Heiligenschein und Taubogen
Regenbögen kennt jeder, Taubögen hingegen sind eine Rarität.
Ein frischer Vormittag, die Sonne hat gerade die letzten Nebel verschwinden lassen, die Blätter der Pflanzen sind mit Tautropfen besetzt. In dieser Situation ist der Schatten des eigenen Kopfes auf den nassen Pflanzen von einem hellen Schein umgeben, einem Heiligenschein. Auf dem Foto (Abbildung 1) umgibt er die Kamera.
Abb. 1 Heiligenschein um den Schatten der Kamera (links) und Taubogen auf einem Feld (Pfeil). Die Farben wurde digital verstärkt (Foto: Schlichting).
Während der Heiligenschein durch Retroreflexion entsteht und daher einheitlich weiß erscheint, kann die Brechung des Sonnenlichts in den Tautropfen Farben hervorbringen und damit zu einem weiteren Phänomen führen: einem Taubogen. Dieser ist allerdings im Stehen nur schwer erkennbar. Viel deutlicher sieht man ihn beim Gehen, weil unsere Wahrnehmung besonders empfindlich für Veränderungen im visuellen Feld ist.
Ein Ausschnitt aus dem Taubogen ist im rechten Drittel von Abbildung 1 (mit Pfeil gekennzeichnet) leicht gelblich bis rötlich schimmernd zu sehen; er grenzt einen etwas helleren von einem dunkleren Teil ab. Das deutet darauf hin, dass der Taubogen eine Variante des Regenbogens auf dem Boden darstellt. Denn auch dort ist der innere Bereich aufgehellt und der äußere Bereich durch Alexanders dunkles Band begrenzt. Der Taubogen wird auf dieselbe Weise durch Reflexion und Brechung an den relativ großen Tautropfen auf den Pflanzenblättern hervorgerufen wie der Regenbogen in fallenden Regentropfen.
In Abbildung 1 sieht man einen Teil des durch das horizontale Feld aus dem Regenbogenkegel herausprojizierten Kegelschnitts; in diesem Fall eine Hyperbel. Die Farben des Taubogens sind nicht sehr gut zu erkennen, was hauptsächlich an der uneinheitlichen Größe und Form der Tautropfen auf den Blättern liegt.
Abb. 2 Das Sonnenlicht wird in den Tropfen gebrochen und reflektiert, sodass es in Farben zerlegt erscheint, was besonders bei unscharfer Abbildung zu erkennen ist (Foto: Schlichting).
Schaut man sich die Blätter von Nahem an (Abbildung 2), so kann man einzelne Tropfen in Spektralfarben aufblitzen sehen. Die farbigen Lichtblitze lassen sich im Foto meist nur dadurch sichtbar machen, dass sie etwas unscharf fotografiert werden. Dabei wird die Farberscheinung auf eine etwas größere Unschärfenscheibe verschmiert und die Sichtbarkeit erhöht.
Da sich Tau vor allem im Frühjahr und im Herbst bildet, wenn in klaren Nächten der Erdboden stark abkühlt und dadurch der Wasserdampf kondensiert, lassen sich Taubögen am besten in diesen Jahreszeiten beobachten. Aber auch dann sind sie noch relativ selten. Denn wenn die Sonne noch sehr tief steht, ist der Schattenwurf zu lang, um den Taubogen ausmachen zu können. Steigt die Sonne höher, verdunstet der Tau recht schnell; und ist das Schattenende dann endlich in Augenweite, mangelt es meist bereits an Tautröpfchen.
Hans-Joachim Schlichting, Münster
Dieser Artikel ist in der Rubrik "Im Blickwinkel" der aktuellen Ausgabe von Physik in unser Zeit erschienen.