18.04.2018

Halb ionisiert, halb nicht

Starke Laserfelder halten Elektronen in Nähe ihres Atoms gefangen – alte Hypothese bestätigt.

Schon vor einem halben Jahrhundert fragte sich der Theoretiker Walter Henneberg, ob es möglich sei, mit einem Laser­puls Elektronen so aus einem Atom frei­zusetzen, dass sie trotzdem noch in der Nähe ihres Atom­kerns bleiben. Viele hielten dies für unmöglich. Nun jedoch gelang es Physikern von der Universität Genf (UNIGE) in der Schweiz sowie vom Max-Born-Institut (MBI) in Berlin, diese Hypothese zu bestätigen. Zum ersten Mal schafften sie es, die Form des Laser­pulses zu gut zu kontrollieren, dass ein damit bestrahltes Elektron frei wurde und zugleich an den Atom­kern gebunden blieb.

Abb.: Schematische Darstellung des Kramers-Henneberger-Potenzials, das die Mischung aus Atompotenzial und starkem Laserfeld zeigt. (Bild: X. Ravinet / UNIGE)

Die Forscher konnten außerdem die Elektronen­struktur des Atoms mit ihrem Laser­strahl gezielt beeinflussen. Darüber hinaus gelang es ihnen sogar, diese ungewöhnlichen Zustände zu nutzen, um Laser­licht zu verstärken. Die Wissen­schaftler konnten aber auch eine „verbotene Zone” ausmachen. In diesem „Death Valley” genannten Bereich verloren sie jede Kontrolle über das Elektron. Diese Ergebnisse verändern die bisherigen Vorstellungen von Ionisations­prozessen von Materie.

Schon seit den 1980er Jahren wurden viele Experimente durchgeführt, um die Hypothese des Theoretikers Walter Henneberg zu bestätigen: Ein Elektron kann in einen Doppel­zustand versetzt werden, in dem es weder völlig frei, noch fest an seinen Atom­kern gebunden ist. Gefangen im Laser­strahl, würde das Elektron dazu gezwungen sein, sich abwechselnd in Richtung Atomkern und wieder von ihm weg zu bewegen. Auf diese Weise würde es sowohl das elektrische Feld des Lasers als auch das des Atomkerns spüren. Bei einem solchen Doppel­zustand sollte es möglich sein, die Bewegung des Elektrons im Wechsel­spiel dieser beiden elektrischen Felder zu kontrollieren und damit Atome mit neuartiger Elektronen­struktur zu erzeugen, die sich mit Hilfe des Laser­lichts einstellen lässt.

Je stärker ein Laserstrahl ist, desto einfacher sollte es sein, damit Atome zu ionisieren – mit anderen Worten, ihnen mindestens ein Elektron aus dem anziehenden elektrischen Feld des Atom­kerns zu entreißen und in die Umgebung frei­zusetzen. „Aber sobald die Elektronen frei sind, verlassen sie ihre Atome nicht einfach so wie ein Zug den Bahn­hof, sie spüren immer noch das elektrische Feld des Lasers”, erklärt Jean-Pierre Wolf, Professor am Institut für Angewandte Physik an der Universität Genf. „Deshalb wollten wir wissen, ob es möglich wäre, die Elektronen nach ihrer Frei­setzung im Laser­strahl gefangen zu halten und sie dazu zu bringen, sich weiterhin in der Nähe ihres Atom­kerns aufzuhalten, so wie Walter Henneberg es vorgeschlagen hatte”, fügt er hinzu.

Die einzige Möglichkeit hierzu besteht darin, die passende Form für den eingesetzten Laser­puls zu finden, der das Elektron zu absolut identischen Schwingungen in Richtung Atomkern und wieder von ihm weg zwingt. Dadurch bleiben seine Energie und sein Zustand stabil. „Das Elektron oszilliert natürlicher­weise im Laser­feld, aber wenn die Stärke des Laser­felds sich ändert, verändert sich auch die Oszillation des Elektrons. Und das bringt das Elektron dazu, auch sein Energie­niveau und damit seinen Zustand ständig zu wechseln und eventuell auch das Atom gänzlich zu verlassen. Das macht die Beobachtung solcher ungewöhnlichen Zustände so schwierig”, ergänzt Misha Ivanov, Professor für theoretische Physik am MBI Berlin.

Die Physiker probierten verschiedene Laser­intensitäten aus, um die freigesetzten Elektronen zu regelmäßigen Oszillationen anzuregen. Dabei machten sie eine über­raschende Entdeckung: „Entgegen der natürlichen Erwartungen – dass ein Laser ein Elektron umso eher frei­setzen sollte, je stärker er ist – stellten wir fest, dass es eine bestimmte Grenze für die Intensität gibt, ab der wir ein Atom nicht mehr ionisieren können”, bemerkt Misha Ivanov. „Oberhalb dieser Grenze können wir das Elektron wieder kontrollieren.” Die Forscher tauften diese Grenze „Death Valley” nach dem Vorschlag von Professor Joe Eberly von der University of Rochester.

Indem sie das Elektron in einen solchen Doppel­zustand versetzten, in dem es weder ganz frei, noch an den Atom­kern gebunden ist, konnten die Forscher dessen Schwingungen nach Wunsch kontrollieren. Das ermöglicht es auch, die Elektronen­struktur des Atoms gezielt zu beeinflussen. Nach einigen Justierungen gelang es den Physikern von UNIGE und MBI dann zum ersten Mal, ein Elektron aus einem Atom­kern zu befreien und zugleich in dessen Nähe in einem Laser­feld fest­zuhalten, so wie Walter Henne­berg vorgeschlagen hatte. „Wir haben ein Laser­feld mit einer Intensität von 100 Billionen Watt pro Quadrat­zentimeter erzeugt und konnten so das ‚Tal des Todes‘ überwinden und die Elektronen in der Nähe ihres Atom­kerns festhalten, und zwar über ein Periode normaler Oszillationen im elektrischen Feld des Lasers”, sagt Jean-Pierre Wolf enthusiastisch. Zum Vergleich: Die Intensität der Sonnen­strahlen auf der Erde liegt bei nur rund 100 Watt pro Quadrat­meter.

„Das gibt uns die Möglichkeit, durch die Bestrahlung mit passendem Laser­licht neuartige Atom­zustände zu erzeugen, deren Elektronen ganz neue Energie­niveaus aufweisen”, erklärt Wolf. „Früher hielt man es für unmöglich, solche Doppel­zustände zu erzeugen, und jetzt haben wir das Gegenteil bewiesen. Darüber hinaus haben wir heraus­gefunden, dass Elektronen in solchen Zuständen Licht verstärken können. Das wird eine fundamentale Rolle bei neuen Theorien und Vorhersagen spielen, die die Ausbreitung starker Laser­strahlen in Gasen beschreiben, etwa in Luft”, schließt Wolf.

FVB / DE

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