Heliumkerne in schweren Atomkernen entdeckt
Wahrscheinlichkeit für die Bildung von Heliumkernen nimmt mit dem Neutronenüberschuss der Kerne ab.
Die Kenntnis der Eigenschaften von Atomkernen und deren theoretische Beschreibung bilden die Grundlage für das Verständnis von Kernmaterie sowie der Entwicklung des Universums. Die Untersuchung der Eigenschaften ausgedehnter Kernmaterie, wie sie zum Beispiel in Neutronensternen im Universum vorliegt, kann experimentell im Labor nur über Kernreaktionen erfolgen, die wichtige Information über die Eigenschaften von Kernen liefern. Die in Experimenten gewonnenen Erkenntnisse werden wiederum zum Test von Theorien zur Beschreibung von Kernmaterie unter verschiedenen Bedingungen herangezogen.
Einige Theorien sagen voraus, dass leichte Kerne wie Heliumkerne mit Neutronen und Protonen in Kernmaterie koexistieren. Das sollte in einem Dichtebereich erfolgen, der deutlich unterhalb der Sättigungsdichte von Kernmaterie liegt, wie sie im Innern von schweren Atomkernen vorliegt. Eine an der TU Darmstadt und am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung von Stefan Typel entwickelte Theorie sagt voraus, dass diese Kondensation von Heliumkernen auch an der Oberfläche von Atomkernen auftreten sollte.
In einem Experiment am Research Center for Nuclear Physics in Osaka konnte ein internationales Forscherteam jetzt Heliumkerne in verschiedenen Zinn-Isotopen nachweisen und die Entwicklung der Wahrscheinlichkeit für ihre Formierung entlang der Zinn-Isotopenkette studieren. Dazu haben die Wissenschaftler Zinn-Isotope mit hochenergetischen Protonen bestrahlt. Dabei konnte das Team eindeutig gestreute Protonen und herausgeschlagene Heliumkerne nachweisen.
Eine genaue Analyse zeigte, dass es sich um eine direkte quasi-elastische Streuung der Protonen an Heliumkernen in Zinnkernen handelt. Die ermittelten Wirkungsquerschnitte für verschiedenen Zinn-Isotope zeigen zudem, dass die Wahrscheinlichkeit für die Bildung von Heliumkernen deutlich mit dem Neutronenüberschuss der Kerne abnimmt. Das bestätigt auf beeindruckende Weise die Vorhersage der Theorie.
Diese neue Erkenntnis, die weitreichende Konsequenzen für unser Verständnis von Kernen und Kernmaterie hat, soll nun genauer untersucht werden: In experimentellen Programmen an den Beschleunigeranlagen des Research Center for Nuclear Physics und dem Forschungszentrum RIKEN in Japan, sowie an der neuen FAIR-Anlage in Darmstadt bei der GSI sollen insbesondere auch kurzlebige neutronenreiche Kerne studiert werden.
TU Darmstadt / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Tanaka et al.: Formation of α clusters in dilute neutron-rich matter, Science 371, 260 (2021); DOI: 10.1126/science.abe4688 - Experimentelle Kernphysik mit exotischen Ionenstrahlen (T. Aumann), Institut für Kernphysik, Technische Universität Darmstadt
- GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, Darmstadt
- Research Center for Nuclear Physics, Osaka, Japan