03.08.2018

Immer wieder die Symmetrie

Vor 100 Jahren veröffentlichte Emmy Noether zwei Theoreme. Damit schuf Sie eine faszinierende Verbindung zwischen mathematischen Symmetrien und physikalischen Erhaltungssätzen.

Dass Symmetrien in der modernen Physik enorm wichtig sind, hat sich mittlerweile weit über Fachkreise hinaus herumgesprochen. Allerdings ist es nahezu unmöglich, ihre Rolle zu überschätzen. So lohnt es sich stets aufs Neue, Konzepte und Theorien durch die Symmetrie-Perspektive zu betrachten.

Beispielsweise lassen sich die Kernideen der fundamentalsten Theorien, wie Einsteins Relativitätstheorien oder der Quantenfeldtheorie, durch Symmetrie-Überlegungen verstehen. Ebenfalls können fundamentale Größen, wie die Energie, der Impuls oder auch die elektrische Ladung dank Emmy Noethers Theoremen auf Symmetrien zurückgeführt werden. Cordula Tollmien skizziert in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit Emmy Noethers Leben und die Bedeutung ihrer Theoreme. Selbst die Massen der Elementarteilchen sind dank des Higgs-Mechanismus unmittelbar mit einer Symmetrie – oder genauer gesagt, einer Symmetrie-Brechung – verknüpft. Warum aber sind Symmetrien so beliebt und erfolgreich in der Physik?

Abb. 1 Emmy Noether (1882–1935) um 1915 (mit freundlicher Genehmigung der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Göttingen). 

Während Symmetrien außerhalb der Physik häufig mit den Begriffen Eleganz oder Schönheit verknüpft werden, sind sie für Physiker vor allem eines: enorm mächtige Werkzeuge. Um diese Rolle der Symmetrien zu verstehen, müssen wir uns zunächst fragen: Was genau ist eine Symmetrie?

Stellen Sie sich vor: Ein Freund steht vor ihnen und hält ein Objekt, beispielsweise einen Ball, in seinen Händen. Dann schließen Sie Ihre Augen, und Ihr Freund bewegt den Ball. Wenn Sie anschließend ihre Augen wieder öffnen und nicht sagen können, ob Ihr Freund überhaupt etwas an dem Objekt verändert hat, ist die Transformation, die er vorgenommen hat, eine Symmetrie des Objekts. Handelt es sich beispielsweise um einen komplett einfarbigen Ball, können Sie unmöglich sagen, ob Ihr Freund ihn rotiert hat, während Ihre Augen geschlossen waren. Beliebige Rotationen sind also Symmetrien eines Balles. Hält Ihr Freund dagegen eine Pyramide in den Händen, können Sie nur bei ganz speziellen Rotationen nicht sagen, ob etwas verändert wurde. Alle Transformationen, die ein Objekt unverändert lassen, bezeichnet man als Symmetrien des Objekts.

Diese recht allgemeine Definition ermöglicht es, Symmetrien auch in abstrakteren Kontexten zu verwenden, nicht nur bei anschaulichen geometrischen Objekten wie einem Ball oder einer Pyramide. So können wir uns beispielsweise auch auf die Suche nach den Symmetrien einer mathematischen Gleichung machen. Alle Transformationen der Objekte, die in einer Gleichung auftauchen, welche diese unverändert lassen, sind Symmetrien der Gleichung. Betrachten wir beispielsweise das Produkt zweier Zahlen: 15124•82718. Das Ergebnis ist exakt dasselbe, wenn wir die Reihenfolge der Zahlen vertauschen. Somit haben wir es hier mit einer Symmetrie zu tun. Wollen wir nun 15124•82718 - 82718•15124 berechnen, haben wir zwei Möglichkeiten. So können wir zuerst 15124•82718 berechnen, das Ergebnis abspeichern, anschließend 82718•15124 berechnen und dann das Ergebnis von dem zuvor abgespeicherten Ergebnis abziehen. Viel einfacher ist es natürlich, die Symmetrie der zwei Zahlen auszunutzen, womit wir sofort erkennen, dass das Ergebnis null ist.

Anstatt die Symmetrien einer Gleichung zu analysieren, können wir den Spieß auch umdrehen und ausgehend von Symmetrieüberlegungen Gleichungen herleiten. Beispielsweise darf die Quantenfeldtheorie nicht Einsteins Spezieller Relativitätstheorie widersprechen. Die fundamentale Symmetrie in Einsteins Theorie ist als Poincaré-Symmetrie bekannt. Das Wissen, dass die fundamentalen Gleichungen der Quantenfeldtheorie diese Symmetrie besitzen müssen, ist fast alles, was wir benötigen, um die Klein-Gordon-Gleichung, die Dirac-Gleichung oder auch die Maxwell-Gleichungen herzuleiten.

Durch Überlegungen dieser Art bilden Symmetrien einen roten Faden, der sich durch die gesamte Physik zieht und Physiker auch in Zukunft begleiten wird. So basieren die meisten Versuche, offene Fragen in der Physik zu beantworten, auf Symmetrien. Beispielsweise könnte die sogenannte Peccei-Quinn-Symmetrie das starke CP- und Dunkle-Materie-Problem lösen, und große vereinheitlichte Symmetrien könnten den Ursprung der fundamentalen Wechselwirkungen sowie die extrem kleinen Neutrinomassen erklären.

Jakob Schwichtenberg, Karlsruher Institut für Technologie

Dieser Essay kommentiert einen Artikel von Cordula Tollmien über Emmy Noethers Theoreme. Beide Texte sind in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen. Der Essay ist bis Ende des Jahres online frei zugänglich, Frau Tollmiens Artikel nur bis zum 10. August 2018.

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