Am oberen Rand unserer Atmosphäre existiert eine dünne Schicht silbrig-weißer Eiswolken. Die als leuchtende Nachtwolken (noctilucent clouds, NLC) oder auch polare Mesosphärenwolken bekannten Wolken bilden sich im Sommer in 83 Kilometern Höhe über den Polen unserer Erde. Eine Langzeit-Ballonmission der NASA mit einem Instrument des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) an Bord konnte diese Wolken über einen Zeitraum von fast sechs Tagen hochpräzise an ihrem Ursprungsort in der Mesosphäre beobachten. Mit Hilfe der Ergebnisse werden Wissenschaftler Turbulenz in der Atmosphäre, aber auch in Ozeanen, Seen und anderen Planetenatmosphären besser verstehen, und vielleicht sogar Wettervorhersagen verbessern.
Abb.: Der am 8. Juli gestartete, riesige Ballon hatte aus einer Höhe von 38 Kilometern exzellente Sicht auf die leuchtenden Nachtwolken. Im Hintergrund ist Nordkanada zu sehen. (Bild: NASA)
Am 8. Juli 2018 startete ein riesiger Ballon zur Untersuchung von NLC. Für fast sechs Tage fuhr der Ballon in 38 Kilometern Höhe von seinem Start in Esrange (Schweden) durch die Stratosphäre über die Arktis bis in den Westen von Nunavut (Kanada). Während seiner Fahrt nahmen Kameras an Bord des Ballons sechs Millionen hochauflösende Bilder mit einem Datenvolumen von 120 Terabyte auf, wobei die meisten Bilder NLC in verschiedenen Stadien zeigen. Unter anderem lassen diese Bilder Prozesse erkennen, die zu Turbulenz führen.
„Was wir bisher gesehen haben, sieht nach einem sehr spektakulären Datensatz aus" sagt der Leiter der PMC Turbo-Mission Dave Fritts von GATS in Boulder (USA). „Unsere Kameras haben wahrscheinlich einige wirklich interessante Ereignisse erfasst und wir hoffen, damit neue Einblicke in die komplexe Dynamik zu gewinnen".
Leuchtende Nachtwolken entstehen aus Eisteilchen, welche auf winzigen Meteorstaub-Partikeln in der oberen Atmosphäre kondensieren. Sie erscheinen als intensiv silbrig-hellblau leuchtende Wolken, die im Sommer vom Rand der Polarregionen kurz nach Sonnenuntergang vom Boden aus beobachtbar sind. Die Wolken werden von atmosphärischen Schwerewellen beeinflusst. Schwerewellen entstehen zum Beispiel durch Konvektion in der Atmosphäre oder, wenn Luft getrieben von Wind aufgrund von Bergketten nach oben ausweichen muss. Die entstehenden Wellen spielen eine wesentliche Rolle beim Transport von Energie von der unteren Atmosphäre bis hinauf zur Mesosphäre.
„Es ist uns zum ersten Mal gelungen, den Energiefluss von den größeren Schwerewellen hin zu kleineren Instabilitäten und Turbulenz in der oberen Atmosphäre direkt abzubilden", sagte Fritts. „In diesen Höhen kann man das Brechen der Schwerewellen direkt sehen – ähnlich wie das Brechen von Meereswellen am Strand – und den Übergang zu Turbulenz beobachten."
Zur Beobachtung der Wolken war die Nutzlast des PMC Turbo-Ballons mit sieben speziell angefertigten Kamerasystemen ausgerüstet. Jedes System umfasste eine hochauflösende Kamera, eine Computer- und Kommunikationseinheit, sowie 32 Terabyte Datenspeicher. Die Kamerasysteme waren so angeordnet, dass sie sowohl ein Mosaik von Weitwinkelaufnahmen mit einem Blickfeld von 160 Kilometern aufnehmen, als auch mit kleineren Sichtfeldern turbulente Strukturen mit einem Durchmesser von zwanzig Metern abbilden konnten. Zum ersten Mal überhaupt befand sich zudem ein Lidar an Bord, mit dessen Hilfe die präzise Höhe der NLC sowie die durch Schwerewellen verursachten Temperaturstörungen über und unterhalb der NLC vermessen wurden.
„Wir kennen die 2D-Struktur der Wolken von den Kamerabildern, aber um die Wellen in den Wolken wirklich genau beschreiben zu können, benötigen wir auch die Höheninformation", sagt Bernd Kaifler, der als Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen das Ballon-Lidarexperiment entwickelte. „Mit den Lidarmessungen können wir die vertikale Struktur der Wellen sichtbar machen und damit wertvolle Daten sammeln, die man aus den Bildern allein nicht hätte ableiten können".
Im Gegensatz zu den Kameras ist das Ballonlidar ein aktives Messinstrument, welches pro Sekunde Hundert kurze Laserpulse nach oben sendet und das von Luft und Wolken zurückgestreute Laserlicht detektiert. Bisher wurden ähnliche Instrumente nur am Boden eingesetzt. In einer Flughöhe von 38 Kilometern befindet sich das Ballonlidar hingegen schon fast auf halber Strecke zu den Wolken, so dass Signalqualität und damit die Auflösung wesentlich höher sind. Durch die Bewegung lässt sich zusätzlich die räumliche Struktur erfassen. „Die während der PMC Turbo-Mission gewonnenen Daten sind so wertvoll, weil nie zuvor jemand diese kleinen Strukturen, die vom Brechen der Wellen erzeugt werden, sehen konnte", sagt Natalie Kaifler, Wissenschaftlerin am Institut für Physik der Atmosphäre des DLR. „Die Wolkenbewegungen, oft in mehreren dünnen Schichten, zeigen eine enorme Variabilität hin zu sehr kleinen Skalen von wenigen Metern."
Die Entwicklung eines kleinen und leichten Lidar-Instruments für den Einsatz in einer Ballongondel war nicht einfach. Aufgrund der dünnen Luft in Flughöhe mussten Laser, Detektoren und Elektronik in einen Druckbehälter eingebaut werden. Zudem erforderte die Kühlung des Lasers und der Elektronik die Entwicklung eines großen Radiators zu Abstrahlung der Wärme in den Weltraum, da nicht genügend Luft zur Kühlung vorhanden ist. Für die Steuerung und Überwachung des Instruments wurden Kommandos und Daten über Kommunikationssatelliten der NASA übertragen. „Das Ballonlidar ist damit fast ein Satellitenexperiment, allerdings mit einem viel kleineren Budget", sagt Bernd Kaifler.
Das Verständnis der Ursachen und Wirkungen von Turbulenz hilft nicht nur, die Struktur und Variabilität der oberen Atmosphäre zu verstehen. Turbulenz tritt in allen Fluiden im Universum auf und die Ergebnisse werden die Modellierung all dieser Systeme verbessern. Dies gilt natürlich auch für die irdische Wettervorhersage.
Die NASA untersucht leuchtende Nachtwolken auch mit dem AIM (Aeronomy of Ice in the Mesosphere)-Satelliten, der 2007 in einen niedrigen Erdorbit gestartet wurde. AIM beobachtet die großskaligen Strukturen der Wolken auf globaler Skala, kann aber nur Strukturen von einigen Kilometern Durchmesser auflösen. PMC Turbo füllt hier die Lücke, indem es die kleineren Skalen, auf denen Turbulenz auftritt, untersucht. Die Nutzlast von PMC Turbo wurde erfolgreich an ihrem Landeort in der kanadischen Arktis geborgen. Die Instrumente werden zum Teil wiederverwendet und in zukünftigen Missionen eingesetzt werden, darunter ein geplanter Flug über der Antarktis im kommenden Dezember.
DLR / DE