In lebenden Mikroben fließt Strom
Netzwerke von Proteinen des Bakteriums Geobacter sulfurreducens zeigen elektrische Leitfähigkeit, die der von Metallen ähnelt.
Biomoleküle leiten meist keinen Strom, sie verhalten sich wie elektrische Isolatoren. Eine Ausnahme bilden Proteine aus dem Bakterium Geobacter sulfurreducens. Bereits 2005 beobachteten Forscher an der University of Massachusetts Amherst die Leitung von elektrischem Strom in den sogenannten Pili-Proteinen, fadenförmigen Anhängen des Bakteriums. Die Physiker und Biologen um Derek R. Lovley, der 1987 das Bakterium als erster entdeckt hatte, konnten den Mechanismus der Leitung jedoch nicht erklären. Die Fachwelt blieb den Ergebnissen gegenüber skeptisch.
Abb.: Schema der geteilten Goldanode, auf der der Biofilm im Experiment gewachsen wurde. Auch der nicht-leitende Spalt wurde vom Biofilm überwuchert. (Bild: N. Malvankar, Nature Nanotechnology)
In der aktuellen Ausgabe von Nature Nanotechnology berichten die Forscher nun, dass das Bakterium Elektronen mithilfe eines Mechanismus leitet, den man aus Metallen kennt. Ein solches Leitungsverhalten war in biologischen Systemen bisher unbekannt. Die Wissenschaftler wollen die Elektronenleitung von Geobacter sulfurreduncens verstehen, um seine Eigenschaften in der Nanobioelektronik zu verwenden: in günstigen, ungiftigen Nanomaterialien für Biosensoren oder für die Kopplung von Festkörpern und biologischen Molekülen.
Das Team untersuchte deshalb Biofilme, die es in einer mikrobiellen Brennstoffzelle wachsen ließ. Die Zelle bestand aus einer zweigeteilten Goldanode und einer Kathode, die von der Anode durch eine Protonen-Austausch-Membran getrennt war. Als Futter für die Bakterien diente Essigsäure. In der Natur nutzt Geobacter sulfurreducens die leitfähigen Pili, um Elektronen aus seiner Nahrung an einen Elektronenakzeptor – Schwefel oder Eisenoxid – abzugeben. Dabei wird Energie frei, die den Stoffwechsel und damit das Wachstum des Bakteriums antreibt. In der Brennstoffzelle hingegen übertrug die Mikrobe Elektronen aus der Essigsäure auf die zweigeteilte Goldanode. Auf der Anode befand sich ein Spalt, der als elektrisch isolierende Grenze zwischen den zwei Hälften diente. Seine Breite entsprach der Länge von etwa 50 Bakterien.
Die Forscher legten nun eine Spannung zwischen Goldanode und Kathode. Daraufhin begann auf der Anode ein Biofilm aus Bakterien zu wachsen. Stetig nahm die Dicke des Films und damit auch die Stromstärke zwischen Anode und Kathode zu. Mittels konfokaler Laserscanning-Mikroskopie konnten die Forscher beobachten, wie schließlich der nichtleitende Spalt auf der Anode von dem Biofilm überwuchert wurde. Damit war der Weg für die Charakterisierung der Leitungseigenschaften des Films frei.
Die Messungen der Forscher ergaben eine elektrische Leitfähigkeit von etwa 5 Millisiemens pro Zentimeter für einen 40 Mikrometer dicken Biofilm. Das kommt der Leitfähigkeit von „organischen Metallen“ wie Polyanilin oder Polyetin nahe. Die Biofilme leiteten Strom über die Entfernung von mehr als einem Zentimeter, was der Länge mehrerer Tausend Mikroben entspricht. „Die Pili leiten Elektronen über sehr große Entfernungen, im Grunde genommen so weit, wie der Biofilm eben reicht“, sagt Nikhil Malvankar, Physiker und Erstautor der Studie.
Die Forscher vermuteten bereits, dass die Leitfähigkeit des Biomaterials von einem Netzwerk der fadenförmigen Pili herrührte, das sich zwischen den einzelnen Bakterien gebildet hatte. Sie untersuchten daher den Zusammenhang zwischen Leitfähigkeit und Pili-Gehalt des Biofilms. Dazu wiederholten sie den Versuch mit mehreren, genetisch verschiedenen Stämmen von Geobacter sulfurreducens. Die Stämme unterschieden sich darin, wie viel Pilin sie produzierten. Es zeigte sich, dass die Pilin-Menge mit der Leitfähigkeit korrelierte. Die Forscher untersuchten auch zwei Präparationen von Pili-Proteinen, die sie aus den Bakterienzellen gewonnen hatten. In der einen Variante war der Genabschnitt für einen wichtigen Teil des Proteins gentechnisch entfernt worden. Diese Form zeigte eine vielfach niedrigere Leitfähigkeit.
Um den Leitungsmechanismus der Nanodrähte genauer zu verstehen, stellten die Forscher temperaturabhängige Messungen an. Die Leitfähigkeit der extrahierten Pilin-Proben stieg mit fallender Temperatur zunächst exponentiell, um bei tieferen Temperaturen wieder abzufallen. Dieses Verhalten ist von organischen Metallen bekannt. Auch die Temperatur der maximalen Leitfähigkeit liegt mit 260 bis 270 Kelvin in einem ähnlichen Bereich wie bei organischen Metallen, die bei 200 bis 250 Kelvin am besten leiten. Die Forscher erklären diese Temperaturabhängigkeit mit zwei widerstreitenden Mechanismen: zunächst steigt die Leitfähigkeit bei sinkenden Temperaturen, weil hier eine metallische Elektronenleitung dominiert. Bei tieferen Temperaturen nimmt der Einfluss von Defekten, chemischen Verunreinigungen oder Fehlern im Aufbau des Materials zu. Diese stören den Elektronentransport.
Philipp Hummel