17.11.2008
Im Vorfieber der PISA Studie
Es ist der insgesamt dritte seit dem ersten PISA-Test im Jahr 2000, dessen miserable Ergebnisse damals einen Schock in Deutschland auslösten.
Es ist der insgesamt dritte seit dem ersten PISA-Test im Jahr 2000, dessen miserable Ergebnisse damals einen Schock in Deutschland auslösten.
Zahlen und Fakten:
Von einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse keine Spur
Berlin (dpa) - Sensationelle Überraschungen werden bei der Veröffentlichung des neuen PISA-Bundesländervergleichs am kommenden Dienstag nicht erwartet. Zwar wird beim Leistungsranking der Länder erneut mit leichten Verschiebungen gerechnet. Doch an den krassen Wissensunterschieden der 15-Jährigen quer durch die föderale Bundesrepublik dürfte sich wenig verändert haben. Beim PISA-Test 2003 waren 15-jährige bayerische Gymnasiasten ihren Bremer Alterskameraden mit ihren Lernleistungen um weit mehr als ein Schuljahr voraus.
Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm hat die Rahmenbedingungen untersucht, unter denen in den Bundesländern erfolgreich Schule gemacht und PISA-Erfolge eingefahren werden können. Dort, wo die Schüler «familiär wenig belastet (sind), wo es zum Beispiel wenig Arbeitslose und wenige schwierige Milieus gibt» seien die Chancen dafür ungleich besser, sagte Klemm «Zeit online». «Auch Wohlstand schafft gute Bildungsbedingungen. Und es sind die Länder erfolgreich, die den Schulen viele Ressourcen zur Verfügung stellen, wo beispielsweise viele Unterrichtsstunden abgehalten werden.»
Der Wissenschaftler errechnete dazu für seine Analyse unter anderem die Zahl der Unterrichtsstunden einschließlich der Zusatzangebote, die ein Schüler von der 1. bis zur 9. Klasse je nach Lehrplan des Bundeslandes erhält. Während es in Niedersachsen mit 10 635 Stunden das geringste Unterrichtsangebot gibt, sind es in einigen deutschen PISA-Spitzenländern deutlich mehr: 12 107 in Sachsen, 11 496 in Bayern und 11 165 in Baden-Württemberg. Als Erklärung reicht das aber allein nicht aus.
Deutlich unterscheiden sich auch die Ausgaben der Länder pro Schüler - sie schwanken zwischen 4700 Euro im Saarland und 6400 Euro in Thüringen. Große Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen liegen mit 4800 Euro pro Schüler klar unter dem Bundesschnitt von 5100 Euro. Dieser wird in Baden-Württemberg erreicht. Bayern liegt noch 100 Euro darüber. Auffällig dabei sind die hohen Kosten in den ostdeutschen Bundesländern - auch eine Folge des erheblichen Schülerrückganges in diesen Ländern.
Als wichtig beurteilt Klemm den Vergleich von ökonomischen Faktoren. So schwankten die Arbeitslosenquoten der Bundesländer zum Zeitpunkt des jüngsten PISA-Tests 2006 zwischen 19 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 6,3 Prozent in Baden-Württemberg. Zugleich war der durchschnittliche Brutto-Monatsverdienst eines männlichen Arbeitnehmers in Hamburg mit 3863 Euro am höchsten, gefolgt von Hessen (3489 Euro) und Baden-Württemberg (3465 Euro). Am wenigsten wurde dagegen mit 2275 Euro in Thüringen verdient.
Erhebliche Diskrepanzen gibt es zwischen den Ländern auch beim Bruttoinlandsprodukt (BIP). 2006 betrug es bundesweit 28 010 Euro je Einwohner. In Hamburg (49 318 Euro) lag es deutlich darüber - in Mecklenburg-Vorpommern (19 112 Euro) und Brandenburg (19 386 Euro) erheblich darunter.
Eine hohe Pro-Kopf-Verschuldung in Länder- und Gemeindehaushalten kann schulpolitischen Gestaltungsspielraum einschränken. Bayern hatte 2006 mit 3070 Euro den niedrigsten Schuldenstand pro Einwohner, gefolgt von Sachsen mit 3778 Euro. Im bisherigen PISA- Schlusslichtland Bremen war der Schuldenstand dagegen mit 20 149 Euro am höchsten.
Vor dem Hintergrund der schlechten Bildungschancen für Ausländerkinder ist auch ein Blick auf die Migrantenanteile in den jeweiligen Bundesländern aufschlussreich. Während 2006 im gesamten neuen Bundesgebiet lediglich ein Anteil von 4,7 Prozent registriert wurde, lag dieser in Hamburg mit 25,8 Prozent am höchsten. Aber auch Flächenländer wie Baden-Württemberg (24,8), Hessen (23,4) und Nordrhein-Westfalen (23,2) haben überdurchschnittlich hohe Migrantenanteile (Bundesschnitt: 18,4).
Für Klemm hängen die PISA-Ergebnisse von einem Zusammenwirken sehr unterschiedlicher Faktoren ab, die jeweils unterschiedlich gewichtet werden müssen. So komme es beispielsweise auch auf Herkunft und Vorbildung von Migrantengruppen an. Wer wolle, dass Deutschlands Schulen international besser abschneiden als bisher, solle sich auf die schwierigen Schülergruppen konzentrieren - zum Beispiel dadurch, dass mehr Sozialarbeiter in den Schulen beschäftigt werden.
Karl-Heinz Reith
Neue Länder holen bei PISA auf
Berlin (dpa) - Die neuen Bundesländer holen beim jüngsten PISA-Test auf. Dies berichtet der «Spiegel». Vor allem im aktuellen Untersuchungsschwerpunkt Naturwissenschaften erzielten die ostdeutschen Länder im Schnitt bessere Leistungen als die westdeutschen - allen voran Sachsen und Thüringen. Sachsen hatte schon beim Schulleistungstest 2003 den bisherigen PISA-Zweiten Baden-Württemberg in mehreren Teildisziplinen auf Platz drei verwiesen. Wie der «Spiegel» schreibt, lägen in der Gesamtwertung jedoch Bayern und Baden-Württemberg weiter vorn. An dem Süd-Nord-Gefälle habe sich nichts geändert.
Nach einem Bericht des «Tagesspiegels» wuchs der Anteil der Risikoschüler unter den 15-Jährigen, die zum Teil nur auf Grundschulniveau rechnen und lesen können, in mehreren Westländern weiter. Die Zeitung beruft sich dabei auf eine 24-seitige interne Analyse des Wissenschaftlichen Beirats von Ländern und Bund zur Qualitätssicherung in den Schulen vom Frühsommer 2008. Danach sei die Risikogruppe unter den Schülern trotz der jüngsten Anstrengungen gegenüber der Pisa-Studie von 2003 in einer «nicht tolerablen Größenordnung» angewachsen.
Das Papier, das der Deutschen Presse-Agentur dpa ebenfalls vorliegt, bezieht sich nicht auf die noch unveröffentlichten neuen Daten, sondern analysiert bekannte Fakten. Es wird darin die Befürchtung geäußert, dass bei Einführung der neuen Bildungsstandards «teilweise weit über 50 Prozent» der Hauptschüler die vereinbarten Mindestnormen nicht erreichen könnten. «Besonders betroffen werden voraussichtlich die Stadtstaaten und die Länder Hessen, Nordrhein- Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sein, sofern es in diesem Land dann noch Hauptschulen gibt.»
Die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, riet zu einem «gelassenen und konstruktiven Umgang» mit der neuen Studie. «Politische Schaukämpfe sind überflüssig», sagte Demmer am Sonntag. Die Kultusminister hätten aus den bisherigen PISA-Studien «falsche Konsequenzen gezogen». Demmer: «Die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur, immer mehr Tests, die Vernachlässigung der sogenannten Risikogruppe und die Verdrängung der Schulstrukturfrage - das alles bindet Zeit, Kraft und Geld, die für grundlegende Schulreformen notwendig wären.»
Hintergrund: PISA-E - der deutsche Bundesländer-Schulvergleich
Berlin (dpa) - Die Abkürzung PISA steht für «Programme for International Student Assessment». Dahinter verbirgt sich der weltweit größte Schulleistungstest der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). PISA-E ist ein deutscher Ergänzungstest zu dem internationalen Projekt, an dem sich inzwischen rund 60 Staaten beteiligen. PISA-E vergleicht parallel zur internationalen PISA-Auswertung die Schulleistungen in den 16 Bundesländern.
Für den jüngsten PISA-E-Test, der am kommenden Dienstag in Berlin vorgestellt wird, wurden im Rahmen einer nationalen Ergänzungsstichprobe 57 000 Schüler an 1500 Schulen getestet. Die Federführung lag beim Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel.
Es ist der dritte nationale PISA-Ergänzungstest - und zugleich auch der letzte. Die Kultusminister haben als Konsequenz aus dem schlechten deutschen Abschneiden beim ersten Test 2000 bundesweite Bildungsstandards entwickelt. Sie beschreiben, was ein Schüler zum Abschluss einer bestimmten Jahrgangsstufe können muss. 2009 wollen die Kultusminister erstmals auf der Basis dieser neuen Bildungsstandards einen eigenen bundesweiten Leistungstest durchführen. Die Federführung übernimmt dann das ländereigene Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in Berlin.
Weitere Infos:
- OESC PISA Seite
www.pisa.oecd.org - Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel
www.ipn.uni-kiel.de - Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in Berlin
www.iqb.hu-berlin.de
GWF