03.08.2023

Heiße Bakterienbäder für neue Materialien

Neuartige Werkstoffsynthese nutzt die Energie schwimmender Bakterien.

Ein heißes Bad bedeutet für viele Menschen Entspannung. Für Forschende ist es jedoch ein Ort, an dem sich Moleküle oder winzige Bausteine treffen, um Materialien zu bilden. Dafür nutzte eine Arbeits­gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) die Energie von schwimmenden Bakterien. Sie entwickelten eine neue experi­mentelle Strategie, die zur Herstellung von Materia­lien aus kleinen Bausteinen dient. Dabei ließ man sich von der Metallurgie – der feinen Kunst des Schmiedens, bei der Zyklen hoher Temperatur und langsamer Abkühlung die Struktur eines Materials festlegen – inspirieren. Diese Technik wurde auf weiche Materialien übertragen, indem die Aktivität von schwimmenden Bakterien in einem Bad genutzt wurde.
 

Abb.: Mit der von schwimmenden Bakterien erzeugten Energie können weiche...
Abb.: Mit der von schwimmenden Bakterien erzeugten Energie können weiche Materialien aus Lego-ähnlichen Bausteinen gebildet werden. (Bild: ISTA)

„Wir arbeiten mit winzigen Lego-ähnlichen Bausteinen, die hundertmal kleiner sind als ein Haar. Unser Ziel ist es herauszufinden, wie diese Bausteine zusammenkommen und größere Strukturen bilden“, erklärt der Physiker Jérémie Palacci. Wenn die Bausteine im Wasser gelöst sind, hüpfen sie wahllos wegen der Brownsche Bewegung hin und her, aufgrund der gegebenen Temperatur, die den Teilchen Energie liefert. Um Ordnung in das Chaos zu bringen, kann man dem Wasser einen Zündstoff beimischen. Dadurch entsteht ein aktives Bad, in dem der Zündstoff wie ein kleines Feuer wirkt. Durch diese zusätzliche Energie könnte man den Zusammenbau und die Eigen­schaften von Materialien steuern – wie ein Schmied. Ein Ansatz, in dem zum Beispiel Bakterien zum Schmieden verwenden werden, wurde jedoch bis jetzt noch nie erforscht.

Palaccis Student Daniel Grober nahm diese Heraus­forderung an und begann mit der Konstruktion eines solchen von der Metallurgie inspirierten Aktivbads. Grober erklärt: „Als Zündstoff haben wir E. coli-Bakterien verwendet. Ihre Schwimm­bewegungen liefern Energie und Bewegung, die für einen Physiker einer Temperatur von 2000 Grad Celsius entspricht – ähnlich der, die für die Herstellung von Metallen benötigt wird. Da es aber Bakterien sind und es sich nicht um einen echten Ofen handelt, ist der Prozess sanft genug, um Gele und weichen Materialien herzustellen, ohne sie dabei zu verbrennen.“ Die Bausteine waren mikro­skopisch kleine Partikel in Form von klebrigen Kolloiden – runde Kügelchen, die zusammenkleben, wenn sie in Kontakt kommen. Diese Idee entpuppte sich als Erfolg: Die schwimmenden Bakterien verstärkten effektiv die Bewegung der Kügelchen, sodass sich Aggregate und gelartige Strukturen bildeten.

Die Cluster, die entstanden sind, zeigten verblüffende Auffällig­keiten. Die Aggregate drehten sich langsam im Uhrzeiger­sinn. Um dies besser zu verstehen, führte Grober eine statistische Analyse der Bewegung des Systems durch. Diese bestätigte eine langsame und anhaltende Rotation der Aggregate, die ihren Ursprung in der Chiralität der E. coli-Flagellen hat – den winzigen Füßchen, die die Bakterien in Bewegung halten. Der Forscher vermutete, dass die Rotations­bewegung eine entscheidende Rolle bei der Bildung der von ihm beobachteten unkonven­tionellen Strukturen hat.

Palaia entwickelte ein minimales Computer­modell, um die Chiralität des Bakterienbads zu erfassen, ohne dabei die schwimmenden Bakterien zu simulieren. Die Computer­simulationen wurden zunächst durch die quantitative Reproduktion der experimentellen Ergebnisse validiert, bevor sie zu einem genaueren Verständnis des Mechanismus führten. Das Modell bestätigte die bedeutende Rolle der Rotation bei der Formierung von Gelen, da durch sie bemerkenswerte Strukturen mit unge­wöhnlichen mechanischen Eigen­schaften entstehen und die auf konven­tionelle Weise nicht erreicht werden können.

Der Einsatz von Bakterien­bädern zur Herstellung unkonven­tioneller Materialien ist sehr vielversprechend. Zwar beschränkte sich die Studie auf 2D-Strukturen im Mikrometer­maßstab, doch wurde der Ansatz so konzipiert, dass er sich hochskalieren lässt. „Mit unserem innovativen Ansatz könnte es theoretisch möglich sein, 3D-Proben zu konstruieren, die groß genug sind, dass ich sie in meinen Händen halten kann“, fügt Palacci hinzu. Dieser Fortschritt könnte auch die Nachhaltigkeit in der Material­produktion verbessern, da man statt externe Energie­quellen einfach die Energie der Bakterien nutzen kann.
 

ISTA / JOL

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