23.11.2023

Hohes Risiko für Zwerggalaxien

Begleiter der Milchstraße könnten kurz nach dem Eindringen in den galaktischen Halo zerstört werden.

Üblicherweise wird angenommen, dass Zwerggalaxien unsere Galaxie für lange Zeit als Satelliten umkreisen. Eine neue Studie zeigt nun, dass viele dieser Zwerggalaxien bereits kurz nach dem Eindringen in den galaktischen Halo zerstört werden könnten. Dank des neuesten Katalogs des Esa-Satelliten Gaia konnte ein internationales Team nachweisen, dass Zwerggalaxien aus dem Gleichgewicht geraten sein könnten. Die Studie wirft wichtige Fragen zum kosmologischen Standardmodell auf, insbesondere zum Vorhandensein dunkler Materie in unserer unmittelbaren Umgebung.

Abb.: Die Zwerggalaxien der Milchstraße.
Abb.: Die Zwerggalaxien der Milchstraße.

Quelle: ESA / Gaia / DPAC

Dunkle Materie könnte dabei eine besondere Rolle spielen. Erstens verhindert das fehlende Gleichgewicht eine Schätzung der dynamischen Masse der Zwerggalaxien der Milch­straße und damit ihres Anteils an dunkler Materie. Zweitens: Während im vorherigen Szenario die dunkle Materie die vermeint­liche Stabilität von Zwerggalaxien sicherte, wird sie bei Objekten, die aus dem Gleichgewicht geraten sind, eher hinderlich. Enthielte nämlich der Zwerg bereits viel dunkle Materie, hätte diese seine anfängliche rotierende Sternscheibe stabilisiert und seine Umwandlung in eine Galaxie mit zufälligen Stern­bewegungen, wie sie beobachtet werden, verhindert.

Die beschriebene erst kürzliche Ankunft von Zwerggalaxien und ihre Umwandlung im Halo erklären viele beobachtete Eigen­schaften dieser Objekte, insbesondere, warum sie Sterne in großer Entfernung von ihrem Zentrum besitzen. Ihre Eigenschaften scheinen sich auch ohne dunkle Materie erklären zu lassen – im Gegensatz zur bisherigen Auffassung, dass Zwerggalaxien die am stärksten von dunkler Materie dominierten Objekte sind. Nun stellen sich viele Fragen: Wo sind die vielen von dunkler Materie dominierten Zwerggalaxien, die das kosmologische Standardmodell um die Milch­straße erwartet? Wie können wir auf den Gehalt an dunkler Materie in einer Zwerggalaxie schließen, wenn kein Gleichgewicht angenommen werden kann? Welche anderen Beobachtungen könnten zwischen den vorgeschlagenen Zwerg­galaxien außerhalb des Gleichgewichts und dem klassischen Bild mit von dunkler Materie dominierten Zwergen unterscheiden?

Man geht seit langem davon aus, dass die Zwerggalaxien rund um die Milchstraße uralte Satelliten sind, die unsere Galaxie seit fast zehn Milliarden Jahren umkreisen. Dazu müssten sie riesige Mengen an dunkler Materie enthalten, um sie vor den enormen Gezeiten­effekten zu schützen, die durch die Anziehungskraft unserer Galaxie verursacht werden. Es wurde angenommen, dass dunkle Materie die Ursache für die großen Geschwindigkeits­unterschiede zwischen den Sternen in diesen Zwerggalaxien ist. Die neuesten Gaia-Daten haben nun ein völlig anderes Bild der Eigenschaften von Zwerg­galaxien ergeben. Astronominnen und Astronomen des Pariser Observatoriums PSL, des Centre national de la recherche scientifique (CNRS) und des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) waren in der Lage, die Geschichte der Milchstraße zu datieren, und zwar dank der Beziehung zwischen der Bahnenergie eines Objekts und seiner Eintrittszeit in den Halo, dem Zeitpunkt, zu dem sie erstmals vom Gravitations­feld der Milchstraße erfasst wurden.

Objekte, die zu früheren Zeiten in die Milchstraße eindrangen, als diese noch weniger massereich war, haben eine niedrigere Energie als solche, die erst kürzlich eintrafen. Die Bahnenergie der meisten Zwerggalaxien ist überraschender­weise deutlich größer als jene der Sagittarius-Zwerg­galaxie, die vor fünf bis sechs Milliarden Jahren in den Halo eintrat. Dies deutet darauf hin, dass die meisten Zwerggalaxien erst vor viel kürzerer Zeit, nämlich vor weniger als drei Milliarden Jahren, in den Halo eingetreten sind. Eine solche jüngste Ankunft bedeutet, dass die nahen Zwerggalaxien von außerhalb des Halos stammen, wo fast alle Zwerggalaxien riesige Reservoirs an neutralem Gas enthalten. Diese gasreichen Galaxien verloren ihr Gas, als sie mit dem heißen Gas des galaktischen Halos zusammen­stießen. 

Die Gewalt der Schocks und Turbulenzen in diesem Prozess veränderte diese Zwerg­galaxien völlig. Während die zuvor gasreichen Zwerg­galaxien durch die Rotation von Gas und Sternen bestimmt wurden, wird ihre Schwerkraft bei der Umwandlung in gasfreie Systeme durch die zufälligen Bewegungen der verbleibenden Sterne ausgeglichen. Der Prozess, mit dem Zwerggalaxien ihr Gas verlieren, ist so heftig, dass er sie aus dem Gleichgewicht bringt. Das bedeutet, dass die Geschwindigkeit, mit der sich ihre Sterne bewegen, nicht mehr im Gleichgewicht mit ihrer Gravitations­beschleunigung ist. Die kombinierten Auswirkungen von Gasverlust und Gravitations­schocks durch den Sturz in die Galaxie erklären die große Streuung der beobachteten Geschwindig­keiten der Sterne innerhalb des Überrests der Zwerggalaxie gut.

AIP / JOL

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