Hoffnung auf Atomkernuhr steigt
Erstes Licht vom Zerfall des Thorium-229-Kernisomers gesichtet.
Das radioaktive Element Thorium-229 gilt zurzeit als der einzige Kandidat für die Entwicklung einer Atomkernuhr. Eine solche Uhr wäre noch wesentlich genauer als herkömmliche Atomuhren. Als Taktgeber würden Schwingungen im Atomkern von Thorium-229 dienen, die durch ultraviolettes Licht aus Laserquellen angeregt werden könnten. In einem Forschungsprojekt ist es nun mit einer neuen Methode gelungen, die Anregungsenergie mit wesentlich größerer Genauigkeit als bisher zu bestimmen. Für die Realisierung einer Atomkernuhr stellt dies einen wichtigen Meilenstein dar.
Das Radionuklid Thorium-229 besitzt ein Isomer mit einer ungewöhnlich niedrigen Anregungsenergie, die eine direkte Lasermanipulation von Kernzuständen ermöglicht. Es ist daher einer der Hauptkandidaten für den Einsatz in optischen Uhren der nächsten Generation. In dieser Hinsicht war das letzte Jahrzehnt durch eine Reihe von experimentellen Durchbrüchen gekennzeichnet, wie dem ersten direkten und eindeutigen Nachweis der Existenz des Kernisomers, seiner laserspektroskopischen Charakterisierung, der Messung seiner Anregungsenergie und dem Pumpen mit Röntgenstrahlen. Für die Entwicklung der optischen Uhr fehlten jedoch noch die Beobachtung des Strahlungszerfalls und die genaue Bestimmung der Spektralfarbe des Lichts.
Mithilfe eines neuartigen Ansatzes, bei dem das Isomer in der Isolde-Anlage am Cern mit radioaktiven Ionenstrahlen bevölkert wird, konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun zum ersten Mal den schwer fassbaren Strahlungszerfall des Isomers beobachten und seine Energie und die Zerfallskonstante mit spektroskopischen Methoden stark einschränken. Die Experimente wurden von einer internationalen Kollaboration unter Leitung von Wissenschaftlern der KU Leuven in Belgien und mit deutscher Beteiligung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Ludwig-Maximilians-Universität München, des Helmholtz-Instituts Mainz und des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung Darmstadt durchgeführt.
Der Vorschlag einer optischen Uhr, die auf der Anregung eines Kernzustandes als ultrastabile Messquelle und Quantensensor beruht, existiert schon seit Langem, hat aber zuletzt mit dem direkten Nachweis des Thorium-229-Isomers für Aufsehen in der wissenschaftlichen Welt gesorgt. Die Idee dahinter ist recht einfach: Im Gegensatz zu bisherigen Methoden soll nicht die Lichtfrequenz eines elektronischen Übergangs in einem Atom den Takt für die Uhr vorgeben, sondern eine Übergangsfrequenz in seinem Atomkern selbst. Der Vorteil liegt auf der Hand: Der Atomkern ist kompakter und hat kleine elektromagnetische Momente und ist daher weniger empfindlich gegenüber äußeren Störfeldern, was eine besonders hohe Genauigkeit der Uhr verspricht. Außerdem wird der Strahlungsübergang des Thorium-229-Kernisomers im ultravioletten Bereich des elektromagnetischen Spektrums erwartet, was den Zugang zur Entwicklung von UV-Lasern für die optische Kontrolle ermöglichen sollte. Dies wiederum kann nur erreicht werden, wenn der strahlende Kernübergang mit optischen Methoden beobachtet und genauer analysiert wurde.
Der bisherige Ansatz bestand darin, das gewünschte Kernisomer über den Alphazerfall von Uran-233 zu besetzen, dessen Abregung zum Kerngrundzustand jedoch nicht die Emission des charakteristischen Lichts aus dem Kern ermöglichte. Bei den Experimenten am Cern wurde das Kernisomer durch den radioaktiven Betazerfall von Actinium-229 erzeugt, das zuvor mit kinetischen Energien von dreißig Kiloelektronenvolt in Calciumfluorid- und Magnesiumfluorid-Kristalle implantiert worden war. Mithilfe der Vakuum-Ultraviolett-Spektroskopie wurde das von den Kristallen unter günstigen Radiolumineszenz-Bedingungen emittierte Photonenspektrum untersucht – und die lange gesuchte Spektrallinie bei einer Wellenlänge von 148 Nanometern konnte schließlich identifiziert werden. „In unseren Experimenten wurde eine klare Signatur des Strahlungszerfalls des Thorium-229-Kernisomers beobachtet. Dadurch konnten wir die Anregungsenergie mit siebenfach höherer Genauigkeit im Vergleich zu früheren Messungen neu bestimmen. Und sogar die Halbwertszeit des Strahlungsübergangs von etwa zehn Minuten konnte aus unseren Messungen abgeschätzt werden“, sagt Mustapha Laatiaoui, Nachwuchsgruppenleiter an der JGU, der an den aktuellen Experimenten beteiligt war.
Die vorgestellten Ergebnisse sind in zweierlei Hinsicht bahnbrechend für die Entwicklung einer Atomkernuhr: Zum einen erlaubt die verbesserte Unsicherheit der Anregungsenergie eine Verringerung des Abtastbereichs und ist damit ein wichtiger Eingangsparameter für die Entwicklung eines geeigneten Vakuum-Ultraviolett-Lasersystems. Zum anderen zeigt die Beobachtung des Strahlungszerfalls in einem Kristall mit großer Bandlücke die Machbarkeit einer Festkörper-Kernuhr mit erwarteter höherer Stabilität im Vergleich zu modernen Atomuhren. Die Realisierung einer auf Kernübergängen basierenden Uhr verspricht faszinierende Anwendungen sowohl in der angewandten als auch in der Grundlagenphysik, von der Geodäsie und Seismologie bis hin zur Untersuchung möglicher zeitlicher Veränderungen von Naturkonstanten.
JGU Mainz / LMU / JOL