21.07.2023

Grenzflächeneffekte schützen Gelenke

Grenzflächeneffekte sind für gesunde Schmierung unserer Gelenke verantwortlich.

Reibung und Verschleiß als ewiges Ärgernis – das kennt man in der Technik genauso wie in der Medizin. Ob Schaltgetriebe oder Kniegelenk, immer wünscht man sich, dass bewegliche Teile mit möglichst geringer Reibung übereinander gleiten, sodass Energie­aufwand und Abnützung möglichst klein sind. Die Natur löst dieses Problem auf bewundernswert effektive Weise: Die Reibung in einem gesunden Gelenk ist um Größen­ordnungen kleiner als bei beweglichen Teilen einer Maschine. Wie die Natur das schafft, ist schwer zu erklären: Man muss dafür das komplizierte Zusammen­spiel unterschiedlicher Moleküle an den Grenz­schichten verstehen.

 

Abb.: Ionen­anlagerung an einer Fest-Flüssig-Grenz­fläche (Bild: TU Wien)
Abb.: Ionen­anlagerung an einer Fest-Flüssig-Grenz­fläche (Bild: TU Wien)

Eine wichtige Entdeckung dazu gelang nun an der TU Wien, mit Unterstützung aus Kanada und China. Der entscheidende Schlüssel für fast reibungsfrei bewegliche Gelenke dürfte in Ionen liegen, die im Wasser gelöst sind. Das lässt auch auf die gezielte Entwicklung verbesserter Behandlungs­methoden für Gelenks­erkrankungen hoffen. Markus Valtiner vom Institut für angewandte Physik der TU Wien ist Spezialist für Grenzflächen­physik – mit seinem Forschungsteam untersucht er Effekte, die an der Grenze zwischen zwei unterschiedlichen Aggregats­zuständen stattfinden, also etwa zwischen einem Festkörper und einer Flüssigkeit.

Genau solche Grenzflächeneffekte sind für das Funktionieren unserer Gelenke entscheidend: „Würde direkt ein Knochen gegen einen Knochen reiben, oder ein Knorpel gegen einen Knorpel, wäre die Reibung sehr hoch und das Gelenk wäre rasch kaputt“, sagt Markus Valtiner. „Wichtig ist, dass es dazwischen eine flüssige Schicht gibt, die für möglichst geringe Reibung sorgt.“

Wasser als Schmierstoff alleine genügt dafür aber noch nicht. Entscheidend ist nämlich, dass die Wassermoleküle auch dauerhaft an Ort und Stelle bleiben. „Die Frage ist, wie es dem Körper gelingt, einen solchen Flüssigkeits­film auch unter Last stabil zu halten – das bezeichnet man als Super­lubrizität“, sagt Matteo Olgiati, der im Team von Markus Valtiner derzeit an seiner Dissertation arbeitet. Das kann man nur beantworten, wenn man die Oberfläche auf atomarer Skala analysiert. Olgiati erstellte daher Mikroskop-Aufnahmen mit atomarer Auflösung, um die Oberflächen­prozesse erklären zu können.

„Die genauen Mechanismen werden seit Jahren heiß diskutiert, aber es gab bisher schon den Verdacht, dass positiv geladene Kationen dabei eine entscheidende Rolle spielen könnten“, sagt Markus Valtiner. Das biologische Gewebe selbst ist an seiner Oberfläche oft negativ geladen. Positiv geladen Teilchen werden davon angezogen und fixiert. Und diese positiv geladenen Teilchen wiederum sind dann hervorragend dafür geeignet, Wasser­moleküle festzuhalten – weil Wassermoleküle eine positiv und eine negativ geladene Seite haben, und sich deshalb stark an lokal gebundenen Ionen anlagern.

Die Forschungsgruppe der TU Wien arbeitete bei dem Projekt mit Xavier Banquy von der Universität Montral zusammen, der während eines Gastaufenthalts auch an der TU Wien Experimente durchführte, und mit Jianbin Luo von der Tsinghua Universität in Beijing, der Computer­simulationen dazu entwickelte. Gemeinsam testete man die Hypothese der wasser­fixierenden positiven Ionen, indem man dreifach positiv geladene Lanthan-Atome verwendete.

Tatsächlich konnte man in den Mikroskop-Aufnahmen sehen, dass die positiv geladenen Lanthan-Atome sich auf dem Untergrund festsetzen und dann rund um sich Wassermoleküle ansammelten. Genau dort, wo sich besonders viele Lanthan-Partikel aufhielten, ist auch der Wasserfilm ringsherum am ausgeprägtesten. So entsteht gewissermaßen eine Berg-und-Tal-Landschaft auf molekularer Skala aus flüssigem Wasser. Wenn dieser Wasserfilm glatt und gleichmäßig ist, dann ist die Reibung minimal. Ist er unregelmäßig, wird die Reibung etwas größer – das zeigen die Messungen ebenso wie die Computer­simulationen.

In biologischen Gelenken sind keine Lanthan-Atome für diesen Effekt zuständig – aber derselbe Mechanismus dürfte dort durch Lubricin-Moleküle zustande kommen. „Das ist ein Molekül, das an seinen beiden Enden ebenfalls positiv geladene Stellen aufweist“, erklärt Valtiner. Diese beiden Enden können sich am Gewebe festhalten, die Mitte des Moleküls bildet eine Art Schleife aus, in der das Wasser durch molekulare Wechselwirkung festgehalten wird. Bei Belastung kann dieses Wasser dann freigesetzt werden.

„Wenn man diese Moleküle analysiert, stellt man auch fest: Es ist wichtig, diese Schleife zu quetschen, um den Wasserfilm aufrecht­zuerhalten“, sagt Markus Valtiner. „Das erklärt auch, warum es gerade bei Gelenks­problemen wichtig ist, sich regelmäßig zu bewegen: In unbewegten Gelenken wird die Reibung im Lauf der Zeit wieder größer.“

Die nun entdeckten physikalischen Prinzipien sollen nun näher untersucht werden, um daraus künftige Behandlungsmethoden für Gelenks­probleme entwickeln zu können. „Wir sind sehr zuversichtlich, dass die gezielte Nutzung von molekularen Ladungs­effekten im Zusammenspiel mit der Wasser­anlagerung für Therapie­maßnahmen eine wichtige Rolle spielen können“, sagt Markus Valtiner.

TU Wien / DE

 

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