24.08.2015

Hochdruck-Weltrekord: Forscher quetschen Osmium aus

Röntgenexperimente enthüllen sonderbares Verhalten des schwersten Metalls der Erde.

Bei einem Kompressionsdruck von mehr als 770 Gigapascal – dem höchsten Druck, der bisher im Labor erzeugt wurde – ändert sich das Elektronenverhalten in Osmium, dem Element mit der höchsten bekannten Massendichte, auf eine äußerst ungewöhnliche Weise: Kernelektronen, die normalerweise passiv sind, treten miteinander in Wechselwirkung. Das zeigen Experimente eines internationalen Forscherteams unter Leitung der Universität Bayreuth und mit Beteiligung von Wissenschaftlern des DESY. Der jetzt erstmals beobachtete Effekt lässt vermuten, dass unter extremen Drücken weitere, bisher unbekannte Materiezustände entstehen könnten. Die neuen Erkenntnisse können das Verständnis von Strukturen und Prozessen in extrem komprimierter Materie weiter voranbringen und das Design hochbelastbarer Funktionsmaterialien fördern. Sie können zudem die Astrophysik bei der Modellierung des Inneren von großen Planeten und Sternen unterstützen.

Abb.: Schemazeichnung der Stempelzelle: Die Osmium-Probe (roter Punkt) misst nur drei Mikrometer und sitzt zwischen zwei Halbkugeln aus nanokristallinem Diamant. (Bild: E. Bykova, U. Bayreuth)

Osmium ist ein Platinmetall, das in der Erdkruste sehr selten vorkommt und sich durch eine außerordentliche Härte auszeichnet. In keinem anderen chemischen Element ist das Verhältnis von Masse zu Volumen derart hoch. Und kein anderes Element ist so widerstandsfähig gegenüber Kompres­sions­drücken. Die Forschungsgruppe hat Eigenschaften und Strukturen dieses ungewöhnlichen Metalls jetzt erstmals bei stetig steigenden Drücken analysiert. Zweistufige Diamantstempelzellen machten es möglich, den Druck auf eine Rekordhöhe von mehr als 770 Gigapascal zu steigern. In keinem anderen Labor der Welt wurde bisher bei Raumtemperatur ein derart hoher Kompressionsdruck erzielt – mehr als doppelt so hoch wie der Druck, der im inneren Erdkern herrscht.

Die leistungsstarken Stempelzellen enthalten zwei Stempel aus Nano­diamanten, deren halbrunde Köpfe einander exakt gegenüber liegen. Dazwischen wird die Materialprobe platziert. Die Stempel haben jeweils einen Durchmesser von rund zehn bis zwanzig Mikrometern. Aufgrund der winzigen Korngröße der Nanodiamanten, die unterhalb von fünfzig Nanometern liegt, sind sie extrem belastbar. Während der enormen Steigerung des Kom­pres­sionsdrucks blieb die hexagonale Grundstruktur des Osmiums durchweg erhalten. Bei rund 150 Gigapascal aber trat erstmals eine Anomalie im Aufbau der kristallinen Elementarzellen auf. Diese Strukturänderung ließ sich mit bekannten physikalischen Vorgängen erklären. Doch eine weitere Anomalie, die in den Elementarzellen bei etwa 440 Gigapascal beobachtet werden konnte, überraschte die Forscher. „Hier führen konventionelle Erklärungen nicht weiter. Vielmehr sieht es so aus, als ob die Struktur­änderung durch bisher unbekannte Verhaltensweisen der Kernelektronen verursacht wird“, erklärt Natalia Dubrovinskaia von der Uni Bayreuth.

Kernelektronen befinden sich in unmittelbarer Nähe der Atomkerne und sind an chemischen Bindungen nicht beteiligt. Unter den hohen, stetig anstei­genden Kompressionsdrücken bleiben die Kernelektronen nicht länger in ihren ursprünglichen, klar unterscheidbaren Zuständen. Sie beginnen miteinander zu interagieren – und zwar, wie theoretische Berechnungen zeigen, bei 392 Gigapascal. „Die Strukturänderungen des Osmiums, die wir bei rund 440 Gigapascal im Experiment beobachtet haben, lassen sich daher mit Interaktionen der Kernelektronen gut erklären“, so Dubrovinskaia.


Die Forscher schlagen für die sehr ungewöhnlichen Interaktionen der Kernelektronen, deren Zustände dabei ineinander übergehen, die Bezeichnung „Core Level Crossing Transition“ vor. „Hier eröffnet sich ein vielversprechendes Gebiet für weitere Untersuchungen“, meint Leonid Dubrovinsky von der Uni Bayreuth. „Denn wenn extrem hohe Drücke imstande sind, sogar in einem innerlich sehr stabilen Metall wie Osmium ein neu­artiges Elektronenverhalten auszulösen und so die Materialstrukturen zu ändern, lassen sich möglicherweise noch andere bisher unbekannte Materiezustände erzeugen.“ Er hält es für durchaus möglich, dass die dabei gewonnenen Erkenntnisse bei der Entwicklung neuer, für Extrembedingungen geeigneter Funktionsmaterialien genutzt werden können.

UB / RK

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