30.03.2021

Heiße Blase über der galaktischen Scheibe

Röntgenteleskops eRosita entdeckt größten Supernova-Überrest, der je im Röntgenlicht gefunden wurde.

Astronomen des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching haben mithilfe des deutschen Röntgen­teleskops eRosita einen riesigen, bisher unbekannten Supernova-Überrest entdeckt. Überraschend war dabei nicht nur der Durchmesser von mehreren Grad, sondern auch seine Position am Himmel: Der von den Astronomen „Hoinga“ getaufte Überrest befindet sich weit außerhalb der galaktischen Ebene, wo scheinbar bisher noch kaum jemand nach den Überresten explodierter Sterne gesucht hat. Die Entdeckung, die durch Daten früherer Radio-Beobachtungen unabhängig bestätigt wurde, ist die Erste im Rahmen einer gemeinsamen Partnerschaft zwischen eRosita und Australien, die zur Erforschung unserer Galaxie bei verschiedenen Wellenlängen, von nieder­frequenten Radiowellen bis hin zu energiereicher Röntgen­strahlung, gegründet wurde – ein gutes Omen für viele weitere Entdeckungen in den nächsten Jahren.
 

Abb.: Bildausschnitt aus der ersten Himmels­durchmusterung von SRG/eROSITA...
Abb.: Bildausschnitt aus der ersten Himmels­durchmusterung von SRG/eROSITA (rot entspricht Röntgen­photonen von 0,3 bis 0,6 keV; grün 0,6 bis 1,0 keV und blau 1,0 bis 2,3 keV). Der Hoinga-Supernova-Überrest liegt hoch über der galaktischen Scheibe. (Bild: SRG / eRosita)

Massereiche Sterne beenden ihr Leben in gigantischen Supernova-Explosionen, wenn die Fusionsprozesse in ihrem Inneren nicht mehr genug Energie erzeugen um ihrem Gravitations­kollaps entgegenzuwirken. Aber selbst in einer Galaxie mit mehreren Hunderten Milliarden Sternen sind diese Ereignisse selten. Schätzungsweise ereignet sich eine Supernova-Explosion in unserer Milchstraße im Durchschnitt nur alle dreißig bis fünfzig Jahre. Während die Supernova selbst nur für einen Zeitraum von mehreren Monaten beobachtet werden kann, können ihre Millionen Grad heißen Überreste für etwa 100.000 Jahre nachgewiesen werden. Diese Überreste bestehen aus dem Material, das der explodierende Stern mit hoher Geschwindigkeit in den Weltraum hinaus­schleudert und das beim Auftreffen auf das umgebende kältere interstellare Medium Schockfronten bildet.

Etwa 300 solcher Supernova-Überreste sind heute bekannt – viel weniger als die geschätzten 1200, die in unserer Heimatgalaxie verteilt sein sollten. Entweder haben die Astro­physiker also bisher die Supernova-Rate falsch eingeschätzt, oder die große Mehrheit wurde bisher übersehen. Ein internationales Team von Astronomen nutzt nun die Himmels­durchmusterung des eRosita-Teleskops, um nach bisher unbekannten Supernova-Überresten zu suchen. Mit Temperaturen von Millionen von Grad senden die Überbleibsel der Supernovae intensive thermische Röntgen­strahlung aus, wodurch sie in den erstklassigen Daten der eRosita Himmels­durchmusterung sichtbar werden.

„Wir waren sehr überrascht, als uns gleich der erste Supernova-Überrest ins Auge gestochen ist“, sagt Werner Becker vom Max-Planck-Institut für extra­terrestrische Physik. Hoinga ist der größte Supernova-Überrest, der jemals aufgrund seiner Röntgen­strahlung entdeckt wurde. Mit einem Durchmesser von etwa 4,4 Grad bedeckt er am Himmel eine Fläche, die etwa neunzigmal so groß ist wie die Scheibe des Vollmondes. „Außerdem liegt er sehr weit oberhalb der galaktischen Ebene, was für diese Objekte sehr ungewöhnlich ist“, fügt er hinzu. Bisher konzentrierten sich die meisten Suchen nach den Überresten explodierter Sterne auf die galaktische Scheibe, wo die Sternentstehungs­aktivität am höchsten ist und stellare Überreste daher häufiger sein sollten. Allerdings scheint es gut möglich zu sein, dass diese Suchstrategie bisher zahlreiche Supernova-Überreste übersehen hat.

Nachdem die Astronomen das Objekt in den Daten der eRosita-Himmelsdurchmusterung gefunden hatten, suchten sie in archivierten Röntgen- und Radiodaten früherer Himmelsdurchmusterungen. Tatsächlich ist Hoinga – wenn auch nur sehr schwach – bereits in den dreißig Jahre alten Daten des Rosat-Röntgen­teleskops zu sehen; aufgrund seiner Leuchtschwäche und seiner Lage bei hohen galaktischen Breiten fiel das riesengroße diffuse Objekt bisher jedoch niemandem auf. Weitere wichtige Erkenntnisse und der endgültige Beweis, dass es sich bei der Röntgenquelle um die Überreste eines explodierten Sterns handelt, kamen dann aus Radiodaten, dem Spektralband, in dem neunzig Prozent aller bekannten Supernova-Überreste gefunden wurden.

„Wir sind die Radio-Archivdaten durchgegangen und dieses Objekt hat nur darauf gewartet, entdeckt zu werden“, staunt Natasha Walker-Hurley, die an der Curtin University Teil des International Centre for Radio Astronomy Research in Australien ist. „Die Radioemission in den zehn Jahre alten Himmels­durchmusterungen bestätigt eindeutig, dass Hoinga ein Supernova-Überrest ist; also könnte es da draußen noch viele mehr geben, die nur auf scharfe Augen warten, die sie finden.“ Aufgrund seiner Größe sowie der spektralen Verteilung im Röntgen- und Radio­bereich schließen die Forscher, dass es sich bei Hoinga um einen Supernova-Überrest mittleren Alters ähnlich wie der berühmte Vela-Überrest handelt, allerdings mit einer Distanz von rund 1500 Lichtjahren doppelt so weit entfernt.

Das Röntgenteleskop eRosita führt acht vollständige Himmels­durchmusterung im Röntgenbereich durch und ist damit etwa 25-mal empfindlicher als sein Vorgänger, der Röntgensatellit Rosat. Beide Observatorien wurden am Max-Planck-Institut für extra­terrestrische Physik in Garching konzipiert und gebaut und eRosita wird dort betrieben. Die Astronomen erwarteten, in den nächsten Jahren weitere neue Supernova-Überreste in den Röntgendaten zu entdecken, aber sie waren sehr überrascht, den Ersten bereits so schnell zu identifizieren. 

Zusammen mit der Tatsache, dass das Signal auch schon in jahrzehntealten Daten vorhanden ist, deutet dies darauf hin, dass viele Supernova-Überreste in der Vergangenheit übersehen worden sein könnten, weil sie beispielsweise eine niedrige Oberflächen­helligkeit haben, sich an ungewöhnlichen Orten befinden oder von anderen galaktischen Objekten in der Nähe überstrahlt werden. Zusammen mit zukünftigen Radio­durchmusterungen lässt die eRosita-Himmels­durchmusterung überaus vielversprechende neue Erkenntnisse und Ergebnisse auf dem Gebiet der Supernova-Forschung erwarten. „Wir sind überzeugt, viele der fehlenden Supernova-Überreste zu finden und damit zur Lösung dieses langjährigen astro­physikalischen Rätsels beizutragen“ sagt Werner Becker.

MPE / DE
 

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