Innerer Aufbau von Neutronensternen enthüllt
Neue Modellrechnungen liefern Erkenntnisse über die extrem dichte innere Struktur von Neutronensternen.
Bislang ist wenig über das Innere von Neutronensternen bekannt, jene extrem kompakten Objekte, die nach dem Tod eines Sterns entstehen können. Trotz jahrzehntelanger theoretischer und experimenteller Bemühungen seit ihrer Entdeckung vor mehr als sechzig Jahren ist der innere Aufbau von Neutronensternen noch zum größten Teil unbekannt. Die größte Herausforderung dabei ist es, die extremen Bedingungen im Inneren dieser Sterne zu simulieren, weil diese nicht unter Laborbedingungen auf der Erde nachgestellt werden können. Deshalb existieren zurzeit viele unterschiedliche mathematische Modelle, die versuchen, die Struktur von Neutronensternen – von der Oberfläche bis hin zum inneren Kern – mit Hilfe von Zustandsgleichungen zu beschreiben. Physikern der Goethe-Universität Frankfurt ist es nun gelungen, dem Puzzle um das Innere dieser Sterne einen wichtigen Teil hinzuzufügen.
Im Arbeitskreis von Luciano Rezzolla am Institut für Theoretische Physik haben Forscher nun mehr als eine Million dieser Zustandsgleichungen konstruiert, von denen jede einzelne mit allen astrophysikalischen Messungen von Neutronensternen und bekannten Ergebnissen aus der Kernphysik übereinstimmen. Bei der Analyse dieser riesigen Anzahl von Zustandsgleichungen machten die Wissenschaftler eine erstaunliche Entdeckung: „Leichte” Neutronensterne mit einer Masse kleiner als die 1.7-fache Sonnenmasse haben einen weiche äußere Hülle und einen harten Kern, wohingegen „schwere” Sterne mit einer Masse größer als die 1.7-fache Sonnenmasse eine harte Hülle, aber einen weichen Kern besitzen.
„Das ist ein außerordentlich interessantes Ergebnis, weil es darüber Aufschluss gibt, wie komprimierbar der Kern eines Neutronensterns sein kann”, sagt Luciano Rezzolla, „Neutronensterne verhalten sich scheinbar ähnlich wie Schokopralinen: Leichte Sterne ähneln dabei Pralinen mit einer harten Nuss umhüllt von weicher Schokolade,“ führt er weiter aus, „Schwere Sterne sind hingegen eher wie Pralinen mit einer harten Hülle aus Schokolade und einer cremig weichen Füllung.“ Eine wichtige Rolle in ihrer Analyse spielte dabei die Schallgeschwindigkeit in dichter Materie, welche der Bachelorstudent Sinan Altiparmak in seiner Abschlussarbeit ausführlich erforscht hat. Diese Größe beschreibt, wie schnell sich Schallwellen in Materie ausbreiten. Ihr Wert hängt davon ab, wie hart oder weich das Medium ist.
Den Physikern ist es außerdem gelungen weitere, bis dato unbekannte Eigenschaften von Neutronensternen zu enthüllen. Sie konnten zum Beispiel zeigen, dass Neutronensterne mit hoher Wahrscheinlichkeit und unabhängig von ihrer Masse einen Radius von nur zwölf Kilometern besitzen, was in etwa dem Durchmesser von Frankfurt am Main entspricht. Christian Ecker erklärt: „Unsere allumfassende numerische Studie hat uns nicht nur ermöglicht, präzise Vorhersagen für die Radien und die maximale Masse von Neutronensternen zu machen, sondern auch neue Grenzwerte für deren Verformbarkeit durch Gezeitenkräfte in Binärsystemen zu berechnen. Diese Erkenntnisse werden eine besonders wichtige Rolle dabei spielen, die zurzeit unbekannte Zustandsgleichung mit zukünftigen Gravitationswellenmessungen von Neutronensternkollisionen genauer zu bestimmen.”
U. Frankfurt / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen
S. Altiparmak et al.: On the Sound Speed in Neutron Stars, Astrophys. J. Lett. 939, L34 (2022); DOI: 10.3847/2041-8213/ac9b2a - C. Ecker & L. Rezzolla: A General, Scale-independent Description of the Sound Speed in Neutron Stars, Astrophys. J. Lett. 939, L35 (2022); DOI: 10.3847/2041-8213/ac8674
- Relativistische Astrophysik, Institut für Theoretische Physik, Goethe-Universität Frankfurt
Weitere Beiträge
- J. Schaffner-Bielich, Quarkmaterie im Kern massiver Neutronensterne, Physik Journal, August/September 2020, S. 28 PDF
- J. Schaffner-Bielich, Unheimlich und exotisch, Physik Journal, Juni 2017, S. 35 PDF
- K. Sonnabend, Rezension von: Luciano Rezzolla: Die unwiderstehliche Anziehung der Schwerkraft (C. H. Beck, München, 2021)