Hart am Wind
Spezielles Kamerasystem zeigt Verformung eines Propellers während des Fluges.
Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist eine Weltpremiere gelungen: Erstmals haben sie die Verformung eines Propellers im Flug sichtbar gemacht. Sie entwickelten eine spezielle Kamera, welche den enormen Kräften bei der Rotation standhält. Die Erkenntnisse können helfen, nicht nur künftige Flugzeugpropeller zu verbessern, sondern auch Hubschrauberrotoren und Windkraftanlagen.
Abb.: So sieht die Welt aus der Sicht eines Propellers aus. Der vorbeihuschende Hintergrund ist die Welt, die sich scheinbar dreht. In Wirklichkeit dreht sich der Propeller mehr als 2000 mal pro Minute – und mit ihm ein neuartiges Kamerasystem. (Bild: DLR)
Fritz Boden und Boleslaw Stasicki vom Göttinger DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik führten die Versuche im tschechischen Kunovice mit einer einmotorigen Evektor VUT 100 Cobra durch. Dazu entwickelten die Forscher eine spezielle stereoskopische Hochgeschwindigkeitskamera und bauten sie in die Nabe des Propellers ein. Die Kamera wurde auf ein Propellerblatt ausgerichtet und drehte sich im Flug synchron mit dem Propeller. Dabei wirken Zentrifugalkräfte bis zum 20fachen der Erdbeschleunigung und Vibrationen auf die Kamera ein. Aufgrund dessen galt eine Beobachtung der Verformung im Flug bisher als nicht beherrschbar: Die empfindliche Messtechnik würde bei solchen Beanspruchungen normalerweise zerstört werden. Die Göttinger Forscher fanden jedoch eine Lösung: Sie zwängten die Kamera samt Miniaturcomputer und anderer Elektronik quasi in ein metallisches Korsett, dass sie vor Beschädigung schützte. So konnten sie tausende Bilder von einem speziellen Punktemuster machen, das die Forscher auf dem Propellerblatt angebracht hatten. Dies erlaubte die Sichtbarmachung und Messung von kleinsten Verformungen auch während extremer Flug-Manöver.
„Wir wollten wissen, wie genau verhält sich ein Propeller im Flug. Denn wenn sich das Propellerblatt verformt, verändert sich auch die Leistung des Propellers“, sagt Boden. „Unsere Erkenntnisse können Herstellern helfen herauszufinden, wie die Effektivität und die Lebensdauer von Propellern verbessert werden können“, ergänzt Stasicki. Sowohl das Material wie die Form können beeinflussen, wie sich Propeller im Flug verformen. Außerdem könnten die Ergebnisse Piloten helfen. „Bisher stellen Piloten die Drehzahl und den Anstellwinkel des Propellers nach Gefühl ein“, erklärt Boden. Da jetzt die Auswirkungen messbar sind, „kann der Pilot künftig wissen, welche Einstellung zum geringsten Spritverbrauch oder zur höchsten Geschwindigkeit führt, ohne den Propeller unnötig stark zu belasten. Damit wird auch die Flugsicherheit erhöht.“
Nicht nur die Kamera und deren Unterbringung, auch die angewandte Messtechnik ist eine Entwicklung Göttinger DLR-Forscher. Dabei wird das zu untersuchende Objekt mit zwei Kamerasensoren aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen (sogenannte stereoskopische Kamera). Mithilfe einer speziell entwickelten Software lässt sich die gesamte betrachtete Oberfläche dreidimensional berechnen und darstellen. Bisher ist es nicht möglich gewesen, die tatsächliche Form und Lage von Propellerblättern unter realen Flugbedingungen flächig zu vermessen. Die einzige Möglichkeit bestand darin, Sensoren aufzukleben. Nachteil: Sie messen nur an einzelnen Punkten, und sie beeinflussen die Luftströmung. Außerdem ist die erforderliche Verdrahtung der Sensoren oft umständlich.
Die mitfliegenden Forscher können aus der Kabine über WLAN die Aufnahme starten und stoppen, die Bilder begutachten und bei Bedarf die Einstellungen der Kamera vornehmen. Mittels eines eingebauten GPS-Empfängers protokolliert die Kamera gleichzeitig die aktuelle Position des Flugzeuges und die Bildaufnahmezeit. „Mit der rotierenden Kamera ist eine neuartige Technik einsatzreif geworden, mit welcher die Position und Deformation von sich schnell drehenden Objekten während der gesamten Umdrehung präzise und berührungslos vermessen werden kann“, sagt Stasicki.
DLR / DE