04.09.2020 • Astrophysik

Gravitationswellen zeigen Entstehung eines mittelschweren schwarzen Lochs

LIGO und Virgo beobachten Ereignis mit bislang größter Masse und größter Entfernung.

Die Gravitationswellendetektoren LIGO in den USA und Virgo in Italien haben im dritten Beobach­tungs­lauf am 21. Mai 2019 ein weiteres ungewöhn­liches Signal registriert. Wie die Auswertung ergab, stammt es von der masse­reichste Verschmelzung zweier schwarzer Löcher, die bislang beobachtet wurde. Die Kollision der beiden schwarzen Löcher ereignete sich vor etwa sieben Milliarden Jahren. Entstanden ist dabei ein schwarzes Loch mit 142 Sonnen­massen – zum ersten Mal konnte so die Entstehung eines mittel­schweren schwarzen Lochs direkt beobachtet werden. Erstaunlich ist mit 85 Sonnen­massen auch die Masse des schwereren schwarzes Loch in dem Paar, denn es sollte nach dem heutigen Verständnis als Ergebnis von Stern­explosionen gar nicht existieren. Es könnte jedoch bereits aus einer vorher­gehenden Verschmelzung schwarzer Löcher stammen.

Abb.: Numerische Simulation von zwei schwarzen Löchern, die verschmelzen und...
Abb.: Numerische Simulation von zwei schwarzen Löchern, die verschmelzen und dabei Gravitations­wellen abstrahlen. Die schwarzen Löcher haben nahezu gleiche Massen. Das simulierte Gravitations­wellen­signal stimmt mit den Beob­ach­tungen überein, die von den Gravitations­wellen­detektoren LIGO und Virgo am 21. Mai 2019 gemacht wurden. (Bild: N. Fischer, H. Pfeiffer & A. Buonanno, MPI für Gravitations­physik / SXS Colla­bo­ration)

GW190521 ist das vierte Gravitations­wellen­signal aus O3, das veröffent­licht wurde. Es ist etwa eine Zehntel­sekunde lang und umfasst vier Gravitation­swellen­zyklen, entsprechend zweier Umläufe der schwarzen Löcher. Während dieser Zeit stieg die Frequenz von dreißig auf achtzig Hertz, bevor das Signal mit der Verschmelzung der beiden schwarzen Löcher endet. Aufgrund der großen Massen wurden sehr starke Gravitations­wellen – einem Energie­äquivalent der acht­fachen Sonnen­masse entsprechend – ausge­sendet. Dadurch war das Signal auch über die große kosmo­logische Entfernung nach­weisbar.

„Nach unserem Verständnis davon, wie Sterne altern und sich entwickeln, erwarten wir, dass wir schwarze Löcher mit entweder weniger als 65 Sonnen­massen oder mehr als 120 Sonnen­massen finden, aber keine dazwischen“, erklärt Frank Ohme, Leiter einer Forschungs­gruppe am AEI Hannover. „Das schwarze Loch mit 85 Sonnen­massen im Ursprungs­system von GW190521 fällt genau in diese Lücke. Das kann zwei Dinge bedeuten: Unser Verständnis der Stern­entwicklung ist unvoll­ständig oder hier hat sich etwas anderes ereignet.“

Sterne, aus denen schwarze Löcher mit Massen zwischen 65 und 120 Sonnen­massen entstehen würden, explodieren nicht als Supernovae und daher entstehen keine solchen schwarzen Löcher. Vielmehr durch­laufen solche Sterne eine oder mehrere kurze instabile Episoden, in denen sie jeweils einen signifikanten Anteil ihrer Masse abstoßen. Am Ende dieses Prozesses bleibt ein Stern zurück, der in einer Supernova explodiert und ein schwarzes Loch mit weniger als 65 Sonnen­massen erzeugt. Sterne, die schwarze Löcher mit mehr als 120 Sonnen­massen bilden würden, sollten dagegen direkt ohne Supernova kollabieren. Die Lücke im Massen­spektrum schwarzer Löcher wird als „Paar­instabi­litäts­lücke“ bezeichnet, nach dem physikalischen Prozess, der die Episoden des Massen­auswurfs verursacht.

Auch wenn sich das Signal nach Einsteins Allgemeiner Relativitäts­theorie gut als Verschmelzung schwarzer Löcher beschreiben lässt, unter­suchten die LIGO- und Virgo-Wissen­schaftler daher auch andere mögliche Erklärungen für ihre Beobachtungen. Dass es von kosmischen Strings stammt, scheint unwahr­scheinlich. Es ist ebenso unwahr­scheinlich, dass das Signal von einer Kernkollaps-Supernova stammt, bei der auch elektro­magnetische Strahlung oder Neutrinos auftreten müssten. GW190521 könnte auch von einer Verschmelzung weniger masse­reicher schwarzer Löcher in geringerer Entfernung zur Erde stammen, deren Gravitations­wellen durch eine Gravitations­linse verzerrt wurden. Oder sie könnte von primordialen schwarzen Löchern stammen, die sich im frühen Universum noch vor den ersten Sternen bildeten. Die LIGO- und Virgo-Forscher kommen jedoch zu dem Schluss, dass auch diese beiden Erklärungen im Vergleich zum normalen Verschmelzungs­szenario sehr unwahr­scheinlich sind. Sie gehen daher davon aus, dass die schwerere Komponente des Doppel­systems selbst aus einer früheren Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern geringerer Masse hervor­gegangen ist.

Insgesamt haben LIGO und Virgo während O3, der vom 1. April 2019 bis zum 27. März 2020 dauerte, 56 mögliche Gravitations­wellen-Ereignisse aufgespürt. Bislang wurden vier Kandidaten bestätigt und publiziert. Die beteiligten Wissen­schaftler prüfen die verbleibenden 52 Kandidaten und werden all diejenigen veröffent­lichen, für die detail­lierte Folge­analysen ihren astro­physika­lischen Ursprung bestätigen.

„Wir wissen noch nicht, ob GW190521 den Vertreter einer völlig neuen Klasse von Doppel­systemen schwarzer Löcher darstellt oder nur das masse­reiche Ende des Spektrums, das wir bisher gesehen haben“, sagt Karsten Danzmann, Direktor am AEI Hannover und Direktor des Instituts für Gravitations­physik der Leibniz-Universität Hannover. „Bald, wenn wir alle Verschmelzungen Schwarzer Löcher analysiert haben, die LIGO und Virgo in ihrem dritten Beobachtungs­lauf beobachtet haben, wissen wir hoffentlich mehr.“

AEI / RK

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