09.12.2019

Impulstransfer beim Photoeffekt

Kurzzeit-Analysen zeigen zeitabhängige Aspekte des Impuls-​Transfers während der Photoionisation.

Die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie ist die Grundlage sowohl vieler grund­legender Phänomene als auch verschiedener praktischer Tech­nologien. Am bekanntesten ist der photo­elektrische Effekt, in dem Elektronen von einem Material emittiert werden, wenn es mit Licht von geeigneter Wellenlänge bestrahlt wird. Lange Zeit blieb der Ursprung des Phänomens ein Rätsel, und erst mit dem Aufkommen der Quanten­theorie – und dank Albert Einstein – wurde der Effekt vollständig verstanden. Einstein erhielt 1921 den Nobelpreis für Physik für seine Entdeckung der zugrunde­liegenden Gesetze. Seitdem wurde der Effekt für Anwendungen genutzt, die von der Spektroskopie bis zu Nachtsichtgeräten reichen. In einigen wichtigen Fällen geht es nicht nur darum, dass Energie von Photonen auf Elektronen übertragen wird, sondern auch ein Impuls. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn mit Laserlicht mikro­skopische und makro­skopische Objekte gekühlt werden oder das Phänomen des Strahlungs­drucks verstanden werden soll.

Abb.: Rekonstruierte 3D-​Photo­elektronen-Impuls­verteilung zusam­men mit...
Abb.: Rekonstruierte 3D-​Photo­elektronen-Impuls­verteilung zusam­men mit einer Skizze der Polarisations­ellipse und der Strahl­richtung. (Willenberg et al., NPG)

Trotz der grundlegenden Bedeutung der Impuls­übertragung sind die genauen Details, wie Licht sein Moment auf Materie überträgt, noch nicht vollständig verstanden. Ein Grund dafür ist, dass sich der übertragene Impuls während eines optischen Zyklus auf extrem schnellen Sub-​Femto­sekunden-Zeitskalen ändert. Bisherige Studien lieferten hauptsächlich Informationen zum zeitlich gemittelten Verhalten, wobei zeitabhängige Aspekte des Impuls-​Transfers während der Photo­ionisation fehlten. Diese Lücke hat nun die Gruppe von Ursula Keller vom Institut für Quanten­elektronik geschlossen.

Sie untersuchten den Fall hoher Laser­intensitäten, bei denen mehrere Photonen am Ionisations­prozess beteiligt sind, und bestimmten, wie viel Impuls in Richtung der Laser­ausbreitung übertragen wird. Um eine ausreichende zeitliche Auflösung zu erreichen, verwendeten sie die Attoclock-​Technik, die im vergangenen Jahrzehnt im Keller-​Labor entwickelt und verfeinert wurde. Bei diesem Verfahren wird eine Atto­sekunden-​Zeit­auflösung erreicht, ohne Attosekunden-​Laserpulse erzeugen zu müssen. Stattdessen werden Informationen über den rotierenden Laserfeldvektor von annähernd zirkular pola­risiertem Licht verwendet, um die Zeit relativ zum Ionisations­ereignis mit einer Genauigkeit von Attosekunden zu messen. Sehr ähnlich dem Zeiger einer Uhr – nur dass der Zeiger innerhalb eines optischen Zyklus von 11,3 Femtosekunden Dauer eine volle Umdrehung macht.

Mit diesem vielseitigen Werkzeug konnten die Physiker bestimmen, wie viel Impuls Photo­elektronen gewonnen haben, in Abhängigkeit des Zeitpunkts ihrer Bildung. Sie fanden heraus, dass die in Ausbreitungs­richtung des Lasers übertragene Impulsmenge tatsächlich davon abhängt, wann das Elektron während des Oszillations­zyklus des Lasers von der Materie – in ihrem Fall aus Xenonatomen – befreit wird. Dies bedeutet, dass zumindest für das untersuchte Szenario das zeitlich gemittelte Strahlungs­druckbild nicht anwendbar ist. Interessanter­weise können sie das beobachtete Verhalten nahezu vollständig innerhalb eines klassischen Modells reproduzieren, während viele Szenarien der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie, wie die Compton-​Streuung, nur innerhalb eines quanten­mechanischen Modells erklärt werden können.

Das klassische Modell musste jedoch erweitert werden, um die Wechselwirkung zwischen dem ausgehenden Photoelektron und dem zurück­bleibenden Xenon-Ion zu berück­sichtigen. Diese Wechselwirkung führt zu einer zusätzlichen Attosekunden­verzögerung während des linearen Impulsübergangs im Vergleich zur theoretischen Vorhersage für ein freies Elektron, das während des Pulses geboren wird. Ob solche Verzögerungen eine generelle Eigenschaft der Photo­ionisation sind oder nur für die in der vorliegenden Studie untersuchten Szenarien gelten, bleibt vorerst offen. Fest steht jedoch, dass die Forscher mit dieser ersten Untersuchung der linearen Impuls­übertragung während der Ionisierung auf der natürlichen Zeitskala des Prozesses einen neuen Weg eröffnet haben, um die grundlegende Natur der Wechsel­wirkungen zwischen Licht und Materie zu erforschen.

ETHZ / JOL

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