Jet ausgestoßen wird, aber es war nicht klar, ob der Jet die umgebende Hülle durchstoßen könnte”, erklärt Ghirlanda. Es gab zwei konkurrierende Szenarien: In einem Fall bricht der Jet nicht durch die Hülle, sondern führt zu einer sich ausdehnenden Blase, wo er auf das Hüllenmaterial trifft. Im anderen Fall durchstößt der Jet erfolgreich die Hülle und breitet sich dann weiter in den Raum aus. Nur durch hochempfindliche und hochaufgelöste Bilder der Quelle im Radiobereich können die beiden Fälle voneinander unterschieden werden. Um dies zu erreichen, benutzten die Astrophysiker die Very Long Baseline Interferometrie VLBI, bei der Radioteleskope auf der ganzen Welt zu einem großen virtuellen Teleskop kombiniert werden.
Die Daten der Teleskope wurden dann zum „Joint Institute for VLBI-ERIC“ (JIVE) in den Niederlanden gesandt und dort zu einem Datensatz verbunden. „Durch den Vergleich der beobachteten Bilder mit den Bildern von theoretischen Modellen haben wir herausgefunden, dass nur ein erfolgreicher Jet kompakt genug ist, um die beobachtete Größe der Quelle zu erklären”, sagt Om Sharan Salafia vom INAF. Das Team fand heraus, dass der Jet so viel Energie enthält wie alle Sterne in unserer Galaxie zusammen in einem Jahr produzieren. „Und all diese Energie ist auf ein Gebiet von weniger als einem Lichtjahr begrenzt”, ergänzt Zsolt Paragi vom JIVE.
In den kommenden Jahren erwarten die Astrophysiker, dass sie noch viele weitere dieser Neutronenstern-Verschmelzungen entdecken. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass mehr als zehn Prozent dieser Verschmelzungen einen erfolgreichen Jet nach sich ziehen”, erläutert Benito Marcote vom JIVE. Diese Art der Beobachtungen ermöglicht es, Prozesse aufzudecken, die während und nach einigen der energiereichsten Ereignisse im Universum stattfinden.
MPIfR / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
G. Ghirlanda et al.: Compact radio emission indicates a structured jet was produced by a binary neutron star merger, Science, online 21. Februar 2019; DOI: 10.1126/science.aau8815 - Osservatorio Astronomico di Brera, Istituto Nazionale di Astrofisica, Merate, Italien
- Joint Institute for VLBI-ERIC, Dwingeloo, Niederlande
- Radioastronomie/VLBI, Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn